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Montag, April 29, 2024
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    Tarifkämpfe abgewürgt – Trotzdem Erfolge „von unten“!

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    Von den Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst, über die Streiks der LKW-Fahrer:innen in Gräfenhausen, bis hin zu den Sozialarbeiter-Protesten in Berlin, gab es 2023 einige lehrreiche Arbeitskämpfe in Deutschland. Doch was können wir daraus für 2024 mitnehmen? – Ein Kommentar von Ivan Zimmermann

    Das Jahr 2023 ist zu Ende und in den Nachrichten tummeln sich Meldungen über den erwarteten Streik der Lokführer:innen, organisiert von der Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL). Der vereinbarte „Weihnachtsfrieden“ im Tarifstreit mit der Deutschen Bahn wird am 8. Januar enden. Die GDL sprach von einer Streikdauer von bis zu fünf Tagen. Für den gleichen Tag rufen Bäuer:innen unter Führung des Lobbyvereins Deutscher Bauernverband zusammen mit Speditionen zu landesweiten Protesten auf gegen die Streichung der Steuervergünstigungen für Agrardiesel und landwirtschaftliche Maschinen. Diese Proteste sollen eine Woche dauern und in einer Aktion am 15. Januar in Berlin gipfeln. Währenddessen kam es schon in den letzten Tagen zu Straßenblockaden und Traktor-Konvois der Bäuer:innen, die einen kleinen Vorgeschmack für die Protestwoche bieten.

    Vom „Generalstreik“ aber, den sich anscheinend so manches Medienhaus herbeiwünscht, kann noch bei weitem keine Rede sein. Kapital und Ampelregierung dürfen aufatmen. Die Folgen des Aufstands der Bäuer:innen bis Agrarkapitalist:innen und Spediteure werden überschaubar bleiben und auch die gefürchteten Bahnstreiks werden wie immer pünktlich enden.

    Doch bis es soweit ist, wollen wir auf einige Arbeitskämpfe, große wie kleine, auf Tarifrunden und Sozialproteste im ausklingenden Jahr 2023 zurückblicken.

    Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst

    Von den Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen (TVöD), sowie der Länder (TV-L) waren 2023 rund 3,7 Millionen Beschäftigte betroffen, darunter sind Erzieher:innen, Verwaltungsangestellte, Beschäftigte an Unikliniken u.v.m. Für viele Beschäftigte ist ein Tarifabschluss mit Inflationsausgleich eine existenzielle Frage. Von Januar 2021 bis Dezember 2023 kam es infolge massiver Preissteigerungen von durchschnittlich 16,3% zu den größten Reallohnverlusten seit Jahren.

    Bei den Beschäftigten von Bund, Kommunen und Ländern gab es wegen der niedrigen Tarifabschlüsse im Jahr 2021 einen großen Nachholbedarf. Jedoch lagen bei beiden Tarifverhandlungen die Forderungen der verhandelnden Gewerkschaften mit 10,5% Lohnerhöhung und 3.000 Euro Ausgleichszahlung bei 12 Monaten Laufzeit bereits unter dem Niveau, das für einen Inflationsausgleich nötig ist. Auch durch die erwartete Inflation in den nächsten Jahren muss mit weiteren Reallohnverlusten gerechnet werden – von verdienten Reallohnerhöhungen kann schon lange nicht mehr die Rede sein.

    Die Verhandlungsergebnisse enttäuschten noch mehr: Nach bekanntem Muster wurde halbherzig gestreikt, wobei die einzelnen Bereiche nacheinander aufgerufen wurden und etliche streikwillige Kolleg:innen gar nicht zum Streik aufgefordert wurden. Beide Male sind die verhandelnden Gewerkschaften unter Führung von ver.di noch weiter eingeknickt und haben in der dritten Verhandlungsrunde schließlich gestaffelten Lohnerhöhungen unter dem Inflationsniveau zugestimmt, bei jeweils 2 Jahren Laufzeit.

    So konnten die geplanten Einsparungen in dem Staatshaushalt von den öffentlichen Arbeitgebern problemlos auf dem Rücken der Beschäftigten durchgesetzt werden. Auch die verhandelnden Gewerkschaften zeigten einmal mehr, auf wessen Seite sie stehen und für wen sich die viel beschworene Sozialpartnerschaft eigentlich auszahlt.

    Die Verhandlungen im öffentlichen Dienst stehen beispielhaft für viele Tarifrunden, zum Beispiel in der Stahlindustrie. Hier wurde mit Hochdruck auf ein Verhandlungsergebnis gedrängt und letztlicheine Nullrunde für 2024 mit anschließender Lohnerhöhung um schlappe 5,5% beschlossen.

    Reallohnverlust in neuem Stahl-Tarifvertrag erwartet

    In vergangenen wie im neuen Jahr wird gelten: 100 Jahre DGB tun dem Kapital nicht weh. Die verabschiedeten Reallohnsenkungen in allen Tarifabschlüssen entlarven den Deutschen Gewerkschaftsbund und stellen die Arbeiter:innen vor die Wahl, sich mit der Senkung ihres Lebensstandards abzufinden, oder Wege zum Aufbau ein kämpferischen Arbeiter:innenbewegung zu suchen.

    Soziale Arbeit im Krisenmodus

    Der Kampf gegen die Kürzungen des Staatshaushaltes wurde stark von Sozialarbeiter:innen geprägt. Seit dem Frühjahr standen sie unter anderem in Berlin auf der Straße und machten ihrer Wut über die katastrophalen Bedingungen in der Jugendsozialarbeit Luft. Der Mangel an Personal ist enorm: Mitarbeiter:innen des Jugendamtes berichten, das sie sich um mehr als dreimal so viele Fälle kümmern müssen wie vorgeschrieben. Die dringende Unterstützung der Jugendlichen ist so nicht möglich und die Sozialarbeiter:innen werden zur Verwaltung des Elends verdammt.

    Die Ökonomisierung der sozialen Arbeit, die zur Verteilung der Leistungen auf viele private Träger geführt hat, unterwirft diesen existenziellen und systemrelevanten Bereich der wirtschaftlichen Effizienz. Die privaten Träger konkurrieren mit möglichst günstigen Angeboten um die Vergabe von Aufträgen durch den Staat. Dieser aber weigert sich, mehr Geld bereit zu stellen und z.B. Fallpauschalen zu erhöhen.

    Jugendsozialarbeit in der Krise. Können neue Protestformen Veränderung bringen?

    Zu Streikaktionen in den Einrichtungen kam es selten, auch weil durch die Privatisierung viele Sozialarbeiter:innen nicht nach TV-L bezahlt werden, sondern höchstens angelehnt an diesen. Eine legale Teilnahme an den Streiks blieb ihnen so verwehrt. Die Kundgebungen hatten dafür einen starken politischen Charakter, in denen die Zusammenhänge der kapitalistischen Wirtschaft mit dem Elend der sozialen Arbeit thematisiert wurden und klar gemacht wurde, wohin die Einsparungen im sozialen Bereich wandern: in die Finanzierung der Aufrüstung Deutschlands nach innen und außen und in Milliardensubventionen für die Industrie.

    Erfolgreicher Streik gegen Lohnunterschlagung in Gräfenhausen

    Viel Aufmerksamkeit und Solidarität zogen auch die Streikaktionen der LKW-Fahrer:innen auf dem Rasthof Gräfenhausen bei Frankfurt am Main auf sich. In zwei Streikaktionen erkämpften sich die Fahrer:innen von der Speditionsgruppe „Mazur“ ihre unterschlagenen Lohnzahlungen.

    Die vorwiegend aus Osteuropa und Zentralasien stammenden Fahrer:innen sind über Monate von ihren Familien in der Heimat getrennt. Als Fahrer:innen für große Speditionen in Europa transportieren sie Güter für Industrie- und Handelsmonopole. Dabei profitieren sie kaum vom höheren Lohnniveau der Länder, in denen sie arbeiten, sondern werden weiterhin durch das Fehlen eines europaweiten Mindestlohns um eine bessere Bezahlung gebracht. Dass der Unternehmer Mazur z.B. Sonntage nicht bezahlt und Lohnzahlungen zurückhält, ist leider keine Besonderheit, brachte hier aber das Fass zum Überlaufen.

    Ohne Streikkasse oder offizielle Gewerkschaft legten die Fahrer:innen ihre Arbeit nieder und bewiesen, dass sie keine Stellvertreter:innen brauchen, um ihre Forderungen geltend zu machen. Mit den LKW und deren Ladungen als Faustpfand hielt der Großteil der Fahrer:innen dem Druck bis zur Auszahlung aller Löhne stand und ließ sich nicht von Anzeigen und paramilitärischen Schlägerbanden der Mazur-Gruppe einschüchtern. Dabei half ihnen die Unterstützung von verschiedene Gewerkschaften und sozialistischen Organisationen, die vor Ort die Fahrer:innen besuchten, Sachspenden organisierten und über soziale Medien und Solidaritätskundgebungen für Öffentlichkeit und Rückhalt sorgten.

    Streikende LKW-Fahrer in Gräfenhausen setzen sich durch

    Nachdem sich die Verhandlungen ewig zogen, gingen einige LKW-Fahrer:innen im September aus Verzweiflung in den Hungerstreik. Die Länge des Kampfes, der für die Mazur-Gruppe zu immer höheren Kosten führte und die hohe Sympathie und Aufmerksamkeit, die er bekam, führten zu einer Einigung. Die Löhne wurden ausgezahlt, wobei zunächst unklar blieb, woher das Geld kam, da nur ein Teil von der Mazur-Gruppe selbst gezahlt wurde.

    Die Streiks der LKW-Fahrer:innen, aber auch der Streik der Hafenarbeiter:innen in Hamburg gegen die Teilprivatisierung der Hafengesellschaft HHLA zeigen, dass man sich nicht durch das strenge Streikrecht in Deutschland einengen lassen darf: Ob ein Streik genehmigt oder „wild“ ist, ändert nichts an seiner Legitimität und kann im Gegenteil zu größeren Erfolgen führen, wenn man den Angriffen durch die Kapitalist:innen gemeinsam widersteht.

    Stellvertreter:innentum? Nein, danke!

    Das Jahr 2023 hat uns eindrücklich gezeigt, was passiert, wenn wir unser Schicksal nicht selbst in die Hand nehmen: Reallohnverlusten, Ankündigungen von Entlassungswellen in der Industrie, Haushaltskürzungen und der Umverteilung nach oben wird kein Widerstand entgegengesetzt. Die DGB-Gewerkschaften sorgen sich vielmehr um den „Wirtschaftsstandort Deutschland“ und schmieren der Bundesregierung in Sachen Kriegspolitik Honig ums Maul.

    Uns Arbeiter:innen – sei es im Niedriglohnsektor, als studentische Hilfskräfte, Erzieher:innen, Bauarbeiter:innen, Arbeitslose oder Geflüchtete – bringt das nicht weiter. Eine Betriebsgruppe hat kaum einer von innen gesehen. Streik? – Nee, das gab’s hier noch nie.

    Den Kampf für unsere Interessen können nur wir selbst zum Erfolg führen. Dafür kämpfen wir gegen die Spaltung der Kolleg:innen wegen ihrer Herkunft oder ihres Geschlechs und schaffen uns unser organisatorisches Rückgrat im Betrieb und über Betriebe hinweg. Noch steckt die Arbeiter:innenbewegung in ihren Kinderschuhen. Aber wir zögern nicht und packen diese Aufgabe an. Wir sind mit ihr nicht allein.

    • Perspektive-Autor seit 2019 sowie Redakteur der Printausgabe. Auszubildender in der Metallindustrie in Berlin und Hobbykünstler.

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