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Mittwoch, Juni 26, 2024
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    30 Jahre Abschaffung des §175 StGB – sind LGBTI+ jetzt frei?

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    Am Dienstag jährte sich zum 30. Mal die Abschaffung des Schwulenparagrafen“ §175 StGB, mit dem homosexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe standen. Dieser Meilenstein der Liberalisierung wurde uns nicht geschenkt, sondern von der Schwulen- und Arbeiter:innenbewegung erkämpft. – Ein Kommentar von Julia Wolff.

    In der Nacht vom 27. auf den 28. Juni kam es 1969 zu Aufständen, an denen LGBTI+-Personen sich in der „Stonewall-Bar” in New York gegen die Gewalt zur Wehr setzten, die sie regelmäßig durch die Polizei vor Ort erfuhren. LGBTI+-Personen, das sind Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen.

    Der Tag hat eine besondere Bedeutung für Arbeiter:innen und LGBTI+-Personen, denn die Kämpfe gelten als Ausgangspunkt für die heutige LGBTI+-Bewegung und viele errungene Rechte. Sie stellen einen wichtigen Bezugspunkt dar, denn sie richteten sich nicht nur gegen die Polizeigewalt, sondern auch gegen Kapitalismus und Patriarchat.

    Heutzutage, vor allem im Juni, dem sogenannten „Pride Month, versuchen Konzerne, Kapitalist:innen und Staaten, diese Kämpfe zu vereinnahmen und sich anzueignen, um sich fortschrittlich zu geben und aus ihnen Profit zu schlagen. Die Vorkämpfer:innen der „Stonewall-Aufstände” erkannten hingegen, dass es eine Befreiung für Arbeiter:innen und LGBTI+-Personen nicht innerhalb dieses Systems geben kann.

    Aus diesem Grund gehen noch heute viele Menschen in Deutschland an diesem Tag auf die Straße, um den klassenkämpferischen Ursprung der Aufstände und LGBTI+-Bewegung in den Vordergrund zu stellen und als Klasse gemeinsam gegen die Unterdrückung von LGBTI+-Personen zu kämpfen.

    Widerstand gegen den §175 StGB

    Doch nicht erst seit den Stonewall-Aufständen gibt es Widerstand von Arbeiter:innen gegen LGBTI+-Feindlichkeit. In Deutschland hat der Kampf schon eine lange Tradition: So wurde schon in den 1920er Jahren gegen den Paragrafen 175 StGB, der Homosexualität kriminalisierte, gekämpft. Der schlussendliche Erfolg dieser Anstrengung ist dabei noch nicht lange her: Erst vor 30 Jahren, am 11.6.1994, wurde er in der BRD endgültig abgeschafft. Über 120 Jahre nach seiner Einführung war diese Beseitigung des Paragrafen etwas, das sich hart erkämpft werden musste.

    Der Paragraf 175 wurde bereits mit der Gründung des deutschen Kaiserreichs im Jahr 1871 eingeführt und stellte Homosexualität zwischen Männern in Deutschland unter Strafe. Die fortschrittlichsten Teile der Arbeiter:innenbewegung begannen schon einige Jahre später,r die Legalisierung von Homosexualität zu kämpfen. Eine vollständige Abschaffung des Paragraphen 175 konnte nicht erzielt werden, doch es gelang der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD), zumindest eine Verschärfung der Strafverfolgung zu verhindern.

    Als jedoch der Hitler-Faschismus an die Macht gelangte, kam es zu brutalen Verfolgungswellen gegen schwule Arbeiter. Ab diesem Zeitpunkt reichte schon der Verdacht auf Homosexualität aus, um in ein Gefängnis oder Zuchthaus gesteckt zu werden. Selbst Umarmungen und Küsse wurden mit Gefängnisstrafen beantwortet. Tausende wurden verhaftet, gequält oder in Konzentrationslagern ermordet.

    Die systematische Verfolgung homosexueller Männer nahm neue Ausmaße an: so wurde 1936 extra eine „Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und der Abtreibung” gegründet. In den Konzentrationslagern erhielten Homosexuelle eine besondere Kennzeichnung an der Kleidung in Form eines rosa Dreiecks, des sogenannten „Rosa Winkels. Viele schwule Arbeiter wurden auf richterliche Anordnung hin kastriert oder überlebten das Konzentrationslager nicht. Darüber hinaus wurden sogenannte Rosa Listen“ angefertigt, mit denen die Daten Homosexueller gesammelt wurden, um eine leichtere Verfolgung zu ermöglichen.

    Mit der Befreiung vom Faschismus trat jedoch kein Ende der erhofften Verfolgung ein, ganz im Gegenteil: In der Bundesrepublik übernahm man den Paragrafen 175 in der Fassung der Nazis und schloss sich auch deren Rechtsprechung an. Die Rosa Listen wurden in der BRD noch bis in die 80er Jahre weiter geführt. Etwas anders sah es in der DDR aus, wo man zunächst die Fassung aus der Weimarer Republik übernahm, später den Paragrafen aber ganz abschaffte. Mit der Annexion der DDR wurden diese Rechte wiederum zunichte gemacht. Erst 1994 kam es dann auch in ganz Deutschlands zur ersatzlosen Streichung des Paragrafen.

    Kampf dem Faschismus – Gestern wie Heute

    Wenn uns die Geschichte des §175 eines zeigt, dann, dass uns Freiräume nicht geschenkt werden – und dass sie uns auch wieder genommen werden können.

    Die Unterdrückung von LGBTI+-Personen begann nicht mit dem Hitler-Faschismus, doch sie verschärfte sich in dieser Zeit massiv. Die Nazis sahen in Schwulen und trans Personen vor allem eine Bedrohung für die Familien- und Geschlechterverhältnisse, die ihre Macht stützen sollten. Heute führen Faschist:innen diese Ideologie fort, wobei sie sich gleichzeitig der gewachsenen gesellschaftlichen Akzeptanz angepasst haben.

    So schreibt die AfD in ihrem Parteiprogramm von der „traditionellen Familie als Leitbild“, lässt aber offen, ob eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft mit Kindern für sie als Familie gilt. Gleichzeitig gibt es mit Alice Weidel eine lesbische Frau an der Spitze der Partei, die mit einer Frau und Kindern zusammenlebt. Sie grenzt sich dabei sehr scharf von den „Queers“ ab, womit sie LGBTI+- und insbesondere trans Personen meint, da sie nicht dem „Leitbild“ der traditionellen Familie entsprächen.

    So sind es heute im allgemeinen trans Personen, deren Leben die Faschist:innen angreifen und die sie als Bedrohung für ihre Ordnung sehen. Erkämpfte Rechte wollen sie rückgängig machen, wie z.B. das „Selbstbestimmungsgesetz“, das amtliche Namens- und Geschlechtsänderungen vereinfachen soll. Hierbei steht die vermeintliche „Zerstörung von Kindern- und Elternrechten“ im Vordergrund ihrer Argumentation. Schlussendlich geht es ihnen jedoch darum, besonders rückschrittliche Familienstrukturen zu konservieren.

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    Doch auch von bürgerlich-demokratischen Politiker:innen können wir keine Unterstützung erwarten. Das Selbstbestimmungsgesetz stellt zwar eine Verbesserung gegenüber dem alten „Transsexuellengesetz“ dar, doch wirkliche Freiheit bedeutet es noch lange nicht.

    Dazu kommt, dass es selbst in seiner engen Form begrenzt wird: So wird laut einer Sonderregelung zum Beispiel die Änderung des Geschlechtseintrags von männlich zu weiblich oder divers ungültig, sobald Deutschland Krieg führt und der Verteidigungsfall“ ausgerufen wird. Solange es keine automatische Einberufung aller Geschlechter als Kanonenfutter für den deutschen Imperialismus gibt, soll sich kein bei der Geburt als männlich angenommener Mensch dieser Aufgabe entziehen können.

    Außerdem werden von allen Personen, die eine Änderung vornehmen, die Daten an Behörden wie die Polizei, das Bundeskriminalamt oder den Verfassungsschutz übermittelt. Mit Freiheit dank Selbstbestimmung hat das nichts zu tun.

    Neben dem parlamentarischen Aufstieg der faschistischen Parteien erstarken auch wieder die Massenproteste von Faschist:innen und Fundamentalist:innen auf der Straße wie der sogenannte „Marsch für das Leben“. Die Demonstrant:innen inszenieren sich dabei als Lebensretter:innen von Menschen mit Behinderung und Beschützer:innen von ungeborenem Leben. Dahinter stehen jedoch reaktionäre Inhalte, die Frauen und trans Personen das Recht auf ihre körperliche Selbstbestimmung nehmen wollen.

    Als Arbeiter:innenklasse gemeinsam kämpfen

    Es ist kein Zufall, dass die Unterdrückung von LGBTI+-Personen sich in krisenhaften Zeiten verschärft und trans Personen im Fokus der Faschist:innen stehen. Überall auf der Welt spitzen sich die zwischenimperialistischen Konflikte zu, es herrschen Kriege und Wirtschaftskrisen.

    Die Folgen davon werden auf den Rücken der Arbeiter:innen abgeladen. So wirkt sich auch die Unterdrückung von LGBTI+-Personen überwiegend auf die Arbeiter:innenklasse aus. Für Kapitalist:innen gelten aufgrund ihrer Macht zwar nicht juristisch, aber praktisch andere Rechte. Zudem sind Kapitalist:innen und Faschist:innen interessiert an der Aufrechterhaltung des Systems, das die Unterdrückung von LGBTI+-Personen hervorbringt. Es kann also keinen klassenübergreifenden Kampf für LGBTI+-Rechte geben. Wir können auf keine Vertreter:innen des deutschen Imperialismus bauen.

    Gleichzeitig versucht die herrschende Klasse mit aller Kraft, die Arbeiter:innenklasse zu spalten, wenn es sein muss auch mit Gewalt und faschistischer Ideologie. Mit dem Erstarken rechter Kräfte und reaktionärer Weltbilder nimmt auch die Gewalt gegen LGBTI+-und insbesondere gegen trans Personen zu. Gerade in diesen Zeiten soll Gewalt als Mittel dafür sorgen, dass viele Teile der Arbeiter:innenklasse davon abgehalten werden, Widerstand zu zeigen. Dabei brauchen wir alle unsere Klassengeschwister, wollen wir uns gegen das kapitalistische System zur Wehr setzen.

    Denn wir Arbeiter:innen sind es, die in organisierter Form den Faschismus, patriarchale Unterdrückung, darunter Homo- und Transfeindlichkeit abwehren können. Ob die Kämpfe in den 1920er Jahren oder die Stonewall-Aufstände: Wenn wir als Arbeiter:innen uns zusammen schließen, dann können wir Angriffe auf körperliche, geschlechtliche und sexuelle Selbstbestimmung zurückschlagen.

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