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Freitag, April 26, 2024
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    Insolvenzwelle: Zahl der Unternehmensinsolvenzen steigt weiter an

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    Nach dem Ende der krisenbedingten Aussetzung der Pflicht, seine Pleite anzumelden, ist bei den relativen Unternehmensinsolvenzen ein zweistelliger Anstieg erkennbar: Bürgerliche Experten erwarten einen weiteren Anstieg, obgleich dies noch keine „Pleitewelle“ sei. International sieht es anders aus.

    Der bereits Ende 2021 begonnene Trend eines Anstiegs der durch Insolvenzverfahren betroffenen Unternehmen setzt sich auch zu Beginn von 2023 fort. Das Statistische Bundesamt meldet, dass im März 2023 die Zahl der Unternehmensinsolvenzen um 13,2% gegenüber dem Vormonat gestiegen ist, nachdem sie schon im Februar 2023 im Vergleich zu Januar 2023 um 10,8% höher war.

    Bereits der vergangene Dezember verzeichnete einen Anstieg um 19,7% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Damit ist die jetzige Prozentzahl keine Ausnahme, sondern zeigt eine Tendenz nach oben.

    Rückwirkung der Corona-Hilfen

    Aufgrund der bereits Ende 2019 begonnenen Überproduktionskrise gerieten viele Unternehmen unter Druck. Während der Corona-Pandemie mussten sie dann der Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags nicht nachkommen. Diese Maßnahme zur Entlastung der Wirtschaft, die in dieser Zeit Umsatzeinbußen wegen Anordnungen der Regierung erlitt, galt ursprünglich ab März 2020 bis zum 31. Januar 2021. Danach wurde der Zeitraum bis zum 30. April 2021 verlängert.

    Dadurch sind viele insolvente Unternehmen nicht in der Statistik aufgetaucht und die Insolvenzzahlen waren rückläufig. Zudem hat die Regierung ein neues Instrument der “Restrukturierung” eingeführt. Trotz der finanziellen Corona-Hilfen der Regierung konnten jedoch nicht alle Unternehmen vor den Folgen gerettet werden. Die Aussetzung beginnt nun, die Wirtschaft in vollem Umfang einzuholen, beginnend bereits gegen Ende 2021.

    Keine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage

    Zwar sind Ausgangssperren und ähnliches seit 2021 nunmehr Geschichte. Eine wirklich Erholung der Wirtschaft blieb jedoch aus. Einer der Gründe dafür ist der Beginn des Ukraine-Kriegs im März 2022. Dadurch erfolgte ein sprunghafter Anstieg der Rohstoff- und Energiepreise.

    Trotz des Versuchs, diese auf die Verbraucher umzulegen, bedeuteten sie das finanzielle Aus für viele Unternehmen, die schon durch die Belastung durch Corona angeschlagen waren.

    Zu Beginn des Jahres 2023 wird dieser Druck verstärkt durch eine steigende Inflation und die Erhöhung der Leitzinsen durch die EZB. Volkswirte verweisen zudem auf “Zombie-Unternehmen”, die nur aufgrund des billigen Geldes am Leben gehalten wurden und denen durch steigende Zinsen die Pleite droht. Dazu kommen Bankenturbulenzen in den USA und der Schweiz.

    Durch die Verschiebung der Frist bis zum Stellen eines Insolvenzantrags und die o.g. Faktoren werden die derzeit deutlichen Zahlen erst jetzt offensichtlich.

    Entwarnung für Pleitewelle

    Schon zu Beginn der Maßnahmen wurde gewarnt, dass nach deren Auslaufen viele Unternehmen auf einmal bankrott gehen würden bzw. die Pleite der Unternehmen erst zu diesem Zeitpunkt öffentlich werde. Die Befürchtung war, dass zu diesem Zeitpunkt viele Forderungen auf einmal nicht mehr erfüllt werden können, es zu Massenentlassungen komme und eine Art Kettenreaktion ausgelöst werde.

    Bürgerliche Experten prognostizieren Unterschiedliches. Zwar seien die Zeiten ungewöhnlich niedriger Insolvenzahlen vorbei, allerdings ließen die IWH-Frühindikatoren des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle für die kommenden Monate keinen weiteren Anstieg der Insolvenzen erwarten, so IWH-Insolvenzforscher Steffen Müller.

    Zu einem anderen Ergebnis kommt der Versicherungskonzern “Allianz”. Im laufenden Jahr soll die Zahl der Unternehmensinsolvenzen in Deutschland auf Jahressicht um 22% auf 17.800 steigen. Im kommenden Jahr sei mit einem weiteren Anstieg auf 18.900 Firmenpleiten zu rechnen.

    Zugleich warnen große Wirtschaftsforschungsinstitute vor einer Kombination aus Rezession bei hoch bleibender Inflation sowie hohem Leitzins. Dies dürfte für besagte “Zombie-Unternehmen” zur Gefahr werden, die jedoch kaum vorausgesagt werden kann.

    Bankenbeben & Inflation: Lage der Weltwirtschaft „riskant“

    Derzeit werden 6% der deutschen an der Börse gelisteten Unternehmen als  “Zombie” gelistet – also als Unternehmen, die drei Jahre in Folge nicht in der Lage waren, aus dem operativen Ergebnis heraus ihre Zinsen zu zahlen. Das hat eine Untersuchung im Februar von mehr als 2.900 an europäischen Börsen gelisteten Unternehmen durch die Unternehmensberatung FTI-Andersch ergeben (ohne Banken und Versicherungen). Die meisten Zombies gab es in Estland (17%), Griechenland und Portugal (jeweils 14%).

    Auch bei den Insolvenzen stehen andere Länder z.Zt. schlechter da als Deutschland: In den Niederlanden hat die Zahl der Firmenpleiten gegenüber dem Vorjahr um 52% zugenommen, in Frankreich um 41%, in Irland um 30%.

    Drohende Schließung von Modekette Gerry Weber und Schuhhaus Reno

    Derweil werden weitere Insolvenzen größerer Unternehmen in Deutschland bekannt. Nachdem Karstadt trotz Restrukturierungsmaßnahmen nicht vor der Pleite bewahrt werden konnte, droht nun auch dem Modehaus Gerry Weber eine ähnliche Situation.

    Vor drei Jahren konnte das Unternehmen im Insolvenzverfahren gerettet werden, jetzt sieht die finanzielle Lage noch schlimmer aus als damals. Zahlreiche Beschäftigte stehen vor einer ungewissen Zukunft. Innerhalb des Verfahrens soll durch einen vollständigen Kapitalschnitt die Börsennotierung der Aktie des Unternehmens erlöschen.

    Ende März hatten erst das Schuhhaus Reno und kurze Zeit später der ehemalige Mutterkonzern HR Group Insolvenzanträge gestellt. 6.000 Beschäftigte in 1.700 Filialen sind betroffen. Grund ist neben den oben erwähnten Faktoren auch das veränderte Kaufverhalten der Konsumierenden seit Corona: Auch nach der Pandemie bestellen viele Personen mittlerweile lieber online als in Kaufhaus aufzusuchen.

    Eine Panne nach dem Verkauf des Unternehmens Reno sorgte zwischenzeitlich für einen Lieferstopp für Neuware an Schuhen, der nicht unerheblich zur finanziellen Schieflage beitrug. Die Zahl der Schuhgeschäfte verringerte sich innerhalb des letzten Jahres um 13%.

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