Seit langem wird das Öl im Untergrund des ecuadorianischen Yasuní-Nationalparks ausgebeutet. Verschiedene Gruppen – von indigenen Basisorganisationen bis zu bürgerlichen Organisationen – kämpfen seit einem Jahrzehnt für ein Referendum, um damit Schluss zu machen. Nun wird die Volksbefragung am 20. August dieses Jahres stattfinden. – Über die Perspektiven des Referendums schreibt Ahmad Al-Balah.
Am 9. Mai dieses Jahres genehmigte das Verfassungsgericht Ecuadors die Durchführung einer Volksbefragung zum Schutz des Yasuní-Nationalparks vor der Erdölförderung. Die Befragung wird am 20. August zusammen mit den außerordentlichen Parlamentswahlen stattfinden.
Das Referendum ist das Ergebnis eines mehr als zehnjährigen Kampfes sozialer Gruppen, die sich unter dem Namen „YASunidos“ zusammengeschlossen haben. Der Name setzt sich aus der Bezeichnung des Nationalparks „Yasuní“ und dem spanischen Wort für „vereint“ („unidos“) zusammen.
Die Gruppen fanden sich im August 2013 in Ecuador zusammen, als die „Yasuní-ITT-Initiative“ aufgrund zu geringer Beteiligung für gescheitert erklärt wurde. Im Herbst 2014 gründete sich eine solidarische Lokalgruppe in Dresden, um von Deutschland aus den Kampf um den Erhalt des Yasuní zu unterstützen und ein deutliches Zeichen in Richtung einer alternativen Wirtschaft zu setzen sowie für die Natur und das Klima der Welt einzustehen.
YASunidos fordert im Referendum, dass die Genehmigung der Ölförderung in diesem Park der Bevölkerung zur Abstimmung vorgelegt werde. Die Frage lautet: „Sind Sie damit einverstanden, dass die ecuadorianische Regierung das ITT-Erdöl, bekannt als Block 43, auf unbestimmte Zeit unter der Erde hält?“. Bei einem „Ja“ muss die Ausbeutung der Erdölreserven im Untergrund der Achse Ishpingo-Tambococha-Tiputini (ITT) – auch bekannt als Block 43-ITT – eingestellt werden.
Umweltschutz gegen Geld?
Um mögliche Erdölvorkommen zu erkunden, wurden Mitte der 2000er in dem Nationalpark Probebohrungen vorgenommen, wobei man drei Ölquellen entdeckte und sie Ishpingo, Tambococha und Tiputini nannte. Nach den Anfangsbuchstaben wird das Erdölgebiet ITT genannt.
Die ecuadorianische Regierung formulierte 2007 den Plan, zugunsten von Umwelt, Klimaschutz und der indigenen Bevölkerung auf die Ausbeutung des großen ITT-Erdölfeldes im Osten des Nationalparks zu verzichten. Im Gegenzug wollte sie sich monetär von der internationalen Gemeinschaft für die Hälfte der entgangenen Erdöleinnahmen entschädigen lassen. Dies hätte die Welt über 30 Jahre hinweg schätzungsweise 350 Millionen US-Dollar pro Jahr gekostet.
In der SZ wurde damals die spannende Frage aufgeworfen, ob die Ölförderung in Ecuador zu rechtfertigen wäre, „wenn unter dem Nationalpark mehr als nur der Weltbedarf von elf Tagen lagern würde?“. Wilfried Hinsch, ein Professor für praktische Philosophie, antwortete darauf, dass dies der Fall sei, wenn der Nutzen die Schäden überwiege. Beim Yasuní-Nationalpark sei das jedoch „sicher nicht der Fall“.
Und weiter: Wenn aber irgendwo auf der Welt ein Ölfeld entdeckt würde, „das alle Atomkraftwerke hundert Jahre lang überflüssig machen würde, würde man sich die Förderung doch sehr ernsthaft überlegen“. Eine sinnvolle Frage, die allerdings auf der Vorstellung einer Staatenwelt basiert, die wirtschaftlich-ökologische Fragen im Sinne des Gemeinwohls verfolgt.
Das jedoch ist in einer Welt voll kapitalistischer Staaten undenkbar, da aktuell jeder Staat letztlich seine Eigeninteressen und das eigene Überleben bzw. die Profite seiner Großunternehmen und Politiker:innen verfolgt. Der amerikanische Biologe Clinton Jenkins von der Duke-Universität hatte die Angelegenheit noch als einen „Testfall für die Weltgemeinschaft“ bezeichnet mit der Ausgangsfrage, inwiefern Umweltschutz im heutigen Wirtschaftssystem funktionieren könne.
Deutschland und andere bürgerlich-liberale Staaten sicherten zwar medienwirksam ihre Unterstützung zu, am Ende kam dabei jedoch wenig herum: Ähnlich wie heute wurde die substanzielle Verantwortung für den Umweltschutz ausgelagert, die Yasuní-ITT-Initiative scheiterte 2013.
Ein Referendum soll helfen
Am 16. August 2013 verkündete der damalige Präsident von Ecuador, Rafael Correa, schließlich, dass die ITT-Blöcke für Ölbohrungen freigegeben würden. Bis zum Zeitpunkt der Verkündung seien nur etwa 335 Millionen Dollar zugesagt und lediglich 13,3 Millionen tatsächlich eingezahlt worden (0,37% der kalkulierten Kompensation). Am 3. Oktober 2013 stimmte das Parlament schließlich mit 108 gegen 25 Stimmen dem Regierungsvorschlag zu, die Ölbohrungen unter Auflagen zu erlauben.
Engagierte Ecuadorianer:innen wollten sich das dennoch nicht hinnehmen und sammelten Unterschriften, um ein Referendum über die Ölförderung zu fordern. Die YASunidos erreichten damals zwar das erforderliche Quorum, aber die Regierung erklärte die Mehrheit der Unterschriften für ungültig und wandte repressive Maßnahmen gegen die Organisation an.
Jetzt organisiert die Gruppe ein unabhängiges Referendum, um weiteren Druck auf die Regierung auszuüben, und erhält Solidarität aus der ganzen Welt. Dabei wirbt YASunidos mit dem Schutz von Menschenrechten und dem Umweltschutz. Obgleich dieselben Argumente bereits international abgeschmettert wurden, ist ihnen – und im Sinne eines gesunden Ökosystems uns allen – trotzdem Erfolg zu wünschen.
Kolonialismus im eigenen Land
Neben mangelnder internationaler Unterstützung spielen auch die eigenen Regierungen und Unternehmen Ecuadors eine gewichtige Rolle in dem Tauziehen um die Ausbeutung des eigenen Landes.
Einerseits wurde ein Referendum selbst von der damaligen reformistischen Regierung von Rafael Correa abgelehnt. Andererseits gehören dem staatlichen Unternehmen „Petroecuador“ die Ressourcen in diesem Gebiet. Es wird geschätzt, dass es sich um das produktivste Feld Ecuadors handelt – nach Angaben des Unternehmens beträgt der Wert 1,2 Milliarden Dollar pro Jahr. Der Konzern ist wiederum vertraglich eng mit dem chinesischen Ölunternehmen „Petrochina“ verknüpft. Zudem ist Petroecuador zweitgrößter südamerikanischer Exporteur von Öl in die USA, teils unter korrupten Bedingungen. Die Währung Ecuadors ist zu guter Letzt direkt an den US-Dollar gebunden und damit unmittelbar der Währungspolitik der USA ausgesetzt.
Petroecuador versichert jedoch, dass das Reservat sehr gut verwaltet werde und große Investitionen getätigt würden, um die Ölförderung mit dem Schutz des Ökosystems in Einklang zu bringen. Dies erklärte Geschäftsführer Ramón Correa in einem Interview für EFE Verde: „Es ist das am besten verwaltete Feld aus ökologischer Sicht“. Die Erfahrung und verschiedene wissenschaftliche Studien zeigen jedoch, dass es unmöglich ist, Öl zu fördern, ohne die Umwelt zu schädigen.
Gerade die von den Ölbohrungen betroffenen Ureinwohner:innen waren skeptisch gegenüber der ITT-Initiative von 2007, da sie nicht konsultiert wurden und befürchteten, dass das meiste Geld nicht ihnen zugute gekommen, sondern für politische Projekte von Präsident Correa verwendet worden wäre. Juan Bay, Präsident der „Waorani-Nationalität Ecuadors“ (NAWE), sagte in einer Erklärung der YASunidos, dass sein Volk nach fünf Jahrzehnten der Ölförderung keine soziale, wirtschaftliche oder politische Entwicklung erreicht habe. Er wies auch darauf hin, dass die großen Wirtschaftsinteressen, die hinter den Ölindustrien stehen, Streitigkeiten unter den indigenen Völkern schürten.
Es gibt Alternativen
Nach Angaben von YASunidos machen die Einkünfte der 110 größten Wirtschaftsgruppen des Landes 62% des BIPs aus. Ihre Steuerlast könnte jedoch viel höher sein. In diesem Sinne schlagen sie vor, dass eine zusätzliche Erhöhung der Steuern für die Wirtschaftsgruppen um 1,5 % zusätzliche 2 Milliarden Dollar zur Erhaltung des Yasuní-Nationalparks einbringen könnte.
Denn trotz der hohen Öleinnahmen steigt die Armut im Land. Ecuador befindet sich in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage, mit einer hohen Auslandsverschuldung und einer sehr hohen Armutsquote. Unter diesen Umständen machen die Vorschläge, Unternehmen höher zu besteuern und Umweltleistungen gegen Schulden einzutauschen, immer mehr Sinn.
Doch so einfach dürfte eine Umverteilung von oben nach unten nicht sein. Speziell unter dem aktuellen Präsidenten – der ultrakonservative, rechter Bänker Guillermo Lasso – verschlechterten sich die Lebensverhältnisse der Arbeiter:innen, Bäuer:innen und indigenen Gemeinschaften in Ecuador extrem. In den letzten Jahren nahmen Massenproteste der Bevölkerung daher zu.
Falls das Referendum also scheitert, weil bürgerliche Politiker:innen und Unternehmen über die Medien geschickt die Mär der gesamtwirtschaftlichen Vorteile der Ölförderung in die Bevölkerung tragen, ist es aus der Sicht der notleidenden Arbeiter- und Bauernklasse (inklusive indigener Bevölkerungsteile) nachvollziehbar, sich an jeden Strohhalm zu klammern und einzulenken.
Doch weder mit Öl, noch ohne Öl wird sich an der ungleichen Verteilung des Reichtums in Ecuador etwas ändern. Die Menschen werden für ein lebenswertes Leben weiter auf die Straße gehen müssen. Ihnen gilt unsere Solidarität.
Das Verhalten der Regierungen weltweit in dieser Sache – speziell der ecuadorianischen und der bundesdeutschen Regierung – hat uns gezeigt: keine Regierung der Welt vertritt ernsthaften Umweltschutz, wenn es Geld kostet, also keine direkten Profite abwirft. Daraus folgt, dass wir sowohl in Ecuador als auch hier in Deutschland für ein anderes System kämpfen müssen, wenn wir so etwas wie dieses artenreichste Gebiet der Welt retten wollen, bevor es für kurzsichtige Öl-Interessen vielleicht für immer zerstört wird.