In der Schweiz soll am 14. Juni 2019 der zweite Frauen*streik stattfinden. In mehreren Städten haben sich bereits Frauen*Streikkomitees gegründet. Sepideh Sorkh hat für Perspektive Online ein Interview mit der “Arbeitsgruppe Medien” des Baseler Komitees geführt.
Was ist der Frauenstreik?
In Deutschland und anderen europäischen Ländern werden Frauen* am 8. März streiken. In der Schweiz findet der Streik am 14. Juni 2019 statt. Das ist der Jahrestag des historischen Frauen*streiks von 1991. Damals beteiligten sich eine halbe Millionen Frauen* an Streikaktionen.
Die Zeit ist reif für eine Neuauflage. Das Gleichheitsversprechen bleibt unerfüllt, weil sich die Strukturen, in denen wir leben, in den letzten 27 Jahren nur unwesentlich geändert haben. Wir sehen sogar zunehmend und international mehr Raubbau an unseren Leben. Daher werden wir solidarisch mit anderen Frauen*bewegungen in den Streik treten, wenn auch nur für einen Tag – vorerst. Wir werden dabei vielfältig, undiszipliniert und so ungehorsam sein, wie nur möglich und all das, was an diesem Tag von uns erwartet wird – Erwerbsarbeit, Freundlichkeit, Respekt, Kinderbetreuung – nicht übernehmen.
Was wollt ihr mit dem Frauenstreik erreichen?
Der Streik ist ein Mittel der (Selbst)Ermächtigung. Wir werden zeigen, was passiert, wenn wir unsere Arbeitskraft niederlegen – im Betrieb wie im Privathaushalt. Unsere Forderung nach Lohngleichheit ist dabei wohl die kleinste. Wir wollen auch finanzielle und gesellschaftliche Anerkennung für die Arbeit, die wir unbezahlt leisten.
In der Schweiz entgehen den Frauen* jährlich 108 Milliarden Franken, weil sie weniger Lohn erhalten als Männer* und unbezahlte Arbeit in den Bereichen Kinder- und Altenbetreuung in der Familie leisten. Es ist dieses fehlende Einkommen, dass zu Erwerbs- und spätestens zu Rentenzeiten Armut schafft.
Es geht uns aber auch um Teilhabe. Wir wollen das ganze Leben. Deshalb müssen wir Arbeit neu denken und neu verteilen. Dazu brauchen wir eine radikale Erwerbeitszeitverkürzung und neue Formen der Aufteilung der unbezahlten Arbeit, Elternzeit, die den Namen verdient und kostenlose Kindertagesstätten.
Wir wollen aber auch politische Einmischung, eine Alltagskultur ohne Sexismus und Diskriminierung, wir wollen selbst über unseren Körper entscheiden und uns jederzeit an jedem Ort sicher fühlen können. Und all das ist nur ein Teil dessen, was wir ändern wollen. Dabei setzt jede* von uns andere Schwerpunkte.
Wir wissen, dass unsere Forderungen am 14. Juni nicht erfüllt sein werden. Aber wir wollen gehört und gesehen werden und nicht klein beigeben. Fortschritte werden nicht am Schreibtisch entworfen, sondern von sozialen Bewegungen erkämpft.
Wie steht ihr zum konstruktivistischen Feminismus, zum radikalen, liberalen und postmodernen Feminismus? Was sind eure Gemeinsamkeiten und Unterschiede?
Wir lernen unsere Unterschiedlichkeiten als Bereicherung zu verstehen, indem wir uns selbst und unsere Mitstreiter*innen ernst nehmen. Und jede Frau*, die sich beteiligen möchte, ist eingeladen ihre Forderungen und ihre Perspektive in den Streiktag zu tragen. Nur so wird es ein fruchtbares Projekt in dem wir auch selbst lernen.
Der Frauen*streik kann die Lebens- und Ausbeutungsweisen weisser Akademiker*innen mit denen von Frauen* ohne Pass, die ganz anderen Ausbeutungsweisen und Abhängigkeitsverhältnissen unterworfen sind, verbinden. Aber das geht nur, wenn wir einander ernst nehmen. Am Ende tragen wir alle die Konsequenzen aus Kapitalismus und Patriarchat, wenn auch auf unterschiedliche Weise.
Die deutsche Kommunistin Clara Zetkin war der Meinung, dass die Emanzipation der Frau nur in Verbindung mit der Emanzipation vom Kapital möglich ist. Was sagt ihr dazu?
Für viele Frauen* ist klar, dass sie produktiv tätig sein wollen, um Gesellschaftswerte zu schaffen, die allen nützen. Es geht um sinnstiftendes Tätigsein ausserhalb einer Profitlogik.
Nichtsdestotrotz sind im Kapitalismus auch Elemente entstanden, die zumindest einem Teil der Frauen* Fortschritte brachten.
Ist der Frauenstreik keine Aufspaltung in der Arbeiter*innenklasse? Wie steht ihr zu den Arbeitern?
Im Gegenteil. Der Frauen*streik macht sichtbar, was die Arbeiterbewegung häufig vergisst.
Wie eng arbeitet ihr mit der ArbeiterInnenbewegung zusammen und wie steht ihr als Frauenstreik zum Klassenkampf?
Die Frauen*bewegungen weltweit sind momentan jene, die aktuell den Klassenkampf am härtesten führen. Gewerkschafter*innen sind Teil unserer Bewegung, genau wie Mütter, Migrantinnen oder genderqueere Menschen. Der Frauen*streik hat das Ziel, all diese subalternen Perspektiven zu verbinden und zusammenzuführen, was im Alltag getrennt ist.
Das „Panty-trial“: Über die Aktualität und Daseinsberechtigung der Frauenbewegung
Was sind eure Perspektiven und die Horizonte für eine echte Emanzipation der Frau?
Die Frauen*streikbewegung wächst täglich und damit kommen ständig neue Themen und Sichtweisen hinzu. Es lässt sich also nie für alle sprechen, die sich beteiligen werden.
Nach einer gemeinsamen Retraite der Basler Frauen*streikgruppe können wir aber sagen, dass unsere gemeinsame Perspektive eine Gesellschaft ohne Unterdrückung und Spaltung ist. Wir wollen eine Welt in der Frauen* und queere Menschen an jedem Ort der Welt frei über ihr Leben und ihre Körper entscheiden können. Das klingt erstmal sehr global, ist aber auch sehr konkret, wenn wir die Lebensrealität der Sans-Papiers in Basel anschauen. Mitten unter uns leben Frauen*, deren Bewegungsfreiheit auf unvorstellbare Weise eingeschränkt ist.
Wir wollen aber auch eine Welt in der Frauen an der Gesellschaftsentwicklung teilhaben. Und dafür braucht es nicht einfach nur mehr Frauen* in der Politik. Die politischen Strukturen und Mitwirkungsprozesse müssen sich ändern.
Es geht aber auch um die Ökonomie und darum, dass alle notwendige Arbeit gerecht verteilt wird. Es geht um Anerkennung und Aufwertung “weiblich” konnotierter Lebensweisen, Berufe und Tätigkeiten. Die notwendige Arbeit, die viele von uns unbezahlt leisten, muss sich auch zu finanzieller Sicherheit beitragen. Wenn unsere Gesellschaft über Arbeit spricht, dann ist Erwerbsarbeit gemeint. Wenn wir aber die gesamte gesellschaftliche Arbeit anschauen, sehen wir, dass es kein faules Geschlecht gibt, aber ein Armes. Auch das muss geändert werden. Das gesellschaftliche Vermögen ist da.
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