Bei der 68. Tagung der UN-Frauenrechtskomission wurde der Vorsitz an den Botschafter Saudi-Arabiens, Abdul Aziz al-Wasil, vergeben. Aufgrund der Frauenrechtsverletzungen Saudi-Arabiens und den zweifelhaften Umständen der Vergabe des Vorsitzes, schlägt dieses Thema nun Wellen in den Medien. – Ein Kommentar von Anna Müller.
Die Frauenrechtskomission (FRK) ist die „Fachkommission für Gleichstellung der Geschlechter und für die Förderung von Frauenrechten“ der Vereinten Nationen (UN). Bei jährlich stattfindenden Tagungen sollen Schritte zum Vorantreiben der Gleichstellung der Geschlechter weltweit festgelegt werden. Der Saudi-Arabische Botschafter in der UN, Abdul Aziz bin Mohammed al-Wasil, übernahm nun bei der 68. Sitzung der FRK den Vorsitz – als einziger Kandidat und ohne Widerspruch westlicher Länder.
Kritik aus westlichen Ländern
Doch aus Ländern wie Deutschland und den USA kommt nun der Aufschrei: Aktivist:innen verschiedener Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International oder Humans Rights Watch (HRW) äußerten Kritik an der an der Vergabe aufgrund der schweren Frauenrechtsverletzungen in Saudi-Arabien. „Saudi-Arabiens Wahl an die Spitze der Uno-Frauenrechtskommission zeigt eine schockierende Missachtung von Frauenrechten überall“, schreibt der Direktor von HRW Louis Charbonneau auf X/Twitter.
Kritisiert wird, dass kein anderes Land für den Sitz vorgeschlagen wurde und durch die einstimmige Wahl auch kein Widerspruch eingelegt wurde, obwohl Saudi-Arabien als besonders rückschrittliches Land im Bezug auf Frauenrechte gilt. Denn der Vorsitz soll als „Gesicht“ der Kommission eine gewisse Vorbildfunktion erfüllen. Diese sieht mit der frauenfeindlichen Politik Saudi-Arabiens kaum jemand erfüllt.
Trotz neuen gesetzlichen Regelungen in den letzten Jahren bleiben Männer in Saudi-Arabien formal und auch faktisch der Vormund von Frauen. Besonders in Fragen der Partnerschaft und Ehe spielt dies weiterhin eine zentrale Rolle und erschwert Frauen, sich gegen häusliche Gewalt und sexualisierte Gewalt zu wehren. Zudem sind laut HRW Frauenrechtsaktivistinnen willkürlichen Verhaftungen und Inhaftierungen, Folter und Reiseverboten ausgesetzt.
Saudi-Arabien wurde jedoch nicht aufgrund seines überzeugenden Einsatzes für Frauenrechte vorgeschlagen: Unter zweifelhaften Umständen hatte der bisherige philippinische Vorsitzende den Sitz bereits nach einem, statt den eigentlichen zwei Jahren abgegeben. Die britische Tageszeitung Guardian kritisiert, dass von asiatischen Staaten Druck auf die Philippinen ausgeübt wurde, den Sitz frühzeitig abzugeben. Laut Guardian war eigentlich Bangladesch als nächstes Land für das Gremium vorgesehen, Saudi-Arabien habe sich aber durch reichlich Lobbyarbeit auf den Platz an der Spitze gedrängt. Dass Lobbyarbeit oftmals eine Methode für den Weg in hochrangige Positionen darstellt, ist allerdings weder neu noch überraschend.
Vorbildliche Frauenrechte im Westen?
Dass ein Land wie Saudi-Arabien, das versucht, sich durch den Vorsitz einer UN-Komission für Frauenrechte Fortschrittlichkeit auf die Fahne zu schreiben, kein Kämpfer gegen das Patriarchat ist, ist allgemein bekannt. Doch auch in den „fortschrittlichen“ Ländern, aus denen jetzt Kritik kommt, können Frauen kein gleichberechtigtes Leben führen.
Ebenfalls in Ländern wie Deutschland, USA und allen anderen EU- und NATO-Staaten sind Frauenrechtsverletzungen an der Tagesordnung. Wenn auch in anderer Ausprägung, ist Saudi-Arabien nicht das einzige Land, in dem Femizide begangen werden und Frauen im Gesetz und in der Gesellschaft durch das Patriarchat unterdrückt sind.
Schaut man sich beispielsweise die Gesetzgebung zum Recht auf körperliche Selbstbestimmung an, wird schnell klar, welche Doppelmoral von westlichen Ländern an den Tag gelegt wird: Die USA z.B. schafften 2022 das Recht auf Abtreibung ab. In den Bundesstaaten, in denen Abtreibung zumindest halblegal ist, trauen sich Ärzte aus Angst vor Strafen oft nicht, Abtreibungen vorzunehmen. In insgesamt 14 US-Staaten ist eine Abtreibung selbst bei einer Schwangerschaft wegen Vergewaltigung und bei Inzest verboten.
In Deutschland haben Frauen zwar teils mehr gesetzliche Rechte als in anderen Ländern. Doch auch hier zeigt sich der Fortbestand des Patriarchats darin, dass Frauen einen Großteil der unbezahlten Reproduktionsarbeit leisten, dass jeden dritten Tag ein Femizid begangen wird, dass bundesweit Frauenhäuser zum Schutz von Frauen fehlen oder darin, dass Abtreibungen weiterhin nicht vollständig legalisiert sind.
Die UN-Frauenrechtskommission wird das Patriarchat nicht abschaffen
Auch wenn es positive Reformen gibt, die Frauen mehr Rechte verschaffen, wie beispielsweise das Recht auf Abtreibung, können diese Rechte wie in den USA auch schnell wieder zurückgenommen werden. Auch wenn Frauen in Deutschland und anderen Ländern in vorgeblich entwickelten und progressiven Ländern leben, müssen sie dauerhaft ihre Grundrechte verteidigen und für ihren Erhalt kämpfen.
Unbezahlte Reproduktionsarbeit, sexistische Bemerkungen an Schulen, Unis und am Arbeitsplatz, sexuelle Belästigung, Vergewaltigungen, Femizide, ein Justizsystem, das keine Gerechtigkeit bringt – all das ist nur ein Teil der Realität, mit der Frauen in Deutschland und auch überall sonst auf der Welt täglich zu kämpfen haben. Und diese Unterdrückung besteht unabhängig davon, wer den Vorsitz der UN-Komission für Frauenrechte hat.
Denn der Kapitalismus, also die Gesellschaftsform, in welcher wir leben, hat kein ehrliches Interesse an der Frauenbefreiung. Er hat kein Interesse daran, dass Frauen für die unbezahlte verrichtete Hausarbeit plötzlich bezahlt werden. Er hat kein Interesse daran, Frauen die gleichen Rechte wie Männern zuzugestehen, da das System von genau dieser Unterdrückung profitiert. Denn all das würde die Profit-Aussichten erheblich einschränken und wäre nicht vereinbar mit der kapitalistischen Wirtschaft.
Es reicht daher nicht, eine reine Symptombekämpfung anzustreben, wie es die UN-Frauenrechtskomission tut. Der Ursprung der Unterdrückung der Frau liegt im Patriarchat, und jeder Kampf, der nicht die Zerschlagung des Patriarchats zum Ziel hat, wird für Frauen nichts bewirken können, außer kleiner Reformen – die jederzeit zurückgenommen werden können – und ein paar mehr Frauen in der Führungsetage von Großkonzernen.