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Montag, April 29, 2024
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    Kapitalist:innen der Chemie-Konzerne in der Krise: Politikwechsel soll Abhilfe schaffen

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    Zum Jahresende 2023 ist die Bilanz der deutschen Chemiemonopole negativ: 9 Quartale in Folge keine Besserung, dazu die Wirtschaftskrise in Deutschland und weltweit. Die hohen Energiepreise kann die Ampelregierung auch nicht senken, da sie im Haushalt sparen muss. Vertreter:innen der Branche fordern daher einen „tiefgreifenden Politikwechsel“.

    Die deutsche Chemieindustrie produzierte laut Berechnungen des Handelsblatts im Jahr 2023 insgesamt 23% weniger als 2021. Die Produktion schrumpfte um gut ein Zehntel. Rund 230 Milliarden Euro hätten die Unternehmen insgesamt eingenommen – 12% weniger als im Vorjahr.

    Der wirtschaftliche Einbruch resultiert aus der teuren Energie sowie der allgemeinen Konjunkturschwäche. Die Nachfrage sinkt im In- wie im Ausland, dazu erhöhen sich die Energiepreise eher noch, als dass sie sinken. Mit der Chemieindustrie steckt Deutschlands drittgrößter Industriezweig tief in der Krise.

    Selbst die zuletzt so erfolgsverwöhnte Pharma-Sparte musste ein Umsatzminus hinnehmen. Und mit der Sonder-Hochkonjunktur, bedingt durch Covid-Impfstoffe, ist es endgültig vorbei. Noch viel stärker hat es neben ihr die Firmen erwischt, die Seife, Kosmetika und Reinigungsmittel herstellen. Hier macht sich –  nicht nur in Deutschland – die durch die hohe Inflation schwindende Kaufkraft bemerkbar.

    Auch die Auftragspolster aus besseren Zeiten schrumpfen allmählich. Laut Markus Steilemann, Präsident des Verbands der Chemischen Industrie (VCI) und Vorstandschef von Covestro, bewege sich die Produktion seit neun Quartalen „unterhalb der wirtschaftlich notwendigen Grundauslastung von 82 Prozent“.

    Wenn sich daran bald grundsätzlich nichts ändere, müsse alsbald mit Anlagenschließungen gerechnet werden. Es ist bereits erkennbar, dass sich der lange Weg durchs tiefe dunkle Tal auch bei den Jobs bemerkbar macht. Die Beschäftigung schrumpfte im letzten Jahr – wenn auch noch minimal – um 1%.

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    Chemieindustrie aus Autoindustrie nicht wegzudenken

    Von „wesentlichen Abnehmern“ chemischer Produkte seien 2024 keine Impulse zu erwarten, so Steilemann. Da wäre z.B. die Autoindustrie, die zu den wichtigsten Kunden der Chemieindustrie gehört. Bremsend wirke auch, dass die Fahrzeughersteller sich in einer komplexen Transformation befänden. Das gelte auch für die Bau-Branche, die sich in Richtung „grünes Bauen“ bewege.

    Der VCI-Präsident weist darauf hin, dass derzeit hohe Zinsen, Inflation und steigende Mieten generell die Nachfrage drückten – für fast alle Konsumgüter werden Vorprodukte und Grundstoffe aus der Chemieindustrie benötigt. Und auch so ziemlich alles, was mit Klimaschutz und Energiewende zu tun hat, ist auf die Branche angewiesen – von der E-Auto-Batterie bis zur Photovoltaik-Zelle.

    Beim Thema Energiewende sieht Steilemann massive Defizite. Die Politik rede „zu viel vom Aussteigen und zu wenig vom Einsteigen“. Mit Aussteigen ist aktuell die Kohleverstromung gemeint, mit dem Einsteigen der notwendige Bau neuer Gaskraftwerke und der Ausbau von Netzen und Speichern.

    Chemiekonzerne im Konflikt mit der Regierung

    Das Spar-Paket der Ampel wird Gas, Heizöl, Sprit und vor allem Strom im kommenden Jahr wieder teurer machen. Die Chemie-Konzerne hoffen dabei auf Subventionen für den Strom, den die VCI-Unternehmen benötigen. In Deutschland koste die Kilowattstunde für Großabnehmer im Schnitt rund 15 Cent, in Frankreich seien es 9 Cent und in den USA sogar nur 4,4 Cent. Dass seine Bitten von der Bundesregierung erhört werden, ist höchst unwahrscheinlich. Beim Thema “Industriestrompreis” sind mehrere Verbände und Gewerkschaften bereits abgeblitzt.

    Stattdessen soll die Stromsteuer auf ein Minimum gesenkt werden. Doch durch die gerade beschlossene Streichung der Zuschüsse für die Netzentgelte wird der Strom mutmaßlich für viele Chemiebetriebe doch wieder teurer. Und Steilemann vermutet, dass es mit den Aufschlägen in den nächsten Jahren weitergeht.

    Tiefgreifender Politikwechsel erhofft

    Die Aussichten fürs nächste Jahr sind daher weitgehend trübe. Bei den wichtigsten Indikatoren (Umsatz, Preise, Aufträge) stehen negative Vorzeichen. Lediglich bei der Produktionsmenge erwartet die Branche eine Stabilisierung. Die Hoffnung auf Besserung verschiebt sich nach hinten. Eine Umfrage des Verbands hat ergeben, dass knapp die Hälfte der Betriebe erst 2025 eine Erholung der Geschäfte erwartet.

    Unter den führenden Kapitalist:innen der deutschen Chemie ist die Skepsis groß, ob die Industrie in den nächsten Jahren überhaupt wieder auf die Herstellungsmenge von 2021 zurückkommt: „Wir befinden uns mitten in einem tiefen, langen Tal“, so Steilemann. „Und noch ist unklar, wie lange wir es durchschreiten müssen.“ Er fordert daher einen „tiefgreifenden Politikwechsel“, um Hürden und Hindernisse hierzulande aus dem Weg zu räumen.

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