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Sonntag, April 28, 2024
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    Sozialpartnerschaft auf radikal: Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GdL)

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    Die nächsten Streiks bei der Bahn sollen im Januar kommen. Die verhandelnde Gewerkschaft GdL und besonders ihr Chef Claus Weselsky kündigen harte Kämpfe an. Was steckt hinter der radikalen Rhetorik?  – Ein Kommentar von Ivan Barker

    Seit Anfang November vergangenen Jahres läuft die Tarifrunde der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) mit der Deutschen Bahn. Die zweite Verhandlungsrunde wurde für gescheitert erklärt, zwei Warnstreiks folgten. Währenddessen lief eine Urabstimmung unter den GdL-Mitgliedern über unbefristete Streiks, die eine große Mehrheit befürwortet.

    Nach einem Kompromiss über die Feiertage wird ab dem 07. Januar mit neuen Streiks gerechnet. GdL-Chef Claus Weselsky kündigte alerdings an, den Willen der Mehrheit der Gewerkschaftsmitglieder unbeachtet zu lassen und nicht in einen unbefristeten Streik zu treten.

    Klar ist: Eine 35-Stunden-Woche bei voller Vergütung plus einer Lohnerhöhung von 555 Euro bekommt man von einem kapitalistischen Konzern wie der Deutschen Bahn nicht geschenkt. Im Gegensatz dazu hatte die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), die Teil des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) ist, in ihrer Tarifrunde vergangenes Jahr nur 12% mehr Lohn, mindestens aber 650 Euro bei einer Laufzeit von 12 Monaten gefordert. Wie groß sind letztendlich die Unterschiede zwischen der EVG und der GdL?

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    Wer ist die GdL?

    Die GdL und besonders ihr langjähriger Chef, Claus Weselsky, haben in der deutschen Medienlandschaft ein berühmt-berüchtigtes Bild bekommen. Als „Egomane“, „Geiselnehmer“ oder „König der Lokführer“ bezeichnet, kann man den Eindruck gewinnen, dass Weselsky an der Spitze einer besonders kämpferischen Gewerkschaft steht. Aber ist die GdL das tatsächlich?

    Für lange Zeit war die GdL auch das, was ihr Name vermuten lässt: Von der Gründung ihrer Vorläuferorganisation 1867 bis in die 2000er war sie eine Gewerkschaft ausschließlich für Lokomotivführer:innen. 2002 öffnete sie sich dann für das Fahrpersonal, 2020 sogar für das gesamte Eisenbahnpersonal. Sie ist Teil des Deutschen Beamtenbundes (DBB) und hat laut eigener Angaben fast 40.000 Mitglieder.

    Die Rolle des Tarifeinheitsgesetz

    Dem gegenüber stehen die circa 185.000 Mitglieder der DGB-Gewerkschaft EVG. Und da beginnen schon die Probleme für die GdL. Denn in Deutschland gilt seit 2015 das sogenannte Tarifeinheitsgesetz, das besagt: Gibt es in einem Betrieb mehrere konkurrierende Tarifverträge, gilt nur der Vertrag der mitgliederstärksten Gewerkschaft.

    Hintergrund seiner Einführung war eine Reihe von durchaus erfolgreichen Tarifkämpfen einzelner Berufsgruppen mit eigenen Gewerkschaften – wie zum Beispiel der Lokführer:innen. Kleinere Gewerkschaften konkurrierten damit erfolgreich mit dem DGB, dem – besonders nach der Wirtschaftskrise 2007 – aufgrund von nicht geführten Arbeitskämpfen viele Arbeiter:innen den Rücken kehrten.

    Unter anderem die GdL klagte gegen dieses Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG), verlor jedoch im Jahr 2017. Zwar schloss die GdL mit der DB einen Vertrag, der die Gültigkeit der Tarifverträge sicherte, dieser lief jedoch 2020 aus. Seitdem steht die kleinere Gewerkschaft unter dem Zwang, ihre Existenz durch die Mehrheit in einzelnen Betrieben gegenüber der EVG zu erhalten.

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    Fest auf dem Boden der Sozialpartnerschaft

    Das ist auch der Grund, warum die GdL schärfere Töne anschlägt, obwohl sie als CDU-nahe Gewerkschaft den vermeintlich „linkeren“ SPD-geführten DGB-Gewerkschaften gegenübersteht. Schauen wir auf die Realität der Arbeitskämpfe und die tatsächlich umgesetzten Forderungen, wird jedoch deutlich, dass ihre Führungsfigur Weselsky nicht ein neuer Arbeiterführer ist, sondern ein Gewerkschaftsfunktionär, der vor allem seine eigene Haut retten will.

    Weder den Gewerkschaftsführer:innen vom Beamtenbund noch vom DGB geht es um die Interessen der Arbeiter:innen. Alle existierenden großen Gewerkschaften fußen auf dem Prinzip der sogenannten Sozialpartnerschaft, also der Zusammenarbeit von Arbeiter:innen und Kapitalist:innen. Deswegen ändert sich auch nichts Wesentliches an der Lage der Arbeiter:innen heutzutage.

    Diese Gewerkschaftspolitik dient dabei tatsächlich allein den Gewerkschaftsvorsitzenden und vor allem den Unternehmer:innen: Arbeitskämpfe werden reguliert, faule Kompromisse ausgehandelt und Streiks zum Teil sogar komplett verhindert, wie es z.B. während der Corona-Pandemie der Fall war. Solche Gewerkschaften, die eigentlich im Interesse der Unternehmen handeln, werden auch „gelbe Gewerkschaften“ genannt.

    Selbständigen Klassenkampf organisieren

    Im Kampf um ihre Existenz angesichts allgemein schwindender Mitgliederzahlen, Vertrauensverlusten und der Konkurrenz zu anderen Gewerkschaften kann es dabei trotz alledem dazu kommen, dass die GDL nun Forderungen aufstellt, die einen realen Fortschritt für die Arbeiter:innen bedeuten könnten.

    Insbesondere die Hetze von Politiker:innen und bürgerlichen Medien zeigt, dass selbst etwas höhere Forderungen und etwas längere Streiks in Deutschland bereits für große Aufregung sorgen. Das gibt uns einen Vorgeschmack darauf, was passieren würde, wenn wir als Arbeiter:innen selbstständig für unsere eigenen Interessen einstehen.

    Denn um Reallohnerhöhungen und Arbeitszeitverkürzungen wirklich durchsetzen zu können, müssen wir uns unabhängig von den gelben Gewerkschaften in unseren Betrieben vernetzen und organisieren. Wie radikal die Sozialpartnerschaft eines Weselskys auch daherkommen mag – den konsequenten Klassenkampf von unten – wie z.B. einen unbefristeten Streik für gerechte Löhne und Arbeitsstunden – müssen wir selbst in die Hand nehmen, den wird uns niemand von oben schenken.

    Bahnverkehr: GDL-Mitglieder stimmen für unbefriste Streiks – vermutlich im Januar

    • Perspektive-Autor seit 2019 sowie Redakteur der Printausgabe. Auszubildender in der Metallindustrie in Berlin und Hobbykünstler.

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