Die “Letzte Generation” kündigt für dieses Jahr einen Strategiewechsel an. Hiermit soll die „Zeit der Straßenblockaden und des Klebens” enden. Doch mit welcher Herangehensweise plant die Gruppe den Kampf gegen Umwelt- und Klimazerstörung nun weiterzuführen? – Ein Kommentar von Phillipp Nazarenko
Vor ca. zwei Jahren trat die Letzte Generation in Deutschland erstmals öffentlichkeitswirksam ins Rampenlicht. Straßenblockaden durch sich am Boden festgeklebte Aktivist:innen mit orangenen Westen und Transparenten gegen den Klimawandel – dieses Bild kennen wir als Hauptaktionsform der Gruppe bereits ganz gut.
Zwar gab es auch andere Aufmerksamkeit erregende Proteste der Gruppe, wie z.B. das Bewerfen mit Farbe auf Gemälde in Museen. Der Straßenprotest aber wurde zum Markenzeichen der noch kleinen Organisation. Damit erregte sie jedoch bundesweit Aufmerksamkeit: Ziviler Ungehorsam als leitendes Ideal, immer gewaltlos, aber mit viel Selbstaufopferung – man kann der Letzten Generation nicht vorwerfen, ihre Aktivist:innen seien nicht bereit gewesen, einzustecken.
Relativ schnell mehrten sich die Vorfälle, bei denen wütende Passant:innen bzw. Leute, die durch die Hindernisse blockiert wurden, gewaltsam auf die sogenannten „Klimakleber” losgingen, sie schlugen oder von der Straße zerrten. Auch die Polizei ging oft mit brutaler Gewalt gegen die wehrlosen Aktivist:innen vor.
Parallel zur realen Gewalt erfuhr die Letzte Generation eine neue Qualität der medialen Rufmordkampagne: Zeitungen wie die BILD betitelten sie z.B. als „Klima-RAF”. In der bundesdeutschen Medienlandschaft herrschte praktisch die Einheitsmeinung, es handle sich um eine „extremistische” und potenziell verbrecherische Vereinigung. So kam es auch zu Hausdurchsuchungen gegen vermeintliche Mitglieder der Organisation – mit dem Ziel, sie als kriminelle Vereinigung zu verbieten.
Eine „neue Ära“ habe begonnen
„Ab März werden wir zu ungehorsamen Versammlungen im ganzen Land aufrufen“, heißt es nun in einer Erklärung der Letzten Generation. Statt sich in Kleingruppen aufzuteilen und Straßenblockaden zu machen, wollen sie nun gemeinsam mit vielen Menschen „ungehorsame Versammlungen“ ausrichten – und zwar da, wo sie „nicht ignoriert werden“ könnten. Somit beginne eine „neue Ära“ des „friedlichen, zivilen Widerstands“. Das „Kapitel des Klebens und der Straßenblockaden“ ende damit, so die Letzte Generation.
Soweit die Beschreibungen der Gruppe zu ihren Pläne fürs kommende Jahr. Zudem sollen auch “die Verantwortlichen” für die Klimakrise – im besten Fall vor laufenden Kameras – mit dem Problem konfrontiert werden. Speziell Orte der Klimazerstörung wie „Pipelines“ oder das „Betriebsgelände von RWE“ sind als künftige Ziele von Aktionen angedacht.
Warum der Strategiewechsel?
Doch warum gerade jetzt dieser Strategiewechsel erfolgt, geht aus dem Positionspapier kaum hervor. Es ist die Rede davon, dass man seine Kräfte vergrößern konnte und somit neue Aktionsformen möglich geworden seien. Aber eine Auswertung der letzten zwei Jahre bleibt die Letzte Generation schuldig.
Eine weit verbreitete Kritik an ihren Aktionsformen war, dass sie durch ihre Blockaden in erster Linie Arbeiter:innen, also ganz normale Leute auf ihrem Weg von oder zur Arbeit, zu den Kindern oder zum Einkaufen behinderten. Viele hatten dann aus Zeitdruck meistens wenig Geduld oder Interesse für die Anliegen der Aktivist:innen übrig.
Im Gegensatz zu Aktionen wie vom Klimaprotestbündnis Ende Gelände, bei denen fossile Infrastruktur blockiert wurden, blieben die Aktionen der Letzten Generation bislang eher systemkonform. Nur selten wurden Aktionsformen gewählt, bei denen die Verursacher der Klimakrise und der Umweltzerstörung wie Großkonzerne (RWE, Vattenfall, BMW, etc.) bzw. ihre politischen Vertreter:innen (die bürgerlichen Politiker:innen) konfrontiert oder in der Öffentlichkeit entlarvt wurden.
Zwar scheinen die Aktivist:innen in Zukunft auf genau diese Aktionsformen setzten zu wollen. Es bleibt jedoch fraglich, ob die reine Veränderung der Protesformen wirklich etwas am Wesen der Organisation zu verändern vermag. Eines steht fest: die politische Ausrichtung auf Reformen ‘von Oben’ und das Bittstellen an die Reichen und Mächtigen, endlich mal auf die Forschung und die Verfassung zu hören und demokratisch zu handeln, bleibt weiterhin illusorisch.
Einige Widersprüche bleiben
Zu allem Überfluss setzt die Gruppe auch in Zukunft auf einen „einfachen Appell an den Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier“, endlich mal eine offene und ehrliche Diskussion über die Gefahren der Umwelt- und Klimazerstörung loszutreten. Dass ausgerechnet Steinmeier (SPD), der mit der „Agenda 2010“ und den sogenannten „Anti-Terror-Gesetzen“, die knallhart die Interessen die herrschenden Kapitalist:innenklasse in Deutschland verkörpern, in ihrer Presseerklärung als Institution der Neutralität und Vernunft hochgehalten wird, zeigt den Widerspruch zwischen Anspruch und Ausrichtung der Aktivist:innen.
Ist Bundespräsident Steinmeier wirklich ein toller “Verteidiger der Demokratie”?
In diesem Sinne bleibt es abzuwarten, ob die Letzte Generation ihren Worten von nun an wirklich konsequentere Taten folgen lässt. Und ob das diejenigen Arbeiter:innen, die in ihren Aktionen wenig Perspektive gesehen haben, zum Umdenken anregen wird, erscheint ebenso fraglich.