Mehrere zehntausende Menschen haben am Wochenende in Tel Aviv gegen die von der rechten Regierung geplante Justizreform protestiert. Interessen der Palästinenser:innen spielten auf der Großdemonstration nahezu keine Rolle, obwohl sie am Ende wohl am meisten von den Vorhaben der Regierung betroffen sein werden.
Über 80.000 Menschen protestierten am Samstag bei strömenden Regen gegen die Regierung um Premierminister Benjamin Netanjahu (Likud-Partei) und deren Pläne zur Beschneidung der Macht des Obersten Gerichts in Israel. Außerdem gingen die Menschen laut eigenen Angaben gegen eine befürchtete Diskriminierung von queeren Menschen auf die Straße, da sich mehrere Parteien der Regierungs-Koalition offen queer-feindlich geäußert hatten.
Die Teilnehmer:innen riefen laut „Demokratie“, viele schwenkten dabei die Nationalfahne des israelischen Staates sowie Regenbogenfahnen.
Schwächung der Gerichte
Die Justizreform sieht vor, dass das Parlament zukünftig Gerichtsentscheidungen mit einer einfachen Mehrheit aufheben kann. Zudem soll das Parlament die Ernennung von Richter:innen bestimmen können.
Justizminister Yariv Levin (Likud-Partei) hatte diese Pläne kurz nach seinem Amtsantritt vorgestellt. Dazu gehört auch eine Gesetzesänderung mit dem Namen „Außerkraftsetzungsklausel“. Dieses Gesetz ermöglicht dem Parlament das Gericht zu überstimmen, auch wenn Letzteres einen Gesetzentwurf eigentlich abgelehnt hatte.
Laut der israelischen Zeitung Haaretz, steckt hinter der Justizreform ein israelischer Think Tank mit dem Namen „Kohelet Policy Forum“. Dieser wird von zwei US-Amerikanischen Milliardären aus Philadelphia finanziert und hat laut der Zeitung das Ziel, Israel in einen „fundamentalistischen Staat in Gestalt des Liberalismus“ zu verwandeln.
Gegen Netanyahu selbst läuft aktuell ein Verfahren wegen Korruption. Mithilfe einer solchen Reform könnte er selbst einer Verurteilung entgehen oder gar durch das Parlament das Verfahren einstellen lassen. Die Reform wird aber voraussichtlich vor allem für die Durchsetzung der eigenen reaktionären Gesetzentwürfe eingesetzt werden, sodass auch eigentlich von Gerichten als verfassungswidrig eingeschätzte Vorhaben umgesetzt werden können.
Rechtsaußen Koalition
Die frisch gewählte Regierung des Staates besteht aus mehreren Parteien, die sich zu einem ultrarechten Bündnis vereinigt haben. Neben der rechts-konservativen „Likud“-Partei, sind auch die zionistisch-fundametalistischen Parteien „Jüdische Stärke“, „Religiöser Zionismus“ und „Vereinigtes Thora-Judentum“ Teil der Koalition.
Vor allem die Partei „Jüdische Stärke“, welche mit Itamar Ben-Gvir nun den Polizeiminister des Landes stellt, berufen sich teilweise offen auf die in Israel verbotene faschistische „Kach“-Partei, welche dem Umfeld des terroristischen „Kahanismus“ zuzuschreiben ist. Ein Anhänger dieser Ideologie ermordete 1994 insgesamt 29 Palästinenser:innen beim Gebet.
Situation der Palästinenser:innen kein Thema
Bei dem Massenprotest am Wochenende spielte die Lage der Palästinenser:innen hingegen kaum eine Rolle. Bis auf einen kleineren „Anti-Apartheid-Block“ mit palästinensischen Flaggen und kämpferischen Parolen, wurde auf der Demonstration kein Bezug auf die schwierige Situation der Menschen in den palästinensischen Gebieten genommen. Im Gegenteil: Es wurde gab sogar von mehreren Seiten Appelle an die Demonstration, explizit auf palästinensische Fahnen zu verzichten.
Now: Tens of thousands in Tel Aviv protesting against the planned legal reforms in Israel. Several hundreds at an anti-apartheid bloc are chanting “democracy for everyone – from the river to the sea” pic.twitter.com/AgIbOdTEVH
— Haggai Matar (@Ha_Matar) January 14, 2023
Dabei dürften die Palästinenser:innen wohl am härtesten von den Vorhaben der rechten Regierung betroffen sein. Die Koalition hat in der letzten Woche dem Siedlungsausbau auf palästinensischen Gebieten im Westjordanland oberste Priorität eingeräumt und Netanyahu kündigte bereits eine Aufrüstung des israelischen Militärs an.
Jüdisch-fundamentalistische Politiker wie Ben-Gvir oder Bezalel Smotrich („Religiöser Zionismus“) entscheiden von nun an über das Verhalten Israels gegenüber den Palästinser:innen und haben bereits weitere Zugeständnisse zur Anwendung von Gewalt an die israelischen Sicherheitskräfte gemacht.
Im noch jungen Jahr 2023 wurden bereits 13 Palästinenser:innen von israelischen Soldat:innen getötet. Zuletzt wurde der 45-jährige Ahmed Kahla nach einer Diskussion mit israelischen Sicherheitskräften an einem Checkpoint erschossen.