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Montag, September 16, 2024
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    „Am Ende dient diese Art von ‚ökologischer’ Politik der kompletten Zerstörung der Natur für den Profit“

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    Mitte Juli unterzeichneten die EU und die Republik Serbien ein gemeinsames Abkommen: Während deutsche Automobilkonzerne heiß auf die großen Lithiumvorkommen in dem Land sind, erhofft sich die serbische Regierung Milliarden an Euro durch die EU. Doch wegen des umwelt- und gesundheitsschädlichen Abbaus des Rohstoffs trugen in den vergangenen Wochen Zehntausende ihren Unmut auf die Straße. Perspektive Online hat mit der kommunistischen Gruppe „Rote Aktion / Rote Initiative” aus Kroatien und Serbien über die Massenproteste gesprochen.

    In Serbien befindet sich das größte Lithiumvorkommen in Europa. Internationale Unternehmen haben daran Interesse gewonnen und planen den Abbau vor Ort. Wie ist es dazu gekommen?

    Die einen sagen, es sei die größte Lagerstätte, die anderen sagen, sie sei es nicht. Lithium kommt in der Natur in verschiedenen Formen vor, und der Abbau von Lithium ist nichts Unübliches. Aber der Plan, in Serbien Lithium abzubauen, ist völlig neu. Das hat damit zu tun, dass erst vor 20 Jahren ein neues Mineral in Serbien entdeckt wurde, und zwar im Tal des Flusses Jadar, weshalb es auch Jadarit genannt wird. Jadarit enthält Lithium und Bor, und im Prozess der Aufspaltung wird Schwefelsäure verwendet. Außerdem ist das ein extrem wasseraufwändiges Verfahren…

    Um es kurz zu machen: Die komplette Verwüstung der Natur, der Felder, die aber schon für die Landwirtschaft genutzt werden, sowie der Reserven an natürlichem Süßwasser steht uns bevor. Wichtig zu sagen ist, dass auch Deutschland riesige Lithiumvorkommen hat. Aber der deutsche Kanzler und der deutsche Botschafter bestehen eben auf dem Lithiumabbau in Serbien.

    Es gibt massive Proteste gegen die Maßnahmen der Regierung und der Unternehmen. Warum ist die Bevölkerung so wütend?

    Es geht um einige wichtige Dinge. Erstens: Obwohl das ökologische Bewusstsein im Alltag nicht sehr ausgeprägt ist, sind sich die Menschen bewusst, dass hier die Zerstörung von fruchtbarem und, auf die Lebensmittelproduktion bezogen, sehr wichtigem und potentem Land unmittelbar bevorsteht. Besonders wenn es um die Produktion von Bio-Lebensmitteln geht.

    Zweitens: Der Plan, wie man die zahlreichen Menschen in den betroffenen Gebieten umsiedeln möchte, ist sehr unklar. Bei der ersten Protestwelle vor zwei Jahren sagte Präsident Vučić sinngemäß: „Wir können es zulassen, dass mehr Menschen geopfert werden, als ursprünglich geplant”. Das hat deutlich gezeigt, was für Folgen das Ganze haben wird. Drittens: Der Ruf von Rio Tinto (Anm. d. Red.: einer der größten Bergbaukonzerne weltweit) ist weltweit berüchtigt, also spielte auch das eine Rolle.

    Wie hat sich die Protestbewegung entwickelt und was fordert sie? Welche Rolle habt ihr bei den Protesten gespielt?

    Die Proteste sind sehr wichtig im Hinblick auf die politische Dynamik: Die bürgerliche Politik in Serbien ist sehr ungleich verteilt, die Regierungspartei hat die vollständige Hegemonie im Parlament erreicht. Als die erste Protestwelle 2021 begann, zog diese massive Basisbewegung verschiedene Politiker an, von liberalen Pro-EU-Politikern bis hin zu extremen Nationalisten. Sie alle versuchten, diese Bewegung zu einem Testobjekt für ihre Versuche zu machen, um in der breiten Masse wieder an Bedeutung zu gewinnen. Bislang hatten diese Versuche aber nur sehr begrenzten Erfolg, dank der Medienmacht, welche die Regierungspartei hat.

    Die überwiegende Mehrheit der Demonstranten konzentriert sich lediglich auf den Bergbau, trotz aller Versuche, den Protest nur gegen die Regierung zu richten oder ihn für bestimmte nationalistische Anliegen auszunutzen. Das Ergebnis ist, dass der Protest aufgrund seines heterogenen Charakters nicht in der Lage ist, sich zu radikalisieren.

    Unsere Rolle bestand von Anfang an darin, vor der drohenden Zerstörung zu warnen sowie den neokolonialen Charakter dieses Projekts zu erklären. Außerdem spielten wir eine aktive Rolle bei der Verbreitung des Bewusstseins über die Versuche der Mainstream-Politik, den Protest für ihre eigenen Interessen zu nutzen. Und es ist wichtig zu erwähnen, dass wir die ersten waren, die die Massen vor Rio Tinto und seinem bösen Ruf als rücksichtsloser Ausbeuter und Naturzerstörer gewarnt haben. Auch vor Ort nehmen wir an Blockaden teil, halten hin und wieder Redebeiträge auf Protesten, drucken unser eigenes Material zum Thema und so weiter.

    Was sind eurer Meinung nach die nächsten Schritte?

    Es ist notwendig, sich weiterhin auf das Thema zu konzentrieren und sich auf einen langen Kampf vorzubereiten. Denn es ist klar, dass das Interesse des Kapitals und des internationalen kapitalistischen Systems an diesem Thema sehr groß ist. Die Menschen in Serbien, aber auch in Bosnien und einigen anderen Balkanstaaten, sollten sich also bewusst sein, dass dieser Prozess nicht einfach so beendet werden kann. Viele Interessen sind in dieser Operation miteinander verflochten, eine Menge Geld wurde bereits in die Bestechung der politischen und medialen Elite investiert. Den Feind sollte man also durchaus ernst nehmen: Es ist die vereinte Kraft eines riesigen multinationalen Unternehmens und des gesamten politischen und ideologischen Apparats von Serbien.

    Außerdem ist es wichtig, die Versuche der verschiedenen bürgerlichen Parteien, Einfluss zu erlangen, abzulehnen. Denn sie sind eben nicht auf eine umfassende Konfrontation mit dem westlichen Kapital aus, sondern versuchen lediglich, ihre Agenda durchzusetzen.

    Wie beurteilt ihr die Rolle Deutschlands im Gesamtkontext?

    Nun, das liegt auf der Hand: Der Besuch des deutschen Bundeskanzlers und des deutschen Botschafters hat deutlich gemacht, wie wichtig das Jadar-Projekt insbesondere für den deutschen Staat ist. Das war auch einer der Gründe für die massive Empörung unter der Bevölkerung, also die Haltung der Botschaften der USA, Großbritanniens und Deutschlands. Länder, die Einfluss auf die lokale Politik haben, haben eine klare Haltung zu dem ganzen geplanten Lithium-Abbau. Das hat sich auch in der Antwort der Massen niedergeschlagen.

    Wie können Menschen in Deutschland, die sich solidarisch zeigen wollen, euch unterstützen?

    Jeder Akt der Solidarität ist gut, aber vor allem muss man die Grundlagen dieser Art von „ökologischer“ Politik in Frage stellen: Am Ende dient es der kompletten Zerstörung der Natur für den Profit und hilft eben nicht der Umwelt weiter. Doch wir alle leben auf dem gleichen Planeten, atmen die gleiche Luft und so weiter. Wir müssen so viele Dinge in der Politik, die sich „grün“ und „ökologisch“ nennen, in Frage stellen, denn in vielen Fällen sind solche Begriffe nur eine Maske für die Gier des Kapitals.

    Außerdem freuen wir uns über alle Botschaften, Slogans, Plakate und alles, was den Kampf unterstützt. Und vor allem: Euer täglicher Kampf gegen den Kapitalismus und den deutschen, westlichen und jeden anderen Imperialismus ist die beste Unterstützung.

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