`
Donnerstag, September 19, 2024
More

    Warum Kapitalist:innen ihre eigenen Städte bauen

    Teilen

    Mit Próspera wurde 2021 der Bau einer privaten Stadt in Honduras begonnen, mit eigenen unternehmerfreundlichen Gesetzen und einem an Eigentum gebundenes Wahlrecht. Auch andere Privatstädte sind in Planung. Welche Ideologie steckt hinter diesen kapitalistischen Ambitionen? Gehört der zentrale Staat der Geschichte an? – Ein Kommentar von Jens Ackerhof

    Eigentlich ist der Staat ein sehr nützliches Mittel für die Reichen und Mächtigen, also die Klasse der Kapitalist:innen: Haben ihre Banken zu waghalsig spekuliert, rettet der Staat sie nicht selten mithilfe unserer Steuergelder. Wachsen die Profite der Unternehmen nicht schnell genug, hilft er mit Investitionen und Infrastrukturprojekten. Haben andere Länder attraktive Rohstoffvorkommen oder strategische Bedeutung für die Profite der Monopole, fängt er Kriege an oder mischt sich in diese ein. Und bringen Arbeiter:innen ihre Wut über diese Ausbeutung auf die Straße, schickt er schützend seine Polizei.

    Trotz all dieser Vorteile ist der Staat einigen Kapitalist:innen ein Dorn im Auge. Sie träumen davon, ohne lästige Regulierungen, Steuern oder Arbeitsrecht wirtschaften zu können. Oder statt der gängigen parlamentarischen Demokratie das Wahlrecht einfach ans Eigentum zu koppeln. Um diesen Traum zu verwirklichen, setzen viele auf die Errichtung von Privatstädten. Dies sind Sonderwirtschaftszonen, die von den Unternehmen weitestgehend ohne den Einfluss der Staatsgebiete, in denen sie liegen, errichtet und verwaltet werden können.

    Próspera – Privatstadt in Honduras

    Das wohl am weitesten fortgeschrittenste Projekt dieser Art ist Próspera auf der honduranischen Insel Roatán. Anscheinend lebten dort im letzten Jahr dauerhaft lediglich fünf Menschen. Dennoch umfasst Próspera ein Gebiet von fast 28 Hektar (1ha = 10.000 qm), rund 156 weitere Hektar sind beantragt. Wer zentralen Währungsformen misstraut, kann in Próspera auch Bitcoin nutzen oder sogar im eigens errichteten Bitcoin-Center Geld abheben.

    “Libertäre” wollen Privatstadt in Sachsen gründen – was verbirgt sich hinter diesem Konzept?

    Der vielleicht skurrilste Teil der Privatstadt ist der Distrikt Vitalia, nach eigener Beschreibung ein „sicherer Hafen für biotechnologische Innovation und Anreizstrukturen, um den Tod optional zu machen“. Während die Zulassung von Medikamenten in vielen Staaten ein langwieriger Prozess sein kann, kann man sich in VItalia bereits experimenteller Gentherapien unterziehen, beispielsweise mit dem Ziel, das Altern aufzuhalten (Longevity).

    Prósperas politisches System

    Der demokratische Prozess in Próspera ist an Privateigentum geknüpft. Von neun Ratsmitgliedern werden vier vom Unternehmen Honduras Prospera LCC bestimmt, zwei von Land- und Grundbesitzer:innen gewählt (relativ zu der Größe ihres Besitzes), und drei durch Einwohner:innen – zu denen Landbesitzer:innen aber auch gehören und erneut abstimmen dürfen. Für das Aufenthaltsrecht zahlen Ausländer:innen 1.300 US-Dollar pro Jahr, Honduraner:innen 260 US-Dollar. Während zwar noch kaum Menschen in Próspera wohnen, kann man online eine E-Residenzschaft beantragen. So lässt sich die Stadt bereits jetzt als eine Art Steueroase nutzen.

    Widerstand in Crawfish Rock

    Auch wenn Investor:innen gerne die angeblich durch Privatstädte entstehenden Arbeitsplätze erwähnen, oder sich wie der Próspera-Haupteigentümer Erick Brimen sogar das Ziel „Armut zu beseitigen“ auf die Fahne schreiben, ist die einheimische Bevölkerung meist kritisch – zu Recht! Die Einwohner:innen des an Próspera angrenzenden Fischerdorfs Crawfish Rock fürchten, von den ausländischen Investor:innen vertrieben zu werden. Obwohl das Unternehmen solche Enteignungsvorhaben leugnet, zeigte ein Expansionplan ihre Grundstücke in Crawfish Rock bereits als einverleibt. Die Gemeindepräsidentin Luisa Connor bezeichnet Próspera als „modernen Kolonialismus“, der nur auf billige Arbeitskräfte aus ist.

    Das Parlament von Honduras unter der sozialdemokratischen Präsidentin Xiomara Castro beschloss 2022, die gesetzliche Grundlage für Privatsstädte wie Próspera zu entziehen. Wie mit bereits errichten Städten umzugehen ist, ist jedoch immer noch unklar. Indes bauen die Investor:innen von Próspera trotzdem munter weiter – und verklagen den honduranischen Staat auf 10,7 Milliarden Euro Schadensersatz.

    Ideologische Grundlage: Libertarismus

    Die Konzept der Privatstädte entstammt der libertär-kapitalistischen Ideologie. In ihrer stärksten Ausprägung, dem „Anarcho-Kapitalismus“, lehnt sie diese Staaten grundsätzlich ab und befürwortet einen absolut freien Markt. Ein moderaterer Libertarismus fordert einen „Minimalstaat“, der lediglich bestimmte Grundfunktionen wie die Gewährleistung von Sicherheit erfüllt.

    Die vom libertären Philosophen Robert Nozick in seinem Buch „Anarchie – Staat – Utopia” beschriebene Utopie kommt den Privatstädten bereits recht nahe. Nozick denkt an ein Netzwerk privater freiwilliger Gemeinschaften. Diese können selbstständig über ihre Gesetze und Zugangskosten entscheiden. Der übergeordnete Staat solle lediglich die Rolle haben, das Einhalten von Verträgen sicherzustellen.

    Die Gründung von Privatstädten kann als Versuch gesehen werden, diese Fantasien in profitable Möglichkeiten zu verwandeln: Während der Anarcho-Kapitalist David Friedmann lediglich auf theoretischer Ebene die totale Privatisierung ausrief, sieht sich sein Sohn Patri Friedmann als der, der sie praktisch umsetzen wird. Er ist Gründer des Seasteading Instituts, das schwimmende Städte in internationalen Gewässern errichten möchte. Das Seasteading Institut wurde, wie auch Próspera und andere Privatstädte, vom Milliardär und Paypal-Mitgründer Peter Thiel finanziert.

    Landeskriminalamt Bayern schafft Palantir-Analysesystem an

    Milton Friedman, einer der einflussreichsten bürgerlichen Ökonomen des 20. Jahrhunderts und Großvater von Patri Friedmann, hatte hingegen wenig Berührungsängste mit Staaten – er traf sich mehrfach mit dem faschistischen Diktator Augusto Pinochet, um in Chile Privatisierungen durchzusetzen.

    Charterstädte und Militärputsch in Honduras

    Vor der Idee der Privatstädte kam jedoch Paul Romers Vorschlag von „Charterstädten“. Der ehemalige Weltbankchef dachte dabei an Städte, die unter der Kontrolle reicher Industrieländer in einem armen Staat gebaut, entwickelt und übergeben werden sollen. Ganz wie bei Milton Friedman ist es ein Militärputsch, der Romer seinen Zielen näherbringt. 2009 wird in Honduras die linksliberale Regierung geputscht. 2011 beschließt dann das honduranische Parlament die Errichtung von Sonderentwicklungszonen (RED). Romer kam aufgrund interner Machtkämpfe jedoch nicht zur Verwirklichung der Charterstadt.

    Zwar erklärt der Oberste Gerichtshof 2012 das RED-Gesetz für verfassungswidrig. Mit Hilfe des Militärs wurde der Oberste Gerichtshof dann jedoch abgesetzt und eine Verfassungsänderung vorgenommen. Diese sicherte dann die Möglichkeit der Gründung von Sonderzonen für Beschäftigung und Entwicklung (ZEDE) ab. Diese ZEDE boten die Grundlage für Privatstädte wie Próspera.

    Warum Kapitalist:innen den Staat brauchen

    Werden wir also zukünftig alle in privaten Städten leben, in denen Kapitalist:innen die absolute Herrschaft haben? Sonderlich wahrscheinlich ist das nicht. Denn wie eingangs bereits beschrieben haben Kapitalist:innen durchaus ein Interesse an einem starken zentralisierten Staat. Auch wenn gewisse Steuern oder Gesetze kurzfristig ihre Profite verringern mögen, sind diese letztlich dafür da, ihre Profite dauerhaft zu sichern.

    Um überhaupt erst die grausamen Experimente der Libertären durchsetzen zu können, benötigte es massiver staatlicher Gewalt, wie bei den Putschen in Chile oder Honduras. Die ausbeuterische Beziehung der Privatstädte zu den meist armen Ländern, in denen sie sich niederlassen, wäre auch gar nicht denkbar ohne den Kontext des globalen Imperialismus. Auch dieser beruht auf Nationalstaaten, die durch Gesetze, Handel und Krieg die Profite ihrer Monopole und Unternehmen sichern.

    Argentinischer Präsident Milei verbietet Straßenproteste und will Notstand ausrufen

    Privatstädte – neokolonial und antidemokratisch

    Noch sind Privatstädte immer noch mehr Idee als Realität. In vielen Fällen mögen die Pläne auch lediglich Schneeballsysteme sein, über die mit naiven Anleger:innen schnell Geld verdient werden soll. Dennoch zeigen die Investitionen von Milliardären wie Peter Thiel, dass die Idee durchaus auch ernst genommen wird. Zum einen sind die unternehmerfreundlichen Gesetze natürlich sehr attraktiv.

    Zum anderen sind Privatstädte aber auch Labore, in denen gesellschaftliche Prozesse, die eventuell auch in größeren Staaten durchgesetzt werden, erprobt werden können. Wer vor allem unter der Ausweitung von Privatstädten leiden wird, ist die Arbeiter:innenklasse der ärmeren und abhängigen Länder, in der diese meist errichtet werden. Doch auch innerhalb der imperialistischen Zentren normalisiert die Idee der Privatstädte eine Abwendung von jeglicher Demokratie hin zu einer offenen Herrschaft des Geldes.

     

    Alle nicht verlinkten Informationen stammen aus Andreas Kempers 2022 erschienenem Buch Privatstädte – Labore für einen neuen Manchesterkapitalismus

    • Perspektive-Autor seit 2023. Wohnort: Hamburg. Kommentare verfasst er häufig über bürgerliche Politiker:innen und deren Propaganda. Seine Lieblings- und Haustiere sind Ratten.

    Mehr lesen

    Perspektive Online
    direkt auf dein Handy!

    Weitere News