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Montag, April 29, 2024
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    Sechs Tage Bahnstreik – und das zeigt Wirkung bei den Herrschenden

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    Die Gewerkschaft GdL tritt nach einem neuen Angebot der Bahn erneut in den Streik, diesmal sechs Tage. Unsere herrschende Klasse – von Minister:innen bis zu Konzernchef:innen – mischt sich ein, und alle scheinen sich einig: Dieser Streik sei “unnötig”, die Gründe wären “ungenügend” und Gewerkschaftschef Weselsky missbrauche seine Macht. Warum wir uns von diesen Krokodilstränen über unsere “Fahrgastbelastung” nicht täuschen lassen sollten. – Ein Kommentar von Tabea Karlo.

    Die Debatte um den Bahnstreik heizt sich auf. Mit jedem Kommentar eines Ministers, einer Bundestagsabgeordneten, einer CEO, eines großen deutschen Autokonzerns oder des Bahnvorstands selbst entzündet sich das Feuer um die Debatte ein wenig mehr. Von Verkehrsminister Wissing bis zum Verband der Automobilindustrie (VdA) scheinen sich alle einig: Der Bahnstreik muss enden!

    Im Zuge dessen wird der streikenden Gewerkschaft GdL immer wieder ein Missbrauch ihrer Produktionsmacht vorgeworfen, und dass der Streik die Falschen träfe: uns Fahrgäste. Interessanterweise sind es aber wieder vor allem die Politiker:innen, Konzernchef:innen und Kapitalverbände, die sich am lautesten beschweren. Die Forderungen der GdL werden „überzogen“ genannt, Volker Wissing hat „null Verständnis“ für den Streik, und Chemie- und Autokonzerne fühlen sich „belastet“.

    Tatsächlich gehen viele Menschen momentan mit diesen Argumenten mit. Das liegt nicht unbedingt daran, dass sie kein Verständnis für die Bahnfahrer:innen hätten, sondern dass eben auch sie von den Konsequenzen der Streiks betroffen sind, z.B. dann, wenn sie nicht zur Arbeit kommen. Es liegt zuvorderst aber daran, dass man von morgens bis abends aus jedem Radio hören und in jeder Zeitung lesen kann, wie „bescheuert“ oder „unnötig“ der Streik sei.

    Ein guter Anlass, die brennendsten Fragen in Bezug auf den Bahnstreik zu klären:

    • Warum streikt die GdL erneut – ist das Angebot der DB wirklich so schlecht?
    • Warum mischen sich so viele Parteien in den Tarifkonflikt ein?
    • Und wann und wie wird der Streik beendet sein?

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    Warum streikt die GdL erneut – ist das Angebot wirklich so schlecht?

    In den letzten Wochen wurde vor allem eine Forderung der GdL in den Vordergrund gerückt: Die 35-Stunden-Woche, bei vollem Lohnausgleich. Die Deutsche Bahn (DB) brüstet sich derzeit damit, doch genau auf diese Forderung eingegangen zu sein. Das Ergebnis: eine 37-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich, sofern es die Personalsituation zulasse. Nicht nur sind das 2 Wochenstunden unter der Forderung der GdL und somit keine großartige Verbesserung, da wird auch noch an die Bedingung geknüpft, dass genug Personal da sei – Personal, das sich übrigens mit besseren Arbeitsbedingungen viel leichter finden ließe. Das ‘Entgegenkommen’ des DB-Managers Martin Seiler auf die GdL entpuppt sich damit schnell als Taschenspielertrick.

    Darüber hinaus trügt das Brennglas auf diese eine Forderung. Sie ist zwar eine der Hauptforderungen der GdL, allerdings nicht die Einzige. Sie wird vor allem von verschiedenen Akteuren deshalb herausgepickt, um die Gewerkschaft der Lokomotivführer als „Traumtänzer“ darzustellen, die keinen Bezug zur Realität hätten, und um dafür ein gesellschaftliches Klima auszunutzen, in dem die Bürger:innen ohnehin schon stark gegeneinander ausgespielt werden.

    Viele Menschen leiden unter der hohen Arbeitsbelastung, unter 40-Stunden-Wochen, die schleichend wieder zu 42-Stunden-Wochen werden und unter Renten, die nicht mehr mit 65, sondern bald mit 70 ausgezahlt werden. Diese berechtigte Frustration wird nun von den eigentlich schuldigen profitgierigen Konzernchefs mit Millionengehältern auf die schichtarbeitenden Lokführer:innen umgelenkt. 35-Stunden-Wochen sind aber keineswegs unrealistisch, noch nicht einmal unrentabel. Und wenn wir uns zusammen tun, könnten wir sie eventuell durchsetzen. Das hat sich in diesem Tarifstreik bereits bei 18 Unternehmen gezeigt, wo die GDL bereits solche Abschlüsse erreicht hat – nur eben bei der DB noch nicht.

    Weitere Forderungen sind zum Beispiel endlich Tarifverträge für den Geschäftsbereich ‘Fahrweg’ der “DB InfraGO AG” (zum Beispiel für Fahrdienstleister) und einen Bundes-Rahmentarifvertrag für die Fahrzeuginstandhaltung zu schaffen. Die Deutsche Bahn weigert sich, darüber zu verhandeln und argumentiert mit dem Tarifeinheitsgesetz, nach dem nur diejenige Gewerkschaft Tarifverträge verhandeln darf, die die Mehrheit der Betriebe in sich vereint. Welche das jeweils ist, stellt die Deutsche Bahn selbst fest und behauptet zunächst einmal, in diesen Bereichen sei dies eben die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), welche im DGB organisiert ist.

    Zu Recht wird dieses intransparente Verfahren von der GdL angeprangert. Seit 2021 streitet sie darum – selbst vor Gericht. Bisher gibt es aber keine rechtskräftige Entscheidung dazu. Das sogenannte Tarifeinheitsgesetz ist bereits  an sich ein fragwürdiges und arbeiter:innenfeindliches Gesetz, doch in dieser Situation ist sogar fast unmöglich, sich auf seine rechtmäßige Anwendung zu verlassen.

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    Die DB bietet zuletzt außerdem eine Tarif-Bindung von 32 Monaten an: die dort angebotenen 11% Lohnerhöhung beliefen sich also auf weniger als 3,5% pro Jahr. Bei der derzeitigen Inflation würde das faktisch sogar eine Verschlechterung des Tarifniveaus bedeuten. Obendrein wäre es selbst mit den angebotenen 3,5% nach Aussage der GdL nicht möglich, an die bereits vereinbarten Entgelterhöhungen mit 18 anderen Konzernen auch nur ansatzweise heran zu reichen. Manche haben bereits Tarifverträge mit der GdL über eine Laufzeit von 24 Monaten abgeschlossen.

    Warum mischen sich so viele unterschiedliche Parteien in den Tarifkonflikt ein?

    Der Konflikt reicht längst weit über die Deutsche Bahn und die GdL hinaus: In den letzten Tagen schalteten sich vermehrt Politiker:innen, Chef:innen anderer Konzerne und Medien ein. Viele von ihnen hetzten recht deutlich gegen die GdL und versuchen, Fahrgäste gegen sie aufzuhetzen. So unter anderem auch der Fahrgastverband Pro Bahn, dessen Bundesvorsitzender Detlev Neuß den Streik als für „Reisende schwer erträglich“ bezeichnete. Im April hatte er noch Verständnis für die Streiks geäußert.

    Hinzu kommen zahlreiche Unternehmer:innen und Industrielle. Johannes Pöttering, Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände NRW (Unternehmer NRW“ äußerte zuletzt, dass der Streik „völlig unverhältnismäßig und überzogen“ sei. Schäden für die Wirtschaft seien „immens“, wenn „Lieferketten für die Vorprodukte und fertige Produkte nicht transportiert werden und wenn Berufspendler nicht fahren können“. Das kapitalnahe Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln schließt sich der Hetze an: schon der erste Streiktag koste rund 100 Millionen Euro an volkswirtschaftlicher Leistung bundesweit. IW-Ökonom Grömlig spricht davon, dass schnell eine Milliarde Euro Schaden entstehen könne.

    Auch verschiedene Kapital-Verbände stimmen in den Chor mit ein: Die Transportlogistik werde durch den Bahnstreik stark belastet und somit auch die Unternehmen der deutschen Automobilindustrie, teilt der Verband der Automobilindustrie (VDA) mit. Der Verband der chemischen Industrie (VCI) schließt sich an.

    Falsch liegen Unternehmer:innen und Ökonominnen damit nicht: der Profitverlust durch die Bahnstreiks ist hoch. Für die Verteidigung des Streiks darf es nicht darum gehen, vor allem für die Sozialpartnerschaft zu argumentieren und letztlich zu behaupten, dass in Wirklichkeit gar kein wirtschaftlicher Schaden entstehe. Auch wenn die DB diesen Schaden vielleicht überdramatisiert, entstehen natürlich Profit-Verluste.

    Diese Verluste sollten von Menschen, die sich solidarisch mit den Streiks zeigen, nicht „kleingeredet“ werden. Vielmehr muss klar sein, dass wirtschaftliche Verluste immer ein Teil von Streiks sind. Denn Streiks sind eben eines der wenigen Mittel, mit denen Arbeiter:innen ihre Rechte durchsetzen gegen Unternehmen, deren Hauptinteresse dem ihrigen diametral entgegensteht. Arbeiter:innen wollen bessere Bedingungen, Unternehmen wollen größere Profite. Beides zugleich kann es nicht geben.

    Und wann und wie wird der Streik beendet?

    Im Streik der GdL zeigt sich, dass die Deutsche Bahn versucht, ihre Monopolstellung auszunutzen. Sie mobilisiert alle Kräfte gegen die Streiks, bezeichnet die Abschlüsse mit anderen Unternehmen als „PR-Gag“ und versucht den Konflikt so darzustellen, als ob es nur an der GDL liege, dass die Streiks weitergingen.

    Doch die Monopolstellung der DB bedeutet eben zeitgleich eine enorme Anzahl an Arbeiter:innen – Arbeiter:innen, die sich momentan ihrer Kraft und Macht zumindest in Teilen bewusst werden und sie nutzen.

    Für eben diese Profit-Verluste suchen sämtliche Teile des Kapitals nun einen Schuldigen, und das ist natürlich die Gewerkschaft. Die Lösung: Die GdL soll – wie so viele andere Gewerkschaften nach der x-ten Verhandlungsrunde – ihre Hauptforderungen aufgeben und sich schön gemäßigt am Verhandlungstisch über selben ziehen lassen. Die beliebteste Methode, um das zu erreichen: Die Gewerkschaft, ihren Vorstand sowie sämtliche Mitglieder öffentlich unter Druck zu setzen und durch den Dreck ziehen.

    In Wahrheit ist es aber vor allem die Deutsche Bahn, die den Streik sofort beenden könnte, würde sie sich auf die Forderungen der Arbeiter:innen einlassen und nicht weiterhin auf ihren schlechten Arbeitsbedingungen beharren. Wer den Streikenden die Verantwortung zuschiebt, macht nichts anderes, als einem Millionenkonzern ein Freifahrtschein für die verschärfte Ausbeutung seiner Arbeiter:innen auszustellen. Und das auch noch zu verteidigen.

    • Perspektive-Autorin seit 2017. Berichtet schwerpunktmäßig über den Frauenkampf und soziale Fragen. Politisiert über antifaschistische Proteste, heute vor allem in der klassenkämperischen Stadtteilarbeit aktiv. Studiert im Ruhrpott.

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