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Samstag, April 27, 2024
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    Springer-Podcast: „Free Palestine ist das neue Heil Hitler“

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    Im Podcast der WELT setzt der Rapper Ben Salomo Parolen wie „Free Palestine“ mit antisemitischen Hassrufen gleich. Hetze gegen jüdische Menschen wird hierbei implizit als ein größtenteils importiertes, muslimisches Problem dargestellt. Das Podcast-Interview reiht sich ein in eine generelle Dämonisierung von Palästina-Solidarität durch die Medien – und in eine Kriminalisierung durch den Staat. – Ein Kommentar von Jens Ackerhof

    „Free Palestine ist das neue – ich sag’s lieber nicht“ rappt Ben Salomo in seinem kürzlich veröffentlichten Song „Kämpf allein“. Im Podcast der Zeitung WELT wird der in Israel geborene Rapper und Dozent für Antisemitismus-Forschung dann aber doch ganz konkret und bestätigt, dass die Parole für ihn mit „Vernichtungs-Slogans“ wie „Heil Hitler“, oder „Sieg Heil“ gleichzusetzen sei.

    In dem Gespräch mit Mathias Döpfner, dem CEO der Axel Springer-Verlagsgruppe, versucht Ben Salomo einen Bezug herzustellen zwischen antisemitischen Hasstaten, wie dem tödlichen Anschlag eines Rechtsextremen auf eine Synagoge in Halle oder dem versuchten Brandanschlag auf eine Berliner Synagoge, und dem Rufen von Parolen wie „From the river to the sea – Palestine will be free“.

    Antisemitismus – ein importiertes Problem?

    Die Geschichte des deutschen Nationalsozialismus wird im Podcast immer wieder als Begründung für eine bedingungslose Unterstützung Israels in seinem „Krieg gegen die Hamas“ genannt. Auffällig ist jedoch, dass die heutige Hetze und Gewalt gegen jüdische Menschen durch Neonazis nur in einer kurzen Randnotiz erwähnt wird.

    Stattdessen scheinen Ben Salomo und Döpfner die Hauptgefahr in dem (tatsächlichen oder vermeintlichen) Antisemitismus von Muslim:innen, in linken Aktivitist:innen und deutschen und internationalen Universitäten zu sehen. So spricht Döpfner von der „neuen“ Popularität des Antisemitismus und hebt dabei immer wieder die „mehrheitlich muslimische“ Rap-Szene hervor.

    Ben Salomo wiederum meint, „historische Kontinuitäten“ zwischen dem Nationalsozialismus und palästinensischen Organisationen wie der Fatah erkennen zu können – und das, obwohl die politische Partei in den Palästinensischen Autonomiegebieten in Artikel 13 ihrer Verfassung von 1964 explizit gleiche Bürger:innenrechte für alle, frei von jeglicher Diskriminierung auf Basis der Religion oder Ethnie forderte. Die Fatah und alle anderen Fraktionen in der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) sind für Ben Salomo auch heute noch „Terrororganisationen“.

    Dass sich immer mehr Menschen weltweit mit Palästina solidarisieren und gegen Israels Angriffe auf Zivilist:innen protestieren, ist für Döpfner eine „post-faktische Umkehrung“ der Täter-Opfer Rolle und für Ben Salomo das Ergebnis gezielter Propaganda dieser palästinensischen „Terrororganisationen“.

    Der Podcast endet mit einem erneuten Plädoyer dafür, dass Israel den Krieg unbedingt gewinnen müsse, da sonst auch die westlichen „Demokratien“ bedroht seien: „Es trifft am Ende die freie Gesellschaft, es trifft Europa, es trifft Amerika, es trifft uns, es trifft unseren Lebensstil“, so Döpfner. Wenn man sich nicht an die Seite Israels stelle, so würde man eventuell in einem „Regime wie im Iran“ aufwachen, warnt Ben Salomo.

    Faschist:innen schüren immer noch Hass gegen Jüd:innen

    Diese Aussage erweckt den Anschein, als seien es die Muslim:innen, die in Deutschland die größte Gefahr für jüdisches Leben darstellten. Dies ist nichts weniger als eine gefährliche islamophobe Umkehrung sowohl der deutschen Geschichte als auch der deutschen Gegenwart. Denn warum muss ein kruder Vergleich zwischen „Free Palestine“ und „Heil Hitler“ an den Haaren herbeigezogen werden, wenn es doch immer noch reichlich Nazis gibt, die letztere Parole offen skandieren?

    Wer brüllte denn jüngst nach einem Auftritt des AfD-Abgeordneten Björn Höcke in Sachsen „Sieg Heil“ und „Wir sind alle rechtsradikal“? Das waren keine palästina-solidarischen Demonstrant:innen, sondern deutsche Neonazis! Auch der Skandal um den AfD-Landtagsabgeordneten Daniel Halemba, in dessen Studierendenverbindung Waffen und NS-Devotionalien gefunden wurden, zeigt: Die größte Gefahr für Jüd:innen geht weiterhin von rechts aus.

    Sogar ein Blick in bürgerliche Statistiken wie die des Bundesinnenministeriums für das Jahr 2022 bestätigen dies: Demnach sind ca. 84% der antisemitischen Taten der politisch rechts motivierten Kriminalität zuzuordnen. Antisemitische Straftaten hatten im Jahre 2021 noch stark zu-, und im Folgejahr nur leicht wieder abgenommen. Auch Straftaten gegen Geflüchtete und Asylunterkünfte haben dramatisch zugenommen.

    Verleumdung und Kriminalisierung von Palästina-Solidarität

    Die Hasskampagne, die palästina-solidarische Menschen und insbesondere Migrant:innen als antisemitisch abstempelt, birgt die reale Gefahr, dass auch die Gewalt gegen Muslim:innen wieder zunehmen wird. Und – ein weiterer wichtiger Punkt: Werden alle Palästinenser:innen und palästina-solidarischen Menschen unreflektiert in einen Topf mit den Hitlerfaschist:innen und Neonazis gesteckt, so erschwert das nicht zuletzt auch das Erkennen von tatsächlichem Antisemitismus in der Bewegung.

    Dabei werden zum Teil auch anti-imperialistische Parolen mutwillig umgedichtet: So hieß es in einer mittlerweile geänderten Schlagzeile der BILD (ebenfalls Teil des von Döpfner geleiteten Axel Springer-Verlags): „Tausende brüllen: ‘Israel bombardieren!'”. Tatsächlich aber hatten die Demonstrierenden den Slogan „Israel bombardiert, Deutschland finanziert“ mit Bezug auf die deutschen Rüstungsexporte nach Israel gerufen.

    Etliche Demonstrationen gegen die Bombardierung Gazas wurden mittlerweile in Deutschland verboten, selbst solche, die von solidarischen Jüd:innen organisiert wurden. Trotz alledem kämpfen fortschrittliche und sozialistische Kräfte weiterhin gegen die Kriminalisierung der Palästina-Solidarität, die Versammlungsverbote oder das Verbot des palästinensischen Gefangenensolidaritätsnetzwerks Samidoun.

    Für sie ist dabei völlig klar, dass antisemitische Parolen auf ihren Demos nicht geduldet sind. Hierbei verlassen sie sich jedoch nicht auf Verbote oder das Durchgreifen der Polizei. Denn Antisemitismus und Rassismus werden von der linken Bewegung grundsätzlicher und effektiver bekämpft, als es der deutsche Staat je könnte oder wollte.

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