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Montag, April 29, 2024
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    Zehntausende Traktoren bei Autobahnblockaden – wie geht es weiter?

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    Am Montag ist die Aktionswoche von Landwirt:innen gegen Kürzungen der Bundesregierung mit massenhaften Blockaden von Autobahnen und Bundesstraßen gestartet. Der Deutsche Bauernverband spricht von „100.000 Traktoren“ in ganz Deutschland. Politisch ist die Bewegung breit gefächert, wobei konservative und rechte Kräfte führend sind. Die Regierung will über bisherige Zugeständnisse hinaus an den Kürzungen festhalten. Am 15. Januar soll zum Abschluss eine Großdemo in Berlin stattfinden.

    „Das war ein erfolgreicher Start in unsere gemeinsame Aktionswoche“ – so wertet Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbands, die ersten Proteste der Bäuer:innen aus.

    Bis zu 5.500 Traktoren in München, ein großer Konvoi im Hamburger Berufsverkehr, in Höchster/NRW kamen etwa 5.000 Personen zu einer Kundgebung zusammen, darunter auch viele Menschen, die nicht in der Landwirtschaft arbeiten. In Mecklenburg-Vorpommern wurden nach Angaben der Tagesschau nahezu alle Autobahnauffahrten blockiert.

    Thematisch waren die Kundgebungen vielfältig und gingen oft über die beschlossenen Kürzungen hinaus. In Freiburg sprachen auf einer Kundgebung von mehreren tausend Menschen Redner:innen von dem Deutschen Bauernverband und Land schafft Verbindung. Inhaltlich bemängelten die Reden insbesondere eine verfehlte Agrarpolitik sowie zu niedrige Abnehmerpreise. In Ostsachsen wiederum wurde bei einer Blockade-Aktion mit polnischen Bäuer:innen vor allem der billige Getreideimport aus der Ukraine kritisiert.

    Anlass der Proteste war die Entscheidung der Bundesregierung Mitte Dezember, rund 1 Milliarde durch das Ende der Steuerprivilegien für Fahrzeuge in der Land- und Forstwirtschaft und der Steuerbegünstigung für Agrardiesel einzusparen. Daraufhin war es wenige Tage später bereits zu einer Demonstration tausender Landwirte in Berlin gekommen, die größtenteils mit Traktoren vorfuhren.

    Auf dieser Demonstration hatte Rukwied dann für den Deutschen Bauernverband  angekündigt, ab dem 8.1. wieder auf die Straße zu gehen, sollte die Regierung die Kürzungen nicht zurückzuziehen.

    Bauernverband eröffnet die Protestbewegung gegen die Sparpläne der Regierung

    Bereits Anfang Januar gab es wieder erste Aktionen in Hammelburg und am 4. Januar im nordfriesischen Schlüttsiel. Dort hatten 250 Bäuer:innen mit Traktoren den Hafen umstellt, an dem der Bundeswirtschaftsminister von seinem Urlaub auf Hallig Hooge anlegen wollte. An der Anlegestelle kam es zu Tumulten, bei der die Polizei auch Pfefferspray einsetzte. Habecks Fähre legte wieder ab. Dennoch wurden anschließend wurde von der Polizei keine Anzeigen geschrieben.

    Einen Tag später nahm die Regierung dann die Hälfte der Kürzungen zurück, indem die KFZ-Steuerbefreiung nun doch nicht weggestrichen werden sollte. Auch die Subvention des Agrardiesels solle nun nur noch gestaffelt zurückgefahren werden.

    „Fass zum Überlaufen gebracht“

    Mit der Rücknahme war zum einen der Beweis erbracht, dass Protest Wirkung zeigt und es möglich ist, heftige Angriffe auf die Betroffenen zumindest zu entschärfen. Doch reichten die Zugeständnisse der Regierung nicht aus, um die Protest-Aktionen zu stoppen.

    In vielen Beiträgen wurde deutlich gemacht, dass die Kürzungen vor allem der Auslöser waren, der das „Fass zum Überlaufen“ gebracht habe, wie sich etwa die Junge Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft in einem Video äußerte.

    Man sei nicht vorrangig „sauer“ wegen der Kürzungen, sondern grundsätzlich unzufrieden über „30 Jahre verfehlte Landwirtschaftspolitik“. Man wolle nicht abhängig von Zuschüssen sein, allerdings von der eigene Produktion leben können. Zugleich wird in dem Video vom Sonntag auch von der „Unterwanderung von Rechts“ gesprochen, gegen die man sich stellen wolle.

    Rechts?

    Laut ARD-“Extremismusexperten“ würden „rechtsextreme Organisationen“ versuchen, sich auf die Proteste „draufzusetzen“. Der Moderator sprach im ARD-Brennpunkt von „Trittbrettfahrern“.

    Dies scheint sich bundesweit jedoch höchst verschieden darzustellen: In Chat-Gruppen zur Koordination der Proteste etwa der sächsischen Stadt Görzlitz von Land schafft Verbindung, die Perspektive einsehen konnte, zeigen sich etwa durchgängige rechte bis faschistische Agitationen zu Themen, die weit über die Landwirtschaft hinausgehen – die Administratoren lassen die Akteure jedoch ungehindert gewähren.

    Darunter finden sich z.B. wilde Verschwörungserzählungen über den „Great Reset“ sowie Videos von rechten „Künstler:innen“, welche mittels der Proteste versuchen, zum Kampf gegen „Invasoren“ – gemeint sind Migrant:innen – aufzurufen. Dies dürfte auch Ausdruck einer breiten rechten Grundstimmung unter den Landwirt:innen sein und nicht nur einer “Unterwanderung”. In Dresden waren offensichtlich faschistische Kräfte so stark, dass der sächsische Bauernverband sich entschied, keine Aktion durchzuführen.

    In Berlin sei die Lage so gewesen, dass Personen aus der Neonazi-Gruppe III. Weg versucht hätten, sich unter die Demonstrierenden in Berlin zu mischen, wobei es eine breite Ablehnung der Gruppe gegeben habe, so das linke Arbeiter:innenkollektiv Betriebskampf“ auf Instagram.

    Auch von der Großkundgebung in Freiburg – an der mehrere tausende Menschen teilnahmen – berichteten Perspektive-Korrespondent:innen darüber, dass viele sehr interessiert daran seien, sich gegen eine „Vereinnahmung von rechts“ zu stellen.

    Auf einer Kundgebung von Land schafft Verbindung Sachsen am Mittwoch zeigte sich dann die gesamte politische Breite. So sprachen sich gleich mehrere Redner gegen “Hass und Hetze” aus. Sie forderten zudem auskömmliche Preise. Ein Ostbauer erklärte zugleich, man benötige “Deregulierung”, wozu auch der Abbau des Mindestlohns gehöre, denn dieser sei ein “Wettbewerbsnachteil allererster Güte”. Eine weitere Rednerin grenzte sich von den Arbeiter:innenkämpfen der GdL im Bahnstreik ab: “Wir stehen nicht auf, um für eine 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich zu demonstrieren, wir stehen auf, weil durch die herrschende Politik und ihre Fehlentscheidungen reihenweise Existenzen bedroht sind und schon gescheitert sind”, so die Rednerin. Anschließend erklärte sie, dass man in dem Land kaum noch seine eigene Meinung sagen dürfe, und man müsse dagegen sein, dass Geld “in aller Herren Länder” verschenkt würde. Andere Redner:innen betonten, man wolle man sich “nicht in die Rechte Ecke” stellen lassen. Man sei “völlig unpolitisch”, hier sei die “Mitte der Gesellschaft”, die “ihr Land verteidigen” wolle.

    Ebenfalls der Bauernverband Deutschland grenzte sich mehrfach von „radikalen Kräften“ ab. Zugleich steht er in enger Verbindung zu Parteien wie der CSU und den „Freien Wählern“, die in Bayern seit langem eine rechte Politik fahren. Nicht nur die AfD wittert deshalb ihre Chance bei der Unterstützung der Proteste, sondern auch CDU/CSU, die sich teilweise offen hinter die Proteste stellen. Dabei hatten sowohl AfD als auch CDU ursprünglich selbst im Rechnungsprüfungsausschuss die Kürzungen eingefordert.

    Bundesregierung will durchziehen – wie geht es weiter?

    Ungeachtet der Proteste erklärte Bundeskanzler Olaf Scholz, an dem Zurückfahren der Agrardiesel-Unterstützung festhalten zu wollen. Ansonsten könne man wohl „niemals eine Subvention abbauen“. Wirtschaftsminister Habeck ging sogar in die Offensive und kritisierte in einem Video „Umsturz-Phantasien“.

    Zugleich zeigt sich – zumindest nach außen hin – Widerspruch. So sprach sich etwa die SPD-Ministerpräsidenten Manuela Schwesig in der Tagesschau offensiv gegen weiterbestehende Kürzungen aus.

    Für die kommenden Tage sind weiterhin diverse Proteste geplant. Am 15. Januar sollen dann zum Ende der Aktionswoche tausende Landwirt:innen in einem Sternzug auf Berlin zu einer Großkundgebung zusammenkommen.

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