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Samstag, April 20, 2024
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    Verkehrswende in Deutschland: Stillstand oder Fortschritt?

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    Stundenlang im Stau stehen, stundenlang auf Bus und Bahn warten, stundenlang zu Fuß laufen. Zumindest auf das Jahr hochgerechnet ist das die Lebensrealität vieler Menschen in Deutschland – unabhängig vom bevorzugten Fortbewegungsmittel. Doch die Verkehrspolitik der Ampelregierung verspricht mit Sicherheit nicht die Aussicht auf einen kostengünstigen und gut ausgebauten Nahverkehr, den wir so bitter nötig haben. – Ein Kommentar von Konstantin Jung

    Noch immer ist das Auto als Verkehrsmittel unter den Deutschen das beliebteste – doch der Wille zum Wechsel auf Fahrrad oder ÖPNV besteht zumindest. Um diesem Gefühl eine politische Grundlage zu geben, wird immer wieder über eine effektivere und nachhaltige Mobilitäts- bzw. Verkehrswende diskutiert. Besonders die Koalition aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP schreibt sich dieses Vorhaben immer wieder groß auf die Stirn und wollte schon 2021 „Fortschritt wagen“.

    Doch insbesondere die Verkehrspolitik der Bundesregierung wurde schon sehr früh enttarnt als das, was sie ist; ein Sammelsurium voller leerer Versprechen. Sowohl Umweltschutzorganisationen als auch von der Regierung selbst geschaffene Expertenräte kommen zu ähnlichen Ergebnissen und schätzen die Maßnahmen im Verkehrsbereich als viel zu mangelhaft ein – woraufhin sogar eine Klage der „Deutschen Umwelthilfe“ folgte.

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    Und immer noch lässt sich das Bundesverkehrsministerium neue Ablenkungsmanöver einfallen, um nach Außen das Bild einer vermeintlich progressiven Verkehrspolitik zu zeichnen. So wurde erst letzten Freitag das neue Instrument für Trendforschungen vorgestellt, die sogenannte „Gleitende Langfrist-Verkehrsprognose“. Die Ergebnisse: „bis 2051 wird der Verkehr überall in Deutschland zunehmen“. In Zeiten von sich verschärfender Globalisierung und steigender Wirtschaftsleistung Deutschlands kein allzu überraschendes Statement. Natürlich werden all die Trends auch mit konkreten Zahlen untermauert, doch Kritik an der Studie wurde bereits reichlich geäußert.

    So sagte Ingo Wortmann, Präsident des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), dass wir gerade „das Gegenteil von fortschrittlicher und die Zukunft gestaltender Verkehrspolitik“ erleben. Statt der x-ten Trendprognose brauche es stattdessen Gestaltungswillen in der Politik, um nicht immer und immer wieder den Status Quo einfach zu zementieren.

    Auffällig ist an der Maßnahme auch die überhöhte Fokussierung auf die Straße als Verkehrsträger. So fordert Volker Wissing, FDP-Politiker und Bundesverkehrsminister, ganz in Manier seiner freiheitsliebenden Partei, den Ausbau von eigentlich allem, was Leute und Güter bewegen kann. Ganz im Widerspruch steht diese Aussage zum Handeln seines Parteichefs Christian Lindner, der nicht mal ein Blatt vor den Mund nehmen muss, um den Ausbau des Nahverkehrs einfach abzulehnen – egal ob in der Stadt oder auf dem Land.

    Das behauptete der Finanzminister vor allem im Bezug auf das erfolgreiche 9-Euro-Ticket, welches vor allem für einkommensschwächere Teile der (vor allem städtischen) Bevölkerung eine kostengünstige Maßnahme für eine verbesserte Fortbewegung war. Doch nicht nur die FDP, sondern auch Bundeskanzler Olaf Scholz erteilte der Fortsetzung eines ähnlich teuren Tickets eine klare Absage.

    Im Anbetracht der Tatsache, dass die Preise im Nahverkehr bereits im September letzten Jahres wieder stiegen, war das 9-Euro-Ticket vor allem ein Mittel zur Besänftigung der (gerechtfertigten) Wut auf die Politik der Ampelkoalition. Doch trotz aller Kritik haben die drei Monate im Sommer 2022 gezeigt, dass ein günstiger Nahverkehr funktionieren kann – und von der Bevölkerung auch tatsächlich begrüßt wird.

    Doch niedrige Preise allein reichen für einen umweltfreundlicheren und sozialeren Verkehr nicht aus, wie viele Beispiele zeigen. Im oberbayerischen Pfaffenhofen, welches in einem der Landkreise mit der höchsten PKW-Dichte liegt, fahren seit Ende 2018 Busse, für die kein Ticket benötigt wird. Zwar stieg die Anzahl der Fahrgäste, die Menge an Autoverkehr blieb aber weitestgehend unverändert.

    Die Forderung nach einem kostenlosen Nahverkehr muss also immer auch mit seinem bundesweiten Ausbau verbunden sein. Ähnliche Nachfolgeprojekte stehen bereits im Raum und werden eventuell bald eingeführt, Kritik an diesem haben wir jedoch bereits im November letzten Jahres geübt.

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    Doch abgesehen davon springen einem auch viele weitere Armutszeugnisse der deutschen Verkehrspolitik aus anderen Bereichen ins Auge. So feierte die Europäische Union das von der Ampelregierung entschiedene Aus für mit Diesel und Benzin betriebene Autos als historischen Moment – doch selbst diese Position geriet immer wieder ins Wanken.

    Abgesehen davon, dass Entscheidungen wie diese vor allem im Interesse von Autokonzernen wie VW oder Daimler gefällt werden, die schon seit Jahren auf eine erhöhte Produktion von elektrisch betriebenen Autos setzen. Und auch der für den Bahnverkehr geplante effektivere Taktfahrplan muss kurzfristig auf sich warten lassen – knapp 50 Jahre lang. So war der sogenannte „Deutschland-Takt“ von der vorangehenden Koalition eigentlich für den Zeitraum 2030-2040 eingeplant, wird jetzt allerdings erst 2070 umgesetzt werden können.

    Beispiele wie diese, und unzählige weitere, zeigen, dass die Regierung Hand in Hand mit den Konzernen immer wieder vermeintlich „neue“ und „fortschrittliche“ Projekte auf die Tagesordnung bringt und diese dann medial hochpusht, um genug Gesprächsstoff für die kommende Zeit zu liefern – und damit von den immer gleich bleibenden Ursachen für eine schlechte Verkehrspolitik abzulenken.

    Denn weder heute noch in den kommenden Jahren sollten wir mit Maßnahmen der Regierung rechnen, die uns eine befriedigende Fortbewegung ermöglichen und dabei noch die verheerenden Auswirkungen von Preissteigerung und Reallohnverlust auf die Arbeiter:innenklasse mildern oder gar beseitigen. Das wird uns mit Sicherheit nicht geschenkt – dafür müssen wir kämpfen.

    • Seit 2022 politisch aktiv in Sachsen. Schreibt am liebsten über Antifa und Kultur im Kapitalismus. "Es gibt kein anderes Mittel, den Schwankenden zu helfen, als daß man aufhört, selbst zu schwanken."

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