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Freitag, Juni 28, 2024
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    „Ich bin FREI!!“ – Ein Interview mit Thomas Meyer-Falk

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    27 Jahre saß Thomas Meyer-Falk als politischer Gefangener in Haft. Verurteilt wurde er 1997 wegen eines Bankraubs mit Geiselnahme, mit dessen Geld legale und illegale linke politische Projekte organisiert werden sollten. Im Sommer 2023 wurde er entlassen. Wir haben ihn interviewt.

    Ein Bankraub, das klingt ja erstmal danach, als wolltest du einfach Geld haben. Jedoch hast du nicht aus Eigennutz die Bank beraubt, sondern hattest klare politische Ziele. Welche waren das?

    Die Absicht war, für legale aber auch illegalisierte Projekte Geld zu organisieren, denn für deren Fortbestehen wäre eine finanzielle Unterstützung hilfreich gewesen. Eine Bank beraubt habe ich nicht – denn es ging ja schief, entwickelte sich zu einer Geiselnahme, an deren Ende ich festgenommen wurde.

    Wie begründest du deine Taten vor jemandem, der vielleicht auch kapitalismuskritisch ist, dem aber Straftaten zu weit gehen?

    Immer wieder stellt sich die Frage, wie wir Handlungen, die nicht nur gegen die Strafgesetze dieses Staats, für deren Überwindung wir kämpfen, verstoßen, sondern ganz konkret andere Menschen verletzen, ob oder wie wir diese Handlungen in politischer Hinsicht begründen können. So stellt eine Straßenblockade (der „Letzten Generation”) nach Ansicht einiger Gerichte eine Straftat dar, und zugleich werden Verkehrsteilnehmende ja tatsächlich an der Fortbewegung (vorübergehend) gehindert. Dennoch gibt es viele Menschen, denen solche Straftaten nicht „zu weit gehen“.

    Anders sieht es aus, wenn Menschen in einer Bank mit Schusswaffen bedroht werden, denn hier ist deren existenzielle Gefährdung eine andere. Körperlich wie auch psychisch; nicht zu vergessen die Freund:innen, die Angehörigen der Betroffenen, wenn sie von deren bedrohlicher Lage erfahren.

    Die Begehung von Banküberfällen gehörte wohl seit der Existenz von Banken zur Vita revolutionärer Bewegungen. Nicht nur sind Banken ein zentrales Symbol des kapitalistischen Wirtschaftssystems, gewissermaßen vergegenständlichen sie das Prinzip der Ausbeutung. D.h. Angriffe auf eine Bank hatten auch immer einen symbolischen Gehalt, sie zielten (durch die Tat symbolisiert) auf das Herz des Systems. Daneben gibt es die politische Dimension: die „Expropriation” (d.h. Enteignung/Aneignung), oder wie Marx es nannte: die „Expropriation der Expropriateure“ (aus: „Das Kapital“, Band 1, 7. Abschnitt).

    Wie verlief deine Festnahme? Wie war die erste Zeit in Haft?

    Wie eingangs angedeutet, wurde ich noch in der Bank vom Sondereinsatzkommando der Polizei vorläufig festgenommen und kam dann in Isolationshaft nach Stuttgart-Stammheim, wo ich die nächsten zwei Jahre saß. Geprägt war die Anfangszeit durch das „Sich-zu-Wort-melden-Können“ trotz der strengen Isolationsmaßnahmen, durch das Erkämpfen kleiner Freiräume in der Iso-Haft und das eigene seelische Überleben. Die Iso-Haft selbst sollte dann elf Jahre dauern, bevor ich 2007 in den normalen Strafvollzug integriert wurde.

    Zum Glück bekam ich relativ bald brieflichen Austausch mit Menschen „draußen“ hin, denn es gab sie immer: die Menschen, die trotz der staatlichen Repression offen mit Namen und Adresse geschrieben haben. Mir hat der Briefkontakt geholfen, mich mit so vielem anderen zu befassen als bloß mit der Haftsituation.

    Wie ging es dir nach deinem Urteil, hattest du mit einem solch hohen Strafmaß gerechnet oder dich darauf vorbereitet?

    Das Urteil hatte ich so erwartet: seitens der Anwälte wurde mir deutlich gemacht, dass wenn ich, wie es der Rollenerwartung gegenüber Angeklagten entspricht, demütig gestehe und Reue bekunde, die Strafe geringer ausfallen würde und es wohl auch nicht zu einer Sicherungsverwahrung kommen würde.

    Aber für mich war das damals kein gangbarer Weg, ich hätte es als Verrat an politischen Grundüberzeugungen empfunden. Das ist jedoch eine individuelle Entscheidung gewesen.

    Als du deine Haft schon abgesessen hattest, kamst du in Sicherungsverwahrung – was genau ist das? Und wen kann das treffen? Und wie ist es politisch einzuschätzen?

    Die Sicherungsverwahrung (SV) wurde mit Gesetz vom 24.11.1933 (!) von den Nationalsozialisten ins Strafrecht eingeführt. Seitdem können Menschen auch nach Verbüßung der Freiheitsstrafe in Haft gehalten werden, sofern sie als „gefährlich“ gelten. Aktuell sitzen etwas mehr als 600 Männer und drei Frauen bundesweit in der SV. der Mensch sitzt also weiter in einem Gefängnistrakt, nur dass der dann etwas besser ausgestattet ist: größere Zellen, manche Bundesländer haben auch Duschen und Herd in die Zellen eingebaut (Baden-Württemberg wollte dafür kein Geld ausgeben). Rechtlich haben diese Menschen also ihre durch die Tat verwirklichte „Schuld“ gesühnt – werden aber nun auf unabsehbare Zeit weiter hinter Gittern gefangen gehalten. Das führt zu einer enormen Perspektiv- und Hoffnungslosigkeit, die den Alltag durchwebt und prägt.

    Treffen kann die SV alle Menschen, die wegen Gewalttaten vor Gericht stehen – in manchen Fällen trifft es auch solche, die einmal zu viel mit Drogen gehandelt haben.

    Die SV ist ein Gesetz der Nazis! Das Oberste Gericht der DDR hatte in den 50-ern die SV auf dem Gebiet der DDR verboten, denn die SV „atmet nationalsozialistischen Ungeist“ – Bedenken, die westdeutsche Gerichte in dieser Form nie hatten. Politisch ist es ein zusätzliches Instrument der Einschüchterung.

    Thomas Meyer-Falk nach 27 Jahren als politischer Gefangener entlassen

    Immer wieder sind Grußworte von dir auf Demonstrationen verlesen worden, Interviews geführt worden. Wie bist du mit der Bewegung in Kontakt geblieben?

    Der Kontakt lief über (viele) Briefe und auch Besuche. Ich konnte zu Anfang ein-/zwei Mal im Monat je eine halbe Stunde Besuch bekommen, später waren es dann zwei Mal eine Stunde oder auch zwei Stunden.

    Aber primär lief die Kommunikation per Brief – immer unter den Augen der Justiz, denn Post wurde inhaltlich überwacht, d.h. es gab keine Privatsphäre, was selbstredend eine hohe Belastung für die Menschen draußen und auch mich selbst darstellte. Dennoch wollten wir uns dieses Medium der Kommunikation nicht nehmen lassen. Pro Monat kamen dann irgendwann erst 100, später bis zu 250 Briefe und Karten bei mir an – und ich selbst schrieb genauso viel zurück. Allerdings hätte es jede Bewegung überfordert, so viel zu schreiben, weshalb ich mir durch Inserate in Zeitungen und Zeitschriften auch immer Briefkontakte außerhalb der linken Bubble suchte.

    Wie bist du in der Haft politisch geblieben? Wo waren Herausforderungen? Welche Kämpfe hattest du mit dir selbst zu kämpfen?

    Für mich war es nie eine Frage, ob ich meine Überzeugungen aufgebe oder sie verleugne, mir war (und ist) es wichtig, gerade auch dann, wenn einem der Wind eisig ins Gesicht bläst, zu Überzeugungen zu stehen. Herausfordernd für mich war eher, nicht völlig in Kompromisslosigkeit zu erstarren. Die lange Haftzeit prägte auch körperlich. Architektur hat eine ganz eigene Wirkung auf Menschen, und wenn wir in einer Stein-/Betonwüste leben, die zudem von lebensfeindlicher Bürokratie dominiert wird, dann erstarren auch wir Menschen: körperlich, wie seelisch. Ich denke, ohne die freundlich-solidarische Begleitung und Einbindung, über all die Jahre, hätte ich nicht überlebt.

    Mit mir zu kämpfen hatte ich am ehesten dort, wo ich selbst zu besagter Kompromisslosigkeit neigte. Aber dank geduldiger Überzeugungsarbeit langjähriger Genoss:innen und Freund:innen konnte ich am Ende etwas weicher werden. Ich musste dann nicht mehr den Justizbediensteten meinen Hass auf sie und diesen Staat ungefiltert wissen lassen – und im Verlauf der Jahre begann ich auch zu verstehen, wie strategisch hinderlich es sein kann, sich von Hass leiten zu lassen.

    Dass du viel geschrieben hast und es Aufmerksamkeit um deine Person gab, ist ja sicherlich auch den Mitgefangenen und Wärtern nicht entgangen. Was hatte das für Konsequenzen?

    Ich erlebte es stets als schützend, dass es Menschen vor dem Mauern gab, denn der Justiz war immer klar: egal was sie machen, da werden Rückfragen von draußen kommen. Und zwar von Menschen, die nicht mal eben nur einen höflichen Brief schreiben, sondern die auch andere Möglichkeiten nutzen, sich bemerkbar zu machen.

    Mitgefangene waren anfänglich überrascht, als sie durch die Demonstrationen mitbekamen, es gibt da wirklich Menschen, die für die Abschaffung von Knästen und die Freilassung der Gefangenen demonstrieren. Das erschien ihnen zu Anfang undenkbar: es gibt da Leute, die nicht schärfere Gesetze, längere Strafen, höhere Mauern forderten, sondern das Einreißen der Mauern!

    Mir gegenüber war das uniformierte Gefängnispersonal zurückhaltend und sicherte sich bei Maßnahmen lieber einmal mehr bei Vorgesetzten ab als einmal zu wenig. Klar, hier und da gab es kleine Bemerkungen, aber da ich die ersten elf Jahre in Iso-Haft saß und jeder wusste, dass ich diese Zeit gut durchgestanden hatte, gab es nichts, womit mich dieses Knast-System schrecken konnte.

    Gerade die Außenkontakte scheinen mir auch heute existenziell für die immer noch in der Haft sitzenden Menschen oder jene, die dort landen werden: den Knast-Leitungen muss jederzeit bewusst sein: egal was sie tun, sie tun es nicht unbeobachtet!

    Nun bist du wieder in Freiheit und in Freiburg, war das für dich überraschend? Und wie sieht dein Leben jetzt aus?

    Die Freilassung war bis zum letzten Moment ungewiss, und so saß ich dann am Tag der Entlassung, im August 2023, in meiner Zelle, in der ich die letzten 10 Jahre verbracht hatte – im Hochsicherheitsbereich der JVA Freiburg. Bis dann ein Telefax des Oberlandesgerichts eintraf, das meine sofortige Freilassung rechtskräftig anordnete.

    Da sich ab Herbst 2022 eine Haftentlassung als zumindest nicht mehr völlig ausgeschlossen darstellte, durfte ein Genosse für mich ein Handy am Knast-Tor abgeben: das wurde im Tresor verwahrt, denn in Haftanstalten sind sie verboten. Aber bei den zuletzt einmal im Monat stattfindenden, bewachten Spaziergängen durch die Stadt, bekam ich es ausgehändigt. Das Personal erklärte mir dann, wie ich damit telefoniere, eine SMS versende oder im Netz etwas suche. Deshalb konnte ich im Moment des Verlassens der JVA die SMS versenden „Ich bin FREI!!“.

    Nachdem drei Gutachter*innen und das Landgericht Freiburg sich für die Freilassung aussprachen, kam die Entscheidung des OLG nicht mehr völlig überraschend – aber Mensch weiß eben nie vorher, wie ein Gericht entscheiden wird.

    Ich wurde sehr freundlich und solidarisch aufgenommen, politisch eingebunden, durfte auf Veranstaltungen über die Haftzeit erzählen und versuchen, jenen etwas mit auf den Weg zu geben, die selbst von Haft bedroht sind, oder andere kennen, denen es so ergeht. Bei Radio Dreyeckland war ich erst Praktikant und seit Ende 2023 arbeite ich dort im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes. Um den Kontakt in die Gefängniswelt nicht abreißen zu lassen, schreibe ich Soli-Briefe an Gefangene, nicht nur an jene, die ich schon längere Zeit kenne (z.B. Carmen, eine Sicherungsverwahrte in der JVA Schwäbisch-Gmünd), sondern insbesondere im politischen Zusammenhang immer wieder neuen Gefangenen. Denn der Repressionsdruck ist unverändert hoch!

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