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Mittwoch, September 18, 2024
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    Afghanistan: Taliban verschärft patriarchale Unterdrückung

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    Die Taliban haben ein neues Regelwerk für Verhaltensweisen in der Öffentlichkeit erlassen. Die Rechte von afghanischen Frauen werden erneut drastisch angegriffen und die Sittenpolizei gestärkt. Derweilen möchte die Bundesregierung mit der Taliban Gespräche über Abschiebungen führen.

    Mit dem Abzug der letzten NATO-Truppen und der Bundeswehr im Jahr 2021 fiel es der Taliban leicht, in dem durch Krieg und Besatzung zerrütteten sowie extrem verarmten Afghanistan die Macht in kurzer Zeit zurückzuerobern. Während unter der Herrschaft der Taliban niemand in wirklicher Sicherheit leben kann, leiden afghanische Frauen und Mädchen besonders unter den strengen Vorschriften des öffentlichen Lebens.

    Diese wurden mit dem sogenannten „Tugendgesetz” noch einmal verschärft. Frauen darf es nun nur „in Notfällen“ erlaubt sein, ihr Haus zu verlassen. Ist es ihnen doch einmal erlaubt, sind sie auf eine männliche Begleitung angewiesen, um den Bus oder das Taxi benutzen zu dürfen.

    Befinden sie sich in der Anwesenheit von Männern, die nicht direkt mit ihnen verwandt sind, sind sie dazu verpflichtet, ihren gesamten Körper und ihr Gesicht zu verdecken. Auch der Blickkontakt mit nicht-verwandten Männern wird verboten.

    Auch die Stimme der Frau wird mit dem neuen Gesetz als „intim” angesehen. Demzufolge dürfen sie weder im eigenen Haus zu laut sprechen noch in der Öffentlichkeit singen, Gedichte vortragen oder den Koran rezitieren. Der Frau wird also wortwörtlich die eigene Stimme genommen.

    Mutige Frauen im Widerstand gegen die Taliban

    Allgemein stellen die neuen Gesetzesverschärfungen somit weitere Schritte dar, um Frauen in Afghanistan ihrer Selbstbestimmung zu berauben. Was bleibt, ist eine noch viel stärkere Bindung an den Mann sowie die bürgerliche Kleinfamilie und damit eine besonders einschneidende Form der patriarchalen Unterdrückung.

    Auch Einschränkungen für Medien, Journalismus und Männer

    Das neue Gesetz sieht aber nicht nur Einschränkungen für afghanische Frauen vor. Auch das Bild des Mannes soll stärker reguliert und den religiös-patriarchalen Vorstellungen der Taliban entsprechen. Männer sollen in Zukunft mindestens knielange Hosen und einen Bart tragen, der nicht zu kurz sein darf. Homosexualität, Ehebruch und Glücksspiel werden ebenfalls verboten.

    Des Weiteren wird Journalist:innen ab sofort untersagt, Interviews oder Fragen zur Lage der Bildung von Frauen und Mädchen in Afghanistan zu stellen. Seit ihrer Machteroberung haben die Taliban Frauen und Mädchen systematisch aus dem Bildungssystem ausgeschlossen.

    Allgemein sollen veröffentlichte Medieninhalte im „Einklang mit der Scharia“ stehen und dürfen „Muslime nicht beleidigen“. Unter anderem wird damit auch das Zeigen von „lebendigen Wesen“ verboten. Somit wird das Dokumentieren des öffentlichen Lebens in Afghanistan und der Angriffe der Sittenpolizei auf die Bevölkerung kriminalisiert unter dem Vorwand, man würde lebendige Wesen zeigen.

    Die Gesetze zur Aufrechterhaltung der patriarchalen Unterdrückung werden nebenbei auch durch solche ergänzt, die den Geldfluss an die Taliban sichern sollen: So sind Händler, Handwerker und Bauern dazu verpflichtet, pünktlich ihre Steuern zu zahlen und keine Waren zu horten, sondern diese unmittelbar auf den kapitalistischen Markt zu werfen.

    Umsetzung des Tugendgesetzes

    Umgesetzt werden soll das neue Tugendgesetz laut dem Justizministerium der Taliban durch die Sittenpolizei. Diese habe die Aufgabe durch „sanftes Predigen und Ermahnen sicht- und hörbare Verstöße zu unterbinden“.

    Mahsa Amini und die Frauenrevolution im Iran

    Wie eine solche „sanfte“ Ermahnung einer derartigen Sittenpolizei aussieht, konnte man an der brutalen Ermordung der Kurdin Jina Amini vor zwei Jahren im Nachbarland Iran sehen. Aufgrund ihrer „unangemessenen Kleidung“ wurde sie von der iranischen Sittenpolizei angegriffen, gefoltert und verstarb anschließend an ihren Verletzungen.

    Reaktion der Bundesregierung: mehr Abschiebung

    Während die UN-Unterstützungskommission für Afghanistan (UNAMA) den Sittenwächtern wenigstens vorwirft, ein „Klima der Angst“ in Afghanistan zu schaffen und diese richtigerweise als weitere Einschränkungen der Rechte von Frauen in Afghanistan zu verurteilen, denkt die Bundesregierung lieber an einen weiteren Bündnispartner in puncto Abschiebepolitik.

    So spricht sich SPD-Außenpolitiker Nils Schmid für Gespräche über das Thema Abschiebungen mit der Taliban und dem syrischen Assad-Regime aus: „Wir werden nicht umhinkommen, mit dem Taliban-Regime und dem Regime in Damaskus technische Gespräche über einzelne Punkte zu führen, etwa Abschiebungen“, so Schmid gegenüber den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland.

    Auch Irene Mihalic, parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, hielt sich mit „feministischer Außenpolitik“ der grünen Außenministerin Annalena Baerbock zurück und betonte lieber, dass die „Effektivität der aktuellen Abschiebepraxis“ genau überprüft werden müsse.

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