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Donnerstag, April 25, 2024
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    Gerichts-Urteil nach Hausdurchsuchungen gegen Journalist:innen: Radio Dreyeckland durfte auf verbotene Website verlinken

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    Erst wird eine unabhängige Website als „linksextreme Vereinigung“ eingestuft und damit verboten, dann wird ein journalistisches Medium dafür belangt, darüber berichtet zu haben. Am Fall „Radio Dreyeckland“ wird deutlich, dass in diesen Zeiten niemand mehr sicher ist, der oder die sich staatskritisch äußert. Was der Vorgang mit staatlicher Repression und laufender Kriegsvorbereitung zu tun hat – eine Einordnung von Ahmad Al-Balah.

    Am Mittwoch wies das Landgericht in Karlsruhe die Anklage der Staatsanwaltschaft gegen den Redakteur des unabhängigen Senders Radio Dreyeckland (RDL) wegen „Unterstützung einer verbotenen Vereinigung“ schließlich ab.

    Radio Dreyeckland, das im Jahr 1977 als Piratensender bei den Protesten gegen Atomkraft im Dreiländereck Frankreich-Schweiz-Deutschland begann, sendet seit 1988 mit offizieller Sendelizenz aus Freiburg – auch über Dinge, die der herrschenden Klasse nicht unbedingt gefallen dürften.

    Im Juli 2022 war der RDL-Redakteur Fabian Kienert dann genau dafür angeklagt worden. Er hatte über das Verbot der vor sechs Jahren vom Staat als „linksextremistisch“ eingestuften Website linksunten.indymedia.org berichtet. Als Hintergrundinformation für die Leserinnen und Leser verlinkte der Radiosender die Archivseite der Plattform.

    Die verbotene und daher nur noch als Archivseite existierende Plattform war bis zum Verbot im Jahr 2017 ein wichtiges Informationsportal für Teile der linken Szene. So wurden z.B. solche Demonstrationsaufrufe und Berichte über Aktionen dort veröffentlicht, die sonst nicht die Möglichkeit hatten, an die Öffentlichkeit zu gelangen.

    Das Innenministerium stufte die Seite damals nicht als Medium, sondern als “Verein” ein, um sie daraufhin mithilfe des Vereinsgesetzes verbieten zu können. Vergangenes Jahr mussten die Ermittlungsverfahren gegen Linksunten Indymedia eingestellt werden: der Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung konnte also letztlich nicht bestätigt werden.

    Im Zuge der Berichterstattung durch RDL stürmte die Polizei nichtsdestotrotz im Januar diesen Jahres die Redaktionsräume des Senders sowie die privaten Wohnungen zweier Redakteure. Dabei beschlagnahmte der Staatsdienst auch Computer mit umfangreicher redaktioneller Kommunikation und versuchte sogar, an die IP-Adressen der Menschen heranzukommen, welche die Website des Senders besucht hatten.

    Angriff auf die Pressefreiheit: Hausdurchsuchungen bei Radio Dreyeckland

    In der Tat „wegweisend“

    Die “Gesellschaft für Freiheitsrechte” (GFF) nennt das Urteil des Gerichts, demzufolge die Verlinkung auf linksunten Teil journalistischer Aufgaben und daher keine strafbare Unterstützung einer verbotenen Vereinigung sei, einen „wegweisenden Beschluss“. Das Urteil habe klargestellt, dass sich Journalistinnen und Journalisten nicht strafbar machen, wenn sie im Rahmen der Berichterstattung auf rechtlich umstrittene Webseiten verlinken.

    Und natürlich ist das erst einmal ein Sieg für die Pressefreiheit. Redakteur Fabian Kienert kritisiert aber zugleich, dass der Schaden damit nicht aus der Welt sei. Die Hausdurchsuchung habe seine Freiheiten als Berichterstatter angegriffen. Und er meint: „sicher sind Journalist:innen verunsichert worden, wie sie über verbotene Organisationen berichten dürfen.”

    Auch, dass die Polizei nun die Kopien der ursprünglich beschlagnahmten Datenträger löschen muss, kann nicht über den handfesten Repressionsversuch und das Motiv der Einschüchterung hinwegtäuschen. Wer sagt uns, dass wir als unabhängige Journalist:innen und Redakteur:innen bei Perspektive Online nicht die nächsten sind. Selbes gilt für andere linke Zeitungs- und Medienprojekte. In diesem Sinne ist der Fall „Radio Dreyeckland“ eher als Beispiel eines Angriffs auf die Pressefreiheit zu verstehen. Das positive Gerichtsurteil darf uns darüber nicht hinwegtäuschen.

    Auch wir müssen jetzt damit rechnen, jederzeit untersucht werden zu können – aus welchen fadenscheinigen Gründen auch immer. Wir sind uns ziemlich sicher: wenn der Staat einen Weg, eine Ausrede sucht, wird er schon fündig werden und zieht die vorgebliche “Fahndung” dann gern auch mittels Staatsgewalt durch. Da hilft es wenig, zu wissen, dass die Staatsbehörden im Zweifel irgendwelche Kopien dann im Nachhinein eventuell löschen müssen.

    Was die GFF als „wegweisend“ bezeichnet, ist meiner Einschätzung nach nur das ausnahmsweise günstige Urteil in einem Fall, der nur Teil einer sehr viel größeren Zunahme staatlicher Repressionen gegen unliebsame Meinungen ist.

    Wozu „linksunten“ und „Radio Dreyeckland“ verbieten?

    In den letzten Jahren verzeichnen wir eine Zunahme staatlicher Repressionen in Deutschland. In Berlin kam es im Mai 2022 zum Verbot kommunistischer Symbole, 2022 und 2023 zum Verbot palästinensischer Demonstrationen; wir sehen eine wachsende Anwendung des Artikel 129 und neue Polizeigesetze in Hessen, NRW und Berlin.

    Angesichts dieser sich häufenden Fälle von Repressionen und Einschüchterungsversuchen gegenüber revolutionären oder auch nur anders denkenden Meinungen, deutet sich ein systematischer Ansatz an. Es sieht zunehmend so aus, als ob der Staat im Innern die Schrauben fester zieht, damit es eine möglichst geringe Opposition gegen kommende Pläne gibt. Und dass solche Vorhaben in Arbeit sind, wird an dem Bundeswehr-Sondervermögen, dem Versuch der Wiedereinführung der Wehrpflicht und weiteren Angriffen auf die Arbeiter:innenklasse in Deutschland deutlich.

    Der Staat möchte offensichtlich verbieten, dass Medien darüber berichten und größere Teil der arbeitenden Bevölkerung mitbekommen, was sich hier anbahnt. Denn gerade wir Arbeiter:innen sollen ja weiterhin für die Interessen der Unternehmenschefs und Politiker:innen vor den Karren gespannt werden.

    Dabei geht es nicht nur ums Radio Dreyeckland. Es geht für uns, die unabhängigen Medien und die gesamte Arbeiter:innenklasse vielmehr darum, die Zeichen der Zeit zu erkennen.

    • Ahmad Al-Balah ist Perspektive-Autor seit 2022. Er lebt und schreibt von Berlin aus. Dort arbeitet Ahmad bei einer NGO, hier schreibt er zu Antifaschismus, den Hintergründen von Imperialismus und dem Klassenkampf in Deutschland. Ahmad gilt in Berlin als Fußballtalent - über die Kreisliga ging’s jedoch nie hinaus.

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