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Dienstag, März 19, 2024
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    Repression gegen Letzte Generation: Warum man ihre Aktionsformen kritisieren kann und trotzdem solidarisch sein sollte

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    Die „Letzte Generation“ sieht sich nun mit der dunklen Seite des kapitalistischen deutschen Staats konfrontiert. Nachdem staatliche Integrationsversuche vorerst scheiterten, werden jetzt mediale Propaganda und eine Kriminalisierung durch die bürgerliche Regierung bemüht. Warum man ihre Aktionsformen kritisieren kann und dennoch solidarisch sein sollte – auch bei den nun stattfindenden Protestaktionen. – Ein Kommentar von Ahmad Al-Balah.

    Seit gut einem Jahr protestieren Aktivist:innen unter der Losung „Letzte Generation“ nun schon auf Straßen, Flughäfen und Plätzen in Deutschland. Nun dürfte es angesichts der Repressionen derzeit einige Teile der Arbeiter:innenklasse geben, die sich so etwas denken wie: “endlich macht mal jemand was gegen die Klimakleber”. Das ist auf den ersten Blick verständlich, unterscheidet die Letzte Generation doch noch zu selten erkennbar, ob sie mit ihren Aktionsformen Arbeiter:innen oder die für den Klimawandel verantwortlichen Regierenden, Banken und Konzerne treffen.

    Immerhin: in England wurden kürzlich Privatjets blockiert, was von der Letzten Generation in Deutschland durchaus geteilt wurde.

    Obgleich die Wahl ihres Mittels – nämlich als Kleingruppen und ohne Massendynamik allgemeine Verkehrsstraßen zu blockieren – kritisiert werden sollte, dürfen wir ihre Kriminalisierung durch den deutschen Staat und tätliche Angriffe durch wütende Autofahrer nicht leichtfertig hinnehmen. Denn letztlich sind es Menschen, die sich aus voller Überzeugung für die Rettung unserer schon nicht mehr gesunden Umwelt einsetzen. Etwas, das unser Staat nicht gewährleisten kann, der  derzeit eher durch Korruption, Kriegsvorbereitungen und die Unterstützung deutscher Großunternehmer auffällt.

    Der Staat schlägt zu: 129er gegen die Letzte Generation

    Nachdem man staatlicherseits zunächst versuchte, die Bewegung zu integrieren, werden nun andere Saiten aufgezogen: Am Mittwoch kam es nun erneut zu mindestens 15 Razzien bundesweit. Grund dafür sind die Ermittlungen gegen Mitglieder der Gruppe wegen des Verdachts auf „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ oder deren Unterstützung. Im April 2023 entschied die Staatsschutzkammer am Landgericht Potsdam, der Anfangsverdacht einer „kriminellen Vereinigung“ sei durchaus gegeben.

    Bundesweite Razzia gegen “Letzte Generation”

    Bereits im Dezember 2022 wurden im Kontext von Protestaktionen gegen die Erdöl-Pipeline zwischen Rostock und Schwedt durch die Staatsanwaltschaft Neuruppin die Ermittlungen nach §129 StGB eingeleitet und Hausdurchsuchungen vollstreckt. Am Mittwoch wurden nun neben Laptops, Handys und Co. auch die Webseite und Konten der Gruppe beschlagnahmt.

    Der auch als „Schnüffelparagraf“ bekannte §129 eröffnet dem Staat vielerlei Möglichkeiten, demokratische Rechte massiv einzuschränken. Er wird heute benutzt, um gesellschaftlich dem Staat potenziell gefährliche antikapitalistisch Kämpfe anzugreifen: So wurden schon Teile des revolutionären kurdischen sowie des palästinensischen Freiheitskampfes (z.B. Samidoun), die antifaschistischen Bewegung (z.B. Lina E.) und kommunistische Gruppen (z.B. der “Rote Aufbau Hamburg”) kriminalisiert.

    Deshalb muss jedes 129er-Verfahren gegen fortschrittliche Gruppierungen zurück gewiesen werden.

    Warum wird die „Letzte Generation“ kriminalisiert?

    Klima-Reform oder Klima-Revolution?

    Eine wirklich durchdachte Organisationsform erfordert eine ideologische Klarheit darüber, ob Klimaschutz im Kapitalismus funktionieren kann. Entweder fehlt diese Erkenntnis der Letzten Generation oder sie glaubt wirklich an die PR-Kampagne vom „grünen Kapitalismus“.

    Noch bis vor Kurzem hat die Letzte Generation (pauschal gesprochen) offensichtlich geglaubt, dass man den Deutschen Staat mit störerischen Aktionsform dazu bringen könnte, nachhaltig etwas für das Klima zu tun.

    Dass dies mit den Interessen der herrschenden Kapitalisten:innenklasse – inklusive unseren geschätzten Politiker:innen – unvereinbar ist, denen es ja in erster Linie um sich selbst und die Maximierung der eigenen Profite bzw. des eigenen Vorteils geht, wird dabei nicht klar herausgestellt, sondern sträflich vernachlässigt.

    In diesem Sinne ist es ein gutes Zeichen, dass die Letzte Generation sich mit Verkehrsminister Volker Wissing nicht einig werden konnte. Eines der Mittel des Staates gegen solche potenziell gefährlichen Bewegungen wäre ja die Integration in das kapitalistische System. In diesem Fall heißen hier die Stichworte „Grüner Kapitalismus“ und „Greenwashing“ im Stile von „das Klima ist uns wichtig“ und die Partei „Die Grünen“.

    Das wäre dann zwar der bürgerliche Ausweg und das Ende des ehrlichen Kampfes für eine bessere Welt, aber ohne ideologische Klarheit auch in Teilen der Letzten Generation nicht undenkbar.

    Warum die „Letzte Generation“ dem deutschen Staat wirklich auf die Nerven geht

    Natürlich sind die Unterbrechungen im Verkehr für deutsche Unternehmen und den Staat verlustreich und sie nerven enorm. Doch die relativ unbedeutenden Klebeaktionen stehen im Schatten einer viel bedrohlicheren Entwicklung für den deutschen Staat: dem Aufleben des zivilen Ungehorsams.

    Erinnern wir uns nur an den Weihnachtsbaum im Herzen der Hauptstadt, dem die Spitze am helllichten Tage mithilfe einer Hebelbühne abgeschnitten wurde. Gerade jetzt, wo der deutsche Staat zur Kriegsvorbereitung übergeht, wird ideologisch viel Wert auf den Obrigkeitsgehorsam der Deutschen gesetzt.

    Natürlich hinkt der Vergleich mit der RAF, deren Aktionsformen deutlich radikaler waren. Doch es ist schon bemerkenswert, dass die Regierenden eben aus jener Angst vor einer wachsenden Popularität eines neuen linksradikalen Ungehorsams diesen Vergleich ziehen.

    Was tun? Solidarität und Perspektive zeigen

    Was die Letzte Generation gezeigt hat, ist, dass der preußisch-deutsche Gehorsam, der uns schulisch und staatlich eingetrichtert wurde, durchbrochen werden kann, wenn genügend Überzeugung für eine Sache vorhanden ist und eine gewisse Form der Kollektivität und Organisierung besteht.

    Übersetzt für die gesamte Arbeiter:innenklasse bedeutet das: wir müssen uns nicht  alles bieten lassen. Solche Aktionsformen können auch massenhaft zur Anwendung kommen – mit klarem Ziel und klarer Perspektive. Etwa wenn wir uns nicht zwangsräumen lassen, Energieunternehmen blockieren, die uns den Strom abstellen, oder in den Ausstand im Betrieb treten. Eine klare Haltung gegen die Repression des Staates wird dabei ebenso notwendig sein, wie der Zusammenschluss verschiedener Bewegungen mit dem gleichen Ziel.

    In diesem Sinne sind die Solidaritätsaktionen derzeit zu unterstützen, ebenso wie Formen des Protests, die an den kommenden Mittwochen in ganz Deutschland stattfinden sollen. Wenn die Letzte Generation der bürgerlichen Regierung zu Recht den Rücken kehrt und für den Kampf um unsere Umwelt kriminalisiert wird, sollten wir ihr die Hand reichen.

    • Ahmad Al-Balah ist Perspektive-Autor seit 2022. Er lebt und schreibt von Berlin aus. Dort arbeitet Ahmad bei einer NGO, hier schreibt er zu Antifaschismus, den Hintergründen von Imperialismus und dem Klassenkampf in Deutschland. Ahmad gilt in Berlin als Fußballtalent - über die Kreisliga ging’s jedoch nie hinaus.

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