`
Samstag, April 27, 2024
More

    Einigung im Tarifstreit – EVG lässt sich auf Reallohnverlust ein

    Teilen

    In einer Urabstimmung der Mitglieder der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) hat am Montag knapp über die Hälfte für die Annahme der Schlichtungsvereinbarung mit der Deutschen Bahn (DB) gestimmt. Mit diesem Ergebnis akzeptiert die EVG einen Reallohnverlust und eine Laufzeit, die mehr als doppelt so lang ist, wie ursprünglich gefordert.

    Die Deutsche Bahn besteht aus einer Vielzahl von Einzel- und Tochterunternehmen. In 282 dieser Betriebe ist die EVG die mitgliederstärkste Gewerkschaft und somit für die Aushandlung eines Tarifvertrags zuständig. Der letzte dieser Tarifverträge lief zu Beginn dieses Jahres aus.

    Tarifverhandlungen seit Februar

    Dementsprechend laufen bereits seit einigen Monaten Verhandlungen über die neuen Tarife. Die erste Tarifrunde startete offiziell Ende Februar, also verhandeln DB und EVG seit inzwischen über einem halben Jahr.

    Ursprünglich forderte die EVG eine Lohnerhöhung um zwölf Prozent, mit einer Mindeststeigerung von 650 Euro. Entscheidend bei den ursprünglichen Forderungen war allerdings auch die kurze Laufzeit für den Tarifvertrag von 12 Monaten. Dies hätte bedeutet, dass die DB-Arbeiter:innen bereits nach einem Jahr wieder für bessere Entlohnung und Arbeitsbedingung streiken könnten.

    Die ersten beiden Tarifrunden endeten nicht in einer Einigung, da die DB AG mit ihrem Gegenangebot nicht ansatzweise an die Forderungen der EVG herankam, woraufhin die Gewerkschaft einen Warnstreik im März ankündigte. Die Durchführung des Streiks, der große Teile des Nah- und Fernverkehrs lahmlegte, mündete in einer Hetzkampagne der bürgerlichen Medien. Gerade bei Streiks im öffentlichen Nah- und Fernverkehr passiert dies häufig, da die bürgerliche Presse die streikenden Arbeiter:innen gerne als die Schuldigen für das Aussetzen des Verkehrs porträtiert, dabei aber die Rolle der Unternehmen und ihre Verweigerung, gerechte Löhne zu zahlen, außen vor lässt.

    Die EVG sagt den 50-Stunden-Streik ab: Alles nur Taktik?

    Nachdem weitere Tarifrunden und ein weiterer Warnstreik im April zu keinem Ergebnis führten, kündigte die EVG im Mai einen 50-stündigen Warnstreik an. Nachdem die DB allerdings einen Eilantrag vor dem Arbeitsgericht Frankfurt am Main einreichte, ließ sich die Gewerkschaft auf einen “Vergleich” ein, der darin resultierte, dass der Warnstreik abgesagt wurde.

    Schließlich scheiterten auch die letzten drei Tarifrunden, und die DB schlug Ende Juni eine Schlichtung vor, um Streiks während der Ferien zu verhindern. Die EVG-Bosse nahmen dieses Angebot freudig an. Ergebnis der Schlichtung: ein fauler Kompromiss, der deutlich näher an den Vorstellungen der Bahn angesiedelt ist, als bei den Forderungen der EVG. Dennoch empfahlen beide Parteien den EVG-Mitgliedern, diese Schlichtung anzunehmen.

    So geschah es schließlich auch: In einer Urabstimmung stimmten 52,3% der Abstimmenden für eine Annahme der Schlichtungsvereinbarung. Zwar waren nur 25% aller Stimmen nötig, um die Schlichtung anzunehmen, zufrieden mit der knappen Mehrheit dürfte die EVG-Führung allerdings nicht sein. Auch die Wahlbeteiligung von weniger als zwei Dritteln aller Wahlberechtigten zeugt nicht unbedingt von Vertrauen in die Gewerkschaftsführung, auch wenn die EVG-Tarifvorständin auf einer Pressekonferenz behauptete: “Die, die nicht abgestimmt haben sind ja eher die, die zufrieden sind.”

    Was bedeutet das Ergebnis für die Arbeiter:innen?

    Doch was genau wurde denn jetzt ausgehandelt? Um es kurz zusammenzufassen: Eine Reallohnsenkung und eine Laufzeit von über 2 Jahren! Im Oktober soll es zwar eine Einmalzahlung von 2.850 Euro geben, doch diese wird wohl kaum die Enttäuschung über das Ergebnis ausgleichen können. Insgesamt erwartet die Beschäftigten eine Lohnerhöhung um 410 Euro, 200 Euro im Dezember, 210 Euro im August 2024, über eine Laufzeit von ganzen 25 Monaten.

    Die EVG spricht von einer Lohnerhöhung von 14%, die Bahn von 11%. So oder so bedeutet dieses Ergebnis eine Reallohnsenkung, denn allein die offizielle Inflation seit Januar 2021 beträgt ca. 17%. Selbst wenn man die 1,5% Lohnerhöhung einrechnet, die es seitdem gab, stellt das Ergebnis nicht einmal einen Inflationsausgleich dar.

    Insbesondere heftig werden Arbeiter:innen allerdings von der Laufzeit des Tarifvertrags getroffen. Ganze 25 Monate, also mehr als doppelt so lang wie ursprünglich gefordert, soll dieser gelten und solange ist den Beschäftigten damit auch das Streiken verboten. In den kommenden zwei Jahren ist außerdem mit einer weiterhin sehr hohen Inflation zu rechnen, was von 2021 bis 2025 eine Reallohnsenkung von bis zu 20% für DB-Angestellte bedeuten könnte.

    Die Wut über das Ergebnis ist groß und drückt sich derzeit vor allem im Internet aus. Viele EVG-Mitglieder fühlen sich verraten und suchen nach Alternativen. Auch von Organisationen, die in Opposition zur sozialdemokratischen Gewerkschaftslinie stehen, wird das aufgegriffen. So schreibt etwa “Betriebskampf”, ein Netzwerk kämpferischer Kolleg:innen, in einer Stellungnahme:

    “Wir dürfen uns nicht damit zufrieden geben, was ‘Stellvertreter’ für uns ‘sozialpartnerschaftlich’ aushandeln. Wir müssen selber aktiv werden – auf der Straße und in den Betrieben! Wir müssen uns mit unseren kämpferischen Kolleg:innen in unseren Betrieben zusammenschließen und mit einer klassenkämpferischen Perspektive aufzeigen, dass wir es nicht zulassen dürfen, dass die Front der Sozialpartnerschaft aus Bahn und EVG-Spitze uns mit Brotkrümeln abspeist. Organisieren wir uns also selbst für unsere Interessen und kämpfen gemeinsam für unsere Rechte und Interessen!”

    Mehr lesen

    Perspektive Online
    direkt auf dein Handy!

    Weitere News