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Sonntag, September 15, 2024
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    Die deutsche Kriegsmaschinerie rollt – wer wird sie aufhalten?

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    Rüstungsschmieden wie Rheinmetall erhalten derzeit Rekordaufträge und bauen ihre Produktionskapazitäten aus. In wenigen Jahren soll Deutschland bereit sein, einen möglichen Krieg gegen Russland anzuführen. Allen, die keinen Krieg wollen, bleibt nicht mehr viel Zeit, um sich zusammenzuschließen und der Kriegsmaschinerie Sand ins Getriebe zu streuen. – Ein Kommentar von Mohannad Lamees.

    Im vierten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung, als die Römische Republik gegen einen Stamm im Süden der italienischen Halbinsel kämpfte, ließ der römische Herrscher eine große befestigte Straße, die Via Appia, errichten. Diese strategisch bedeutsame Route, auf der die Römer während ihres Kriegszugs Truppen und Nachschub von Norden nach Süden manövrierten, ging als „Regina Viarum“, also Königin der Straßen, in die Geschichte ein. Das Netz von römischen Straßen, das fortan im Zuge des Aufstiegs Roms zum Imperium ausgebaut wurde, ist noch heute in einem Sprichwort verewigt: „Alle Wege führen nach Rom”.

    Auch der deutsche Imperialismus kennt heute vor allem eine Richtung – doch diese führt nicht nach Rom, sondern an die Ostfront. Und die Königin der Straßen ist nicht die Via Appia, sondern die A2. Denn im „Operationsplan Deutschland“, einem eigentlich geheimen Strategiepapier der Bundeswehr, kommt der Bundesautobahn zwischen Oberhausen im Westen und dem Berliner Ring im Osten eine Schlüsselrolle zu: Auf ihr sollen – würde ein großer Krieg zwischen der NATO und Russland ausbrechen – bis zu 800.000 NATO-Soldat:innen und mit ihnen 200.000 Fahrzeuge und schweres Gerät von Westeuropa an die Ostflanke verlegt werden können, um dort gegen die russische Armee zu kämpfen.

    Deutschland ist Dreh- und Angelpunkt

    Tatsächlich fragen sich viele Militärs und Politiker:innen längst nicht mehr, ob Deutschland in den nächsten Jahren gegen Russland Krieg führen wird, sondern wann: Expert:innen und Verteidigungsminister Pistorius werfen dabei immer wieder die Jahreszahl 2029 in den Raum – spätestens dann müssten das deutsche Militär, aber auch die deutsche Bevölkerung „kriegstüchtig“ sein. Mitteleuropa und allen voran Deutschland wird von da an zum Aufmarschgebiet: von hier aus sollen Truppen, Panzer und Artillerie nach Osten gebracht werden können. Und von in Deutschland stationierten Startsystemen aus könnten bereits ab 2026 US-amerikanische „Tomahawk”-Marschflugkörper Ziele tief im Inneren Russlands angreifen.

    In den Reden deutscher Politiker:innen und den Erklärungen der Bundeswehr klingt es nach wie vor oft so, als ob dem deutschen Militär im Krieg gegen Russland eher eine passive Rolle zukommen werde. Klar ist aber mittlerweile längst, dass auch eine Änderung in der US-amerikanischen Politik – zum Beispiel durch die Wahl Donald Trumps zum neuen Präsidenten, der den Krieg mit Russland beenden will – Deutschland nicht von seinem Aufrüstungskurs abrücken wird.

    Bundeskanzler Scholz machte beim NATO-Gipfel in Washington im Juli deutlich: „Deutschland ist das größte Land Europas innerhalb des NATO-Bündnisses. Wir werden dieser Verantwortung gerecht werden“. Das bedeutet nichts weniger, als dass Deutschland das Ringen mit Russland und das Ringen um die Einflussgebiete in Osteuropa auch dann weiterführen wird, wenn die USA sich unter Trump aus dem Krieg mit Russland zurückziehen und sich stattdessen vollends auf den Konflikt mit China konzentrieren werden.

    Dass das nicht nur leere Worte sind und Deutschland im Zweckbündnis mit anderen größeren europäischen Staaten eigene Pläne verfolgt, unterstreicht zum Beispiel das jüngst verkündete gemeinsame Vorhaben Deutschlands, Frankreichs, Italiens und Polens, in den nächsten Jahren eigene Marschflugkörper zu entwickeln. Sollten die USA also ihre Tomahawk unter Trump doch lieber auf chinesische statt auf russische Ziele richten, dann stünden womöglich bald eigene ähnliche Waffensysteme bereit.

    Frankreich und Deutschland planen zudem weiterhin, bis 2040 einen gemeinsamen hochmodernen Kampfpanzer und einen neuen Kampfjet zu entwickeln. Insgesamt 19 europäische Länder schlossen sich außerdem unter deutscher Führung zusammen, um mit dem „Sky Shield“ die Luft- und Raketenabwehr über Europa mit verschiedensten Waffensystemen zu stärken – darunter das aus Israel angekaufte „Arrow 3”-System zur Abwehr von Raketen außerhalb der Erdatmosphäre.

    Deutscher Staat mit Rundumschlag: Der Operationsplan Deutschland

    Rekorde für Rheinmetall & Co.

    Dass Deutschland Waffensysteme aus anderen Ländern kauft, soll dabei die Ausnahme bleiben. Wenn es nach Armin Papperger, dem Chef des größten deutschen Rüstungskonzerns Rheinmetall geht, sollen die Milliarden an deutschen Steuergeldern, die momentan vom deutschen Staat für die Aufrüstung verplant und ausgegeben werden, zu einem großen Teil in seine Kassen fließen.

    Und diesem Wunsch wird entsprochen: Nachdem Papperger vor allem im ersten Jahr nach dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs immer wieder monierte, dass bei der Aufrüstung der Bundeswehr ein zu langsames Tempo eingeschlagen werde, zeigt sich der Konzernchef mittlerweile zufriedener: Denn allein 30 bis 40 Milliarden aus dem sogenannten „Sondervermögen” für die Bundeswehr über insgesamt 100 Milliarden werden in den nächsten Jahren an Rheinmetall fließen.

    Wenn die Bundesregierung und Kanzler Scholz betonen, dass eine starke Verteidigung eine „solide industrielle Grundlage“ brauche, dann ist die Marschroute klar vorgegeben: Deutsche Waffenschmieden wie Rheinmetall, aber auch ThyssenKrupp, Diehl oder Renk sollen Aufträge aus ganz Europa bekommen, um die Kampffähigkeit gegen Russland zu erhöhen – was einerseits die Kassen der Rüstungsschmieden schon jetzt klingeln lässt wie nie, und andererseits dem deutschen Staat langfristig neben seiner wirtschaftlichen auch zu größerer militärischer Macht in Europa verhilft. Anders gesagt: Je mehr Panzer, Artilleriegeschütze, Munition und Gerätschaften aus deutscher Produktion irgendwann über die A2 in Richtung Russland rollen, desto besser für deutsche Kapitalist:innen und ihre Politiker:innen.

    Nur eine organisierte Arbeiter:innenklasse wird die Aufrüstung stoppen

    Wenn Kapitalist:innen Profite einstreichen und mehr und mehr Steuergelder in die Rüstungsindustrie fließen, bezahlt dafür ein Großteil der Arbeiter:innenklasse mit mehr Arbeit, weniger Lohn, Sozialabbau und Kürzungen bei Bildung und Gesundheit. Was aber können wir tun, um die Aufrüstung zu stoppen und einen Krieg zu verhindern? Stehen nicht alle diejenigen, die keinen Krieg wollen, schon längst einer Übermacht gegenüber, die wir nicht werden besiegen können?

    Ja, die Konzerne, welche die Nationalstaaten im Sinne ihrer Interessen Kriege führen lassen, sind mächtig. Aber weil nicht die Kapitalist:innen selbst, sondern wir, die Arbeiter:innenklasse ihren Reichtum erwirtschaftet, liegt es letztendlich auch in unseren Händen, der Aufrüstung, der Kriegstreiberei und dem Töten Einhalt zu gebieten.

    Noch haben wir unsere Macht nicht erkannt – im Gegensatz zum Beispiel zur Bundeswehr, die in einer öffentlichen Erklärung über ihren „Operationsplan Deutschland“ schreibt: „Die maximale zivile Unterstützung ist ein entscheidender Faktor“. Das heißt im Umkehrschluss auch, dass wir die Möglichkeit haben, die strategischen Überlegungen des deutschen Imperialismus zu durchkreuzen, wenn wir uns als Klasse zusammenschließen und dem Militär und Kapital unsere Unterstützung versagen.

    Wenn die Bundeswehr die Losung „Deutschland. Gemeinsam. Verteidigen“ ausgibt, so müssen wir antworten „Klassenkampf. Gemeinsam. Organisieren“. Den Krieg zu verhindern ist für uns dabei weniger eine moralische Frage: Für unsere Klasse geht es ums Überleben, denn wir und die Arbeiter:innen aller anderen Kriegsparteien sind es, die auf Autobahnen an die Front verfrachtet werden sollen und uns für die Interessen einiger weniger Kapitalist:innen gegenseitig erschießen sollen.

    Erst im Frühjahr haben uns die Hafenarbeiter:innen Genuas ins Gedächtnis gerufen, was passiert, wenn wir bei diesem Spiel nicht mitspielen und unsere Arbeit verweigern. Als über ihren Hafen Waffen in Richtung Israel verschifft werden sollten, streikten sie und verhinderten somit die Lieferungen. Es ist heute an der Zeit, diesem Beispiel auch in Deutschland nachzueifern. Nur gemeinsam werden wir es schaffen, die mächtige Rüstungsindustrie in die Knie zu zwingen und all die Milliarden nicht mehr für Waffensysteme, sondern für das Wohl unserer Klasse auszugeben.

    Dieser Text ist in der Print-Ausgabe Nr. 89 vom August 2024 unserer Zeitung erschienen. In Gänze ist die Ausgabe hier zu finden.

    • Seit 2022 bei Perspektive Online, Teil der Print-Redaktion. Schwerpunkte sind bürgerliche Doppelmoral sowie Klassenkämpfe in Deutschland und auf der ganzen Welt. Liebt Spaziergänge an der Elbe.

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