Die Deutsche Bahn klagt im Eilverfahren gegen den angekündigten Streik der GDL von Dienstag bis Mittwoch und schlägt wieder einmal harte Töne an. Die GDL weist die Vorwürfe zurück und macht die Bahn für die Streiks verantwortlich, da diese kein Angebot vorlege. – Ein Kommentar von Alexandra Baer.
Die Deutsche Bahn hat im Tarifstreit mit der Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL) am Dienstag Klage und Eilantrag beim Arbeitsgericht Frankfurt gegen den erneuten Streik der GDL eingereicht. Am Sonntagabend hatte die Lokführer-Gewerkschaft angekündigt, von Dienstag 2 Uhr in einen 24-stündigen Streik zu treten. Es ist der bisher sechste Streikaufruf im diesjährigen Tarifkonflikt der GDL mit der Deutschen Bahn.
Geschäftsführer Seiler nennt den Streik der GDL „unverhältnismäßig“ und „eine blanke Zumutung.“ Die Lokführer-Gewerkschaft beruft sich hingegen darauf, dass seit Ende Januar ein Einigungspapier auf dem Tisch der Deutschen Bahn liege und diese dennoch die bis zum 10. März gesetzte Frist, ein Angebot zu unterbreiten, habe verstreichen lassen. Die Deutsche Bahn tue so, als sei die GDL nicht kompromissbereit, dabei komme von der Deutschen Bahn momentan nichts.
Vor Gericht führt die Deutsche Bahn hingegen an, dass die GDL die Deutsche Bahn „rechtswidrig“ auffordern würde, das „Tarifeinheitsgesetz” nicht einzuhalten. Aber was hat es eigentlich mit dem „Tarifeinheitsgesetz” (TEG) auf sich?
„Ein Betrieb – ein Tarifvertrag“
Ab Ende der 20er-Jahre galt in der Rechtsprechung der – durch den Nationalsozialisten und Juristen Nipperdey geprägte – Grundsatz, dass innerhalb eines Betriebes auch nur ein Tarifvertrag gelten solle. Dieser sogenannte Grundsatz der Tarifeinheit, der auch immer noch in der Satzung des DGB verankert ist, blieb bis 2015 bestehen, als das Bundesarbeitsgericht in ihm eine unzulässige Einschränkung der Koalitionsfreiheit aus Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz sah.
Diese Entscheidung traf nicht nur bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) auf Unmut, sondern auch beim DGB. Die Arbeitgeber, die durch die BDA vertreten werden, wollten nicht mit noch einer Gewerkschaft mehr verhandeln und weitere Streiks in Kauf nehmen, während sich die Gewerkschaften des DGB insbesondere durch sogenannte „Berufsgruppengewerkschaften” wie die GDL bedroht sahen.
Berufsgruppengewerkschaften vertreten grundsätzlich nicht alle Arbeiter:innen eines Betriebs, sondern nur eine bestimmte Berufsgruppe. Der DGB kritisiert an den Berufsgruppengewerkschaften wie der GDL, dem Marburger Bund oder der Vereinigung Cockpit, dass diese nur die gut verdienenden Arbeiter:innen in Schlüsselpositionen organisieren und so die Verhandlungsposition der anderen Berufsgruppen schwächen würden. Gleichzeitig sehen sich viele Berufsgruppen von den DGB-Gewerkschaften nicht ausreichend vertreten, weil diese entweder Reallohnverluste verhandeln würden oder die besonderen Bedürfnisse bestimmter Berufsgruppen nicht beachteten.
Der DGB und die BDA schlossen sich nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts zu einer Tarifeinheit zusammen und veröffentlichten ein gemeinsames Positionspapier, auf dessen Grundlage das sogenannte „Tarifeinheitsgesetz” (§ 4a Tarifvertragsgesetz) erlassen wurde. Dieses sieht vor, dass in einem Betrieb nur der Tarifvertrag der Gewerkschaft gilt, der die meisten Mitglieder angehören. Der Tarifvertrag der „Minderheitsgewerkschaft“ wird somit von dem anderen Tarifvertrag verdrängt.
Sozialpartnerschaft auf radikal: Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GdL)
Die GDL, die von der Regelung ganz erheblich betroffen ist, weil sie in vielen Betrieben der Deutschen Bahn mit der größeren Eisenbahner-Gewerkschaft EVG konkurriert, reichte daraufhin gegen das TEG Verfassungsbeschwerde ein. Das Bundesverfassungsgericht (BVG) lehnte die Verfassungsbeschwerde 2017 ab, verpflichtete den Gesetzgeber jedoch, das Gesetz nachzubessern. Nun gilt also wieder der Grundsatz der Tarifeinheit – auch bei der Deutschen Bahn. Angewandt wurde das TEG allerdings bisher nur in den Betrieben der Deutschen Bahn.
Deutsche Bahn behauptet zu Unrecht, Tarifeinheitsgesetz wäre nicht abdingbar
Das Tarifeinheitsgesetz ist allerdings entgegen der Auffassung der Deutschen Bahn „dispositiv”, seine Wirkung kann also ausgeschlossen werden, wenn die Tarifparteien dies vereinbaren. In vielen Krankenhäusern, in denen der Marburger Bund die Ärzt:innen vertritt und ver.di den Rest der Belegschaft, kommt das TEG meistens erst gar nicht zur Anwendung.
Die Anschuldigung der Bahn, die Forderung nach einer Abbedingung des TEG durch die GDL sei „rechtswidrig“, ist also schlicht falsch. Die Deutsche Bahn und die GDL könnten das Tarifeinheitsgesetz problemlos aussetzen – allerdings bräuchten sie dafür das Einverständnis der EVG, mit dem wohl nicht zu rechnen ist. Die EVG hat momentan noch die Mehrheit in den meisten Betrieben der Deutschen Bahn inne. 2021 wurde beispielsweise in nur 70 der 300 Betriebe der Deutschen Bahn der Tarifvertrag der GDL zugrunde gelegt, in den restlichen Betrieben kam der Tarifvertrag der EVG zur Anwendung.
Die Deutsche Bahn hat im diesjährigen Tarifstreit gegen die Streiks der GDL bereits vor Gericht geklagt – und in zwei Instanzen verloren. Auch der Eilantrag vor dem Frankfurter Arbeitsgericht wurde abgelehnt. Dennoch ist davon auszugehen, dass die Deutsche Bahn weiter mit allen juristischen Mitteln versuchen wird, die GDL kaltzustellen, da diese durch die Konkurrenz zur EVG kämpferischer und unnachgiebiger auftritt.