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Sonntag, September 15, 2024
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    Der Werte-Westen und die ukrainischen Bodenschätze

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    Die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung hat in einem Papier die Bedeutung der ukrainischen Bodenschätze für die Industrie Europas hervorgehoben. Von der Kriegszerstörung bis zur anhaltenden Korruption steht der Einverleibung jedoch noch manches im Weg. – Ein Kommentar von Mario Zimmermann.

    „Von Titan bis Taurus“ lautet das Papier der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS), das im August in der Kategorie „Analysen und Argumente“ herausgegeben wurde. Es zeichnet ein klares Bild der wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen der EU und Deutschlands mit Blick auf die ukrainischen Bodenschätze.

    In den populären Erzählungen über den Ukraine-Krieg werden vor allem der Schutz von Demokratie und Freiheit sowie die Unabhängigkeit der Ukraine hochgehalten. Im Hintergrund geht es jedoch um die wirtschaftliche Eingliederung der Ukraine in den europäischen Wirtschaftsraum und die vielen „Leckerbissen“, die sie für europäische Monopole bereit hält.

    Neben rund 20 ukrainischen Staatskonzernen, die in nächster Zeit privatisiert werden sollen – darunter auch Bergbau- und Chemiekonzerne – konnten sich die USA dahingehend bereits einen langfristigen Liefervertrag für ihr LNG-Gas an die Ukraine sichern.

    Lithium und seltene Erden

    In der Ukraine befindet sich eine breite Palette an Rohstoffen für strategisch wichtige Industrien. Ein noch größerer Teil soll noch gar nicht erkundet und erschlossen sein. Hier tritt die EU auf den Plan, die den europäischen Bergbau-Konzernen Zugang zu den Rohstoffvorkommen verschaffen möchte und so der Ukraine bei der Förderung der Bodenschätze „helfen“ möchte. Schon im Juli 2021 wurden Schritte beschlossen, um eine strategische Partnerschaft zwischen der Ukraine und der EU zur Ausbeutung dieser ukrainischen Ressourcen zu starten. Darin wird eine Möglichkeit gesehen, die Bergbau-Industrie Europas zu stärken.

    Die Entwicklung der Ukraine zur deutschen Neokolonie

    Auch andere Industrien sollen profitieren. So geht es auch um Rohstoffe wie Lithium, das dringend für die Produktion von Batterien benötigt wird. Durch den Umstieg der Autoindustrie auf E-Autos steigt der Bedarf massiv an. Solche Seltenen Erden, die sich über die gesamte Breite der Ukraine erstrecken sollen, werden in einer Vielzahl von Hightech-Produkten und Maschinen verbaut. Dabei reicht das Spektrum von Medizintechnik und Leuchtmitteln über Haushaltswaren bis hin zu Elektro-Motoren und Generatoren. Der weltweite Bedarf steigt weiter schnell – und bisher dominiert China den Weltmarkt.

    Die genauen Mengen der ukrainischen Rohstoff-Vorkommen, die der EU und ihren Konzernen zur Verfügung stünden, hängen vom Ausgang des Ukraine-Kriegs ab. In seinem Verlauf wurden von Russland bereits diverse Abbaugebiete für Lithium und Seltene Erden erbeutet.

    Rüstungsindustrie im Aufbau?

    Einhergehend mit der Förderung von strategisch wichtigen Rohstoffen müsse laut der Publikation der KAS auch die industrielle Basis wieder aufgebaut werden. Große Teile davon befinden sich in den von Russland kontrollierten Gebieten im Osten des Landes oder wurden zerstört.

    Laut KAS sollte deshalb mittelfristig der Fokus zunächst auf dem Aufbau der Rüstungsproduktion in der Ukraine liegen. So solle die Ukraine in die Lage versetzt werden, „kriegswichtige Güter selbst herzustellen“. Von europäischen Bergbau-Konzernen könnten z.B. die Ressourcen gefördert und geliefert werden, die dann in der Ukraine selbst von europäischen Rüstungsfabriken zu Lizenz-Produkten nach NATO-Standard hergestellt würden, so die Zukunftsvision der KAS.

    Offene Fragen gibt es allerdings bei der wirtschaftlichen Umsetzung des Projekts im Kriegszustand: die Produktionsstandorte würden schnell zu Zielen russischer Angriffe werden. Solche Herstellungsstätten könnten deshalb nach Schätzungen der KAS vor allem im Einzugsgebiet Kiews aufgebaut werden, da die Luftabwehr dort die beste sei.

    Korruption und Lohnraub

    Einen Ausblick auf die schlechten Bedingungen des Bergbaus in der Ukraine geben ganz aktuell die Arbeitskämpfe in den ukrainischen Bergwerken: Nach größeren Streiks in den Jahren 2020 und 2022 in verschiedenen ukrainischen Bergwerken wegen der Auszahlung zurückgehaltener Löhne und Lohnerhöhungen und gegen die Korruption im Bergbausektor kommt es derzeit zu neuen Streiks im staatlichen Bergwerk Tscherwonohrad und in der Westukraine.

    Seit Februar 2024 wurden die Löhne der 6.000 Bergarbeiter:innen allein in Tscherwonohrad wieder nicht ausgezahlt. Diese Probleme betreffen die Bergarbeiter:innen und ihre Familien schon seit Jahren. Vom Energieministerium wird als Vorwand für das Zurückhalten der Löhne die Zerstörung der Kraftwerke genannt. Diese können die geförderte Kohle deshalb nicht nutzen.

    Bereits im Herbst 2023 war es zu Streiks im Bergwerk Nr. 9 in Novovolynsk gekommen, nachdem die Löhne zu spät gezahlt wurden und das Energieministerium ein neues Management für die Mine einsetzen wollte: Dem neuen Manager wurde von den Bergarbeiter:innen vorgeworfen, in ein korruptes Personennetzwerk eingebunden zu sein, das seit Jahren versuche, Kontrolle über die Minen zu erlangen und sich an ihnen zu bereichern. Die Bergarbeiter:innen beförderten ihn kurzerhand aus dem Bergwerk hinaus bei seinem Versuch, es zu betreten.

    • Perspektive-Autor seit 2023. Lieblingsthemen: Militarisierung und Arbeitskampf. Lebt und arbeitet in Nürnberg. Motto: "Practice like you've never won, play like you've never lost!" -Michael Jordan

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