Der 1. Mai als internationaler Kampftag der Arbeiter:innenklasse hat eine jahrzehntelange Tradition und macht Arbeitskämpfe auf aller Welt sichtbar. Ob für höhere Löhne oder gegen repressive Einschränkungen des Streikrechts – vereint werden die Proteste unter dem Leitmotiv der internationalen Solidarität.
In Deutschland fanden dieses Jahr erneut zahlreiche klassenkämpferische und revolutionäre Aktionen zum 1. Mai statt, zehntausende Menschen nahmen sich dafür gemeinsam die Straße. Häufig wurde dabei auch auf die ähnliche Lage zu Arbeiter:innen in anderen Ländern hingewiesen – aus dem Grund folgt hierzu nun ein kurzer Abriss. So war der 1. Mai in …
… Südkorea
Die arbeitende Bevölkerung des Landes in Ostasien hatte dieses Jahr einen besonders dringenden Grund, zu protestieren. Vor fünf Wochen hat die südkoreanische Regierung die 52-Stunden-Woche eingeführt, zuvor waren Überstunden und chronische Überarbeitung eher Regel als Ausnahme in dem Land. Nun plant die 2022 gewählte Regierung um den rechtskonservativen Präsident Yoon Suk-yeol die Einführung der 69-Stunden-Woche. Schon jetzt arbeiten Südkoreaner:innen ca. 2.000 Stunden pro Jahr, was knapp 600 Stunden mehr als die durchschnittliche Arbeitszeit der Menschen in Deutschland ist. Im Zuge dessen gingen Arbeiter:innen landesweit auf die Straße und kämpften für höhere Löhne und menschlichere Arbeitsbedingungen. Die Proteste waren damit die größten im Land seit Beginn der Corona-Pandemie.
… Bangladesh
In Dhaka, der Hauptstadt Bangladeshs, gab es zum 1. Mai Demonstrationszüge und Diskussionsrunden, die vor allem von den Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen organisiert und veranstaltet wurden. Auch Parteien wie die Kommunistische Partei Bangladeschs nutzten die Gelegenheit, um für bessere Arbeitsbedingungen auf die Straße zu gehen. Im Fokus der Proteste stand vor allem eine Erhöhung des Mindestlohns, der derzeit nicht einmal 70 Euro beträgt. Für die kommenden Wochen sind darüber hinaus mehrere Aktionen geplant, die sich gegen das vom Parlament verabschiedete „essential services bill“ richten. Dieses Gesetzt sieht vor allem eine harsche Einschränkung des Streikrechts in Bangladesh vor.
… Kanada
In Kanada kam es derweil zu einem der größten Streiks der vergangenen Jahre. Mehr als 100.000 Mitarbeitende im öffentlichen Dienst gingen für bessere Löhne und ein Recht auf zeit- und ortsunabhängige Heimarbeit auf die Straßen, was ein großer Teil der Bevölkerung auch für unterstützenswert hält, wie eine Studie des Angus Reid Institutes zeigt. Zum 1. Mai hat die kanadische Regierung den Forderungen nun teilweise zugestimmt, wodurch nach einer zweiwöchigen Arbeitsniederlegung 120.000 Arbeiter:innen ihre Tätigkeit erneut aufnehmen. Nichtsdestotrotz kämpfen weiterhin zehntausende Demonstrierende für ihre Forderungen.
Frankreich: Macron unterschreibt Rentenreform, Gewerkschaften protestieren weiter
… Frankreich
In Frankreich verhält es sich ähnlich, nur dass hier weiterhin kein Ende der Großproteste in Sicht ist. So nahmen auf den diesjährigen Umzügen zum 1. Mai teils zehnmal so viele Menschen wie in den Vorjahren teil. Auf der Tagesordnung stand weiterhin der Kampf gegen die Einführung der neuen Rentenreform, die Macron vergangenen Monat ohne eine Abstimmung im Parlament unterzeichnete. Gewerkschaften kündigten daraufhin eine „explosion sociale“ an – eine soziale Explosion sozusagen, von der mehr als 300 angemeldete Demonstrationen landesweit mit Millionen Teilnehmer:innen zeugen. Die Polizei reagierte vielerorts mit heftiger Gewalt. In Nantes traf die Polizei eine junge Frau mit ihren Geschossen ins Auge.
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… Griechenland
In Griechenland fanden in größeren Städten wie Athen, Piräus und Thessaloniki Aktionen statt. Eine Besonderheit speziell am 1. Mai war hierbei, dass Arbeiter:innen des öffentlichen Verkehrs 24 Stunden lang streikten und das Land somit für einen Tag lahmlegten. In den Reden sprach beispielsweise der Gewerkschaftsverband PAME von verschlechterten Arbeitsbedingungen der Arbeiter:innen und rief zu branchenübergreifenden Kämpfen auf. In Athen waren darüber hinaus auch französische Demonstrierende vor Ort und wurden solidarisch empfangen.
… Chile
In Chile gab es vor allem Aktionen in der Hauptstadt Santiago de Chile. Die Arbeiter:innen erkämpften hier vor kurzem die 40-Stunden-Woche. Chile gehört damit gemeinsam mit Ecuador und Venezuela zu den Ländern mit der kürzesten Arbeitswoche in Lateinamerika. Nichtsdestotrotz wurden Forderungen wie ein höherer Mindestlohn und größere Abgaben der wohlhabendsten Menschen und Konzerne gestellt.
… Ecuador
In Quito, der Hauptstadt Ecuadors, versammelten sich mehrere hundert Menschen am 1. Mai. Gewerkschaften, Bürger:innenbewegungen und Kollektive indigener Menschen hatten dazu aufgerufen und kritisierten vor allem das Krisenmanagement der ecuadorianischen Regierung. Doch nicht nur Arbeiter:innen protestierten an dem Tag, auch Rentner:innen nahmen den Tag zum Anlass, um ihre seit letztem Jahr nicht ausgezahlten Renten einzufordern. Der Rücktritt des amtierenden Präsidenten Guillermo Lasso stand für die Protestierenden ebenfalls auf der Liste der Forderungen. Bereits im Juni vergangenen Jahres hatten indigene Gruppen zu einem Generalstreik aufgerufen. Im Zuge der Auseinandersetzungen wurden hunderte Personen verletzt und fünf Menschen getötet.
… Malaysia
In der malaysischen Hauptstadt Kuala Lumpur nahmen mehrere hundert Menschen an einer Kundgebung unter dem Motto „würdevolles Gehalt, Garantie für Lebensmittel“ teil. Veranstalter:innen waren hierbei mehrere Gruppen, darunter Menschenrechtsorganisationen, sozialistische Parteien und Gewerkschaften. Dabei wurde besonders darauf hingewiesen, dass Malaysias Bruttoinlandsprodukt in den vergangenen 50 Jahren um das etwa 30-fache gestiegen ist, während sich die Löhne noch heute auf einem weitestgehend ähnlich niedrigem Niveau wie vormals befänden.
… Singapur
Im Nachbarstaat Singapur gab es lediglich eine Kundgebung an der sogenannten Speakers Corner im Hong Lim Park. Dieser gilt auch als einziger Ort, an dem Proteste im Land gesetzlich erlaubt sind. Die Vereinten Nationen zählen Singapur zu den Ländern mit sehr hoher Entwicklung, jedoch werden immer wieder Rechtsprechung und Gesetzgebung des Landes kritisiert. So wurde erst vergangene Woche ein 46-jähriger Mann wegen „Verschwörung zum Cannabisschmuggel“ hingerichtet.
… Südafrika
In Südafrika hatte die „National Union of Metalworkers“ zu Demonstrationen aufgerufen. Das Land hat eine besonders lange Tradition, wenn es darum geht, am 1. Mai für die Rechte von Arbeiter:innen auf die Straße zu gehen. So forderten Demonstrierende hier bereits Ende des 19. Jahrhunderts den Acht-Stunden-Tag und noch heute steht die Solidarisierung mit den internationalen Klassengeschwistern im Vordergrund. Dieses Jahr hat die größte Einzelgewerkschaft Südafrikas die Regierung vor allem dafür verurteilt, dass kapitalistische Eliten massivst unterstützt werden, während die Wirtschaft die Spuren der Apartheid und des Kolonialismus weiterhin in sich trägt.
… Tunesien
Der Gewerkschaftsdachverband UGTT mit Sitz in der tunesischen Hauptstadt Tunis veröffentlichte ein Statement, das Angriffe auf die Arbeiter:innenklasse beklagt und darüber hinaus der am „Haymarket Riot“ in Chicago gestorbenen Protestierenden gedenkt. Begleitendes Thema der Demonstrationen war dabei auch die massive Verschuldung des Landes und seiner Konzerne, die nun durch den Internationalen Währungsfonds gerettet werden sollen. Gewerkschaften betonen dabei jedoch, dass diese Rettungsaktionen zulasten der tunesischen Bevölkerung gehen würden, die ohnehin mit einer Arbeitslosenquote von 15% und einer derzeit besonders hohen Inflation zu kämpfen hat.
… Türkei/Kurdistan
In der Türkei und Kurdistan haben sich zum internationalen Kampftag der Arbeiter:innenklasse mehrere zehntausend Menschen versammelt, die größte Aktion fand dabei in Istanbul statt. Der Taksim-Platz, auf dem am 1. Mai 1977 bei einer Gewerkschaftsversammlung 34 Menschen erschossen wurden, wurde auf Anweisung der Regierung dabei erneut verboten. Wie auch letztes Jahr wurden im Laufe des Tages rund 160 Demonstrierende und Revolutionär:innen festgenommen. Darüber hinaus kam es auch dieses Jahr von Seiten der Polizei zu gewaltsamen Übergriffen auf Journalist:innen, wie Videos aus Istanbul zeigen. Unmittelbar vor den Aktionen war es zu einer erneuten Verhaftungswelle gegenüber der sozialistischen Partei ESP gekommen. Am 2. Mai erfolgten weitere Festnahmen.
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