`
Dienstag, Oktober 8, 2024
More

    Bundessozialgericht: Kein Anspruch mehr auf Bezahlung von geschlechtsangleichenden Operationen für trans Menschen

    Teilen

    Nachdem das Bundessozialgericht im vergangenen Jahr entschieden hatte, dass nicht-binäre Menschen derzeit keine geschlechtsangleichenden Operationen von der Krankenkasse bezahlt bekommen, hat es das Urteil nun in einer schriftlichen Begründung bestätigt. Diese betrifft jedoch nicht nur nicht-binäre Menschen, sondern verschlimmert die Situation aller trans Menschen, die Operationen benötigen. – Ein Kommentar von Marceline Horn.

    Am 15. März 2024 bestätigte das Bundessozialgericht (BSG) eine Entscheidung aus dem Oktober 2023, dass nicht-binäre Menschen in Deutschland keinen Anspruch auf die Bezahlung lebenswichtiger geschlechtsangleichender Operationen durch ihre Krankenkasse haben. Die schriftliche Begründung des BSG nun betrifft jedoch alle trans Menschen – egal, ob sie nicht-binär sind oder sich als Männer bzw. Frauen verstehen – und weitet die Tragweite der Entscheidung noch einmal aus. Dem BSG gäbe es derzeit keine hinreichende gesetzliche Grundlage, wonach Behandlungen für trans Menschen übernommen werden könnten.

    In dem konkreten Fall vor dem BSG am März 2024 ging es um eine nicht-binäre Person, die im Dezember 2019 eine „Mastektomie”, also die chirurgische Entfernung von Brustgewebe, beantragte, was von der Krankenkasse abgelehnt wurde. Nach dem dann ebenfalls abgelehnten Widerspruchsbescheid hatte das Sozialgericht (SG) der Klage stattgegeben, wobei es der Rechtsauffassung der klagenden Person folgte. Das darüberstehende Landessozialgericht (LSG) hatte dieses Urteil danach jedoch wieder aufgehoben. Nun lag es am Obersten Gericht für Sozialrecht BSG, die Entscheidung des LSG zu überprüfen. Die oberste juristische Bundesinstanz schloss sich abschließend der Auffassung des LSG an und entschied, dass die Mastektomie für die betroffene Person nicht von der Krankenkasse bezahlt wird.

    Wie begründet das Gericht seine Entscheidung?

    Will man in Deutschland seinen Geschlechtseintrag und Vornamen ändern lassen, ist die Grundlage dafür das sogenannte „Transsexuellengesetz“. Dieses legt transgeschlechtlichen Menschen sehr viele Steine in den Weg, zwingt sie zu einer Angleichung an typische Geschlecherrollen und verlangt ihnen entwürdigende juristische Gutachten ab.

    Dieses Gesetz ist dabei nicht nur demütigend, sondern auch wissenschaftlich überholt. Neue medizinische Richtlinien, wie die entsprechende „S3-Richtlinie” der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), gehen beispielsweise nicht von einer strikten Zweiteilung von Geschlechtern aus, in die man nach dem Transsexuellengesetz nun alle trans Menschen drängen will.

    Ende des „Transsexuellengesetzes“ nach über 40 Jahren

    Das Bundessozialgericht erkennt die grundsätzlichen Annahmen der S3-Leitlinie zwar an und lehnt das veraltete Transsexuellengesetz zu Recht ab, verlangt aber eine Empfehlung vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA). Erst dann können die Angaben der S3-Leitlinie auch tatsächlich dahingehend genutzt werden, dass die Krankenkassen die Kosten für die Operationen bei trans Menschen auch übernehmen. Ein Antrag beim GBA, der für die Anerkennung einer neuen Behandlungsmethode nötig ist, liegt jedoch nach Auskünften des BSGs noch nicht vor. Es muss auch damit gerechnet werden, dass eine Entscheidung des GBA, selbst wenn jetzt zügig ein Antrag gestellt würde, einige Zeit dauert.

    Das BSG fordert solch eine Empfehlung des GBA deshalb, weil es Operationen nach der S3-Leitlinie als eine neue Behandlungsmethodeansieht und solche nach dem SGB V vom GBA erst genehmigt werden müssen. Die tatsächlichen Operationen sind natürlich schon seit Jahrzehnten üblich, und auch das Wissen darüber, dass das Geschlecht nicht durchweg binär ist, ist keine neue wissenschaftliche Erkenntnis. Das Bundessozialgericht meint dennoch, eine „neue” Behandlungsmethode zu erkennen, weil es durch die neuen Leitlinien keine „objektiven Kriterien“ mehr für die Feststellung der Geschlechtsinkongruenz gäbe. So existiere z.B. für nicht-binäre Menschen kein äußeres Erscheinungsbild, an dem man sich orientieren könne.

    Die Anerkennung der Leitlinie ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, doch das Transsexuellengesetz als veraltet zu erklären, ohne eine Übergangsregelung zu schaffen, lässt alle trans Menschen im Stich und ohne Zugang zu lebenswichtigen Operationen. Mangels Antrags beim GBA bis zum heutigen Tag ist auch nicht absehbar, wann neue Anträge für Operationen wieder möglich werden und Eingriffe durchgeführt werden können, deren Kosten von den Kassen übernommen werden.

    Ampelregierung hält ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag nicht

    Alternativ zum Verfahren beim GBA wäre jedoch eine Regelung durch den Gesetzgeber möglich. Die Ampelkoalition hatte dies 2021 sogar versprochen, aber bis heute keine Schritte unternommen. Das Selbstbestimmungsgesetz der Ampel, das auch Rechte von trans Personen betrifft und mit dem die Ampel sich – zu Unrecht – rühmt, betrifft nur die personenstandsrechtlichen Angaben und keine Leistungen der Krankenkasse.

    Bis die Bundesregierung ihre Versprechen einlöst, können somit nur bereits “begonnene Behandlungen” weitergeführt werden. Ob dafür bereits eine ärztliche Behandlung gestartet sein muss oder schon ein Antrag bei der Krankenkasse reicht, ist unklar. So oder so werden viele trans Menschen, die seit Jahren auf eine Bewilligung ihrer Behandlung warten, keine Operationen mehr bekommen können, wenn sie auf die Zahlung der Krankenkassen angewiesen sind.

    Gegen transfeindliche Gewalt kämpfen, heißt gegen Patriarchat und Kapitalismus kämpfen

    Wer hat uns verraten? Die Bundesregierung ebenso wie das Bundessozialgericht

    Damit trans Menschen überhaupt eine Operation bewilligt bekommen oder wenigstens eine Hormontherapie anerkannt wird, braucht es oft monatelange Befragungen von Therapeut:innen und unzählige Anträge, die nicht selten abgelehnt werden. Ihnen wird überall ein Stein in den Weg ihrer Transition gelegt, und die Entscheidung des BSG blockiert einen Teil von ihnen nun vollständig.

    Nun wissen viele nicht was geschieht: werden sie noch ihre Operation bekommen oder nicht? Diejenigen, die noch auf ein Indikationsschreiben zur Bewilligung einer solchen Operation warten, fragen sich voller Sorge, wie lange sie noch warten müssen. Das jetzige Urteil des BSG hat die Situation von trans Menschen also noch weiter verschlimmert und damit alle, die dringend auf ihre Behandlung warten, kläglich im Stich gelassen.

    • Perspektive-Autorin seit 2024. Sie lebt und studiert in Freiburg und schreibt besonders über Frauen- und LGBTI+ Kämpfe. Photographie-Fan und Waschbären-Liebhaberin.

    Mehr lesen

    Perspektive Online
    direkt auf dein Handy!

    Weitere News