Am Dienstag legten in Island mehr als 100.000 Frauen und nicht-binäre Personen die Arbeit nieder. Damit streikte rund ein Viertel der gesamten isländischen Bevölkerung – von der Ministerpräsidentin bis zur Hausfrau. Doch mit der Chefin gemeinsam auf der Straße protestieren, ist das nicht ein Widerspruch? – Ein Kommentar von Tabea Karlo.
Die Berichte über den isländischen Streik gingen in den letzten Tagen um die Welt. Gemeinsam mit nicht-binären Personen streikten am Dienstag rund 100.000 Frauen. Der sogenannte „Frauenstreik“ hat in Island bereits Tradition, er fand das erste Mal 1975 statt. Der diesjährige war jedoch der größte seit dem Beginn der Streiks. Die streikenden Frauen machen über die Hälfte der weiblichen Bevölkerung aus.
Außerdem wurde in dem isländischen Streik – so wie bei den meisten Frauenstreiks – nicht nur im Betrieb, sondern auch zuhause die Arbeit niedergelegt. Eine weitere Besonderheit ist, dass Frauen aller Klassen streiken, unter anderem auch die isländische Ministerpräsidentin, Premierministerin Katrín Jakobsdóttir.
Das macht die politische Einschätzung des Streiks durchaus komplex:
Auf der einen Seite war der isländische Streik ein unangemeldeter, also ein wilder Streik, bei dem die Frauen die Grenzen des Legalen zu sprengen schienen, um sich gegen patriarchale Unterdrückung und Ausbeutung zur Wehr zu setzen. Bei dem Streik wurden zudem die verschiedenen Themen von patriarchaler Gewalt über den „Gender-Pay-Gap“ bis zur Hausarbeit, die vorwiegend von den Frauen geleistet wird, miteinander verbunden.
Auf der anderen Seite bereitet es doch starke Bauchschmerzen, wenn der Protest Hand in Hand mit denjenigen geschieht, die jeden Tag von unserer Ausbeutung im Betrieb profitieren: Protest mit genau denjenigen Konzernchefinnen, denen der 21%ige Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen noch mehr Profite in die Kasse spült? Mit genau der Premierministerin, die sich als Staatschefin selbst die Hände schmutzig macht?
„Von Revolution redet bei uns eigentlich niemand“
Für eine der Hauptorganisatorinnen, Drífa Snædal, ist das kein Widerspruch. Die ehemalige Vorsitzende des isländischen Gewerkschaftsbundes ASÍ findet diese Vielfalt positiv. Man sei ja auch beim ersten Streik eine gemischte Gruppe aus radikal feministischen Gruppen und eher bürgerlichen Vereinen gewesen. Man müsse die gemeinsamen Interessen betonen, und ja, von Revolution rede bei „uns“ eigentlich niemand.
Als ehemaliger Chefin einer sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaft entspricht diese Haltung allerdings genau ihrer Rolle in der Gesellschaft: der Rolle einer vermeintlichen Versöhnerin. Das sehen wir auch immer wieder in Deutschland, wenn die DGB-Gewerkschaften davon sprechen, dass im Kern alle „im selben Boot“ säßen.
Dies entspricht jedoch nicht den Tatsachen. Und auch wenn es in Island heute nur wenige Revolutionär:innen geben mag, so hängt die Entstehung des isländischen Frauenstreiks sehr wohl mit der revolutionären Bewegung – nicht nur mit radikal feministischen Organisationen – zusammen. Aus eben dieser Geschichte können wir auch lernen, und wir können sie nutzen, um für uns die brennende Frage zu klären: Was ist der Frauenstreik denn nun: „Fortschritt“ oder „Klassenversöhnung“?
Die kämpferische Geschichte des Frauenstreiks
Der Frauenstreik ist auch in Island nichts Alltägliches, dennoch hat er im Land eine gewisse Historie. So traten die Frauen das erste Mal am 24. Oktober 1975 versammelt in den Streik. Damals traten rund 90 % der isländischen Frauen in den Ausstand.
Die isländische Frauenbewegung hatte sich zwar bereits 1915 das Wahlrecht erkämpft, sie prangerte in dem Streik jedoch an, dass sich seitdem wenig an der Lage der Frau verändert habe. Bereits im Jahr 1970 forderten deshalb die „Roten Socken“ – der isländische Ableger einer revolutionär-feministischen Gruppe, die in New York gegründet wurde – einen Streik der Frauen. Von bürgerlichen Frauenorganisationen wurde er zunächst abgelehnt, für sie klang das Wort „Streik“ zu sehr nach „Kommunismus“ und „Klassenkampf“.
Fünf Jahre später riefen die UN das „Jahr der Frau“ aus. Auf einem Kongress, zu dem drei bürgerliche Frauenorganisationen aufgerufen hatten, stießen die „Roten Socken“ erneut die Idee eines Streiks an. Die bürgerlichen Frauenorganisationen lehnten zunächst weiterhin ab. Doch die „Roten Socken“ ließen sich nicht beirren und veranstalteten eine Konferenz gemeinsam mit der Gewerkschaft. Dort stieß die Idee des Streiks vor allem bei den prekär beschäftigten Frauen auf Zustimmung. Es wurde beschlossen, dass die arbeitenden Frauen für einen Tag die Arbeit niederlegen sollten. Darüber hinaus sollte darauf aufmerksam gemacht werden, was die Frauen an Lohn- und Reproduktionsarbeit leisten.
Der erste „Frauenruhetag“
Zu dem Zeitpunkt, als sich das für das „Jahr der Frau“ verantwortliche Komitee der Frauenorganisationen traf, um eine Veranstaltung für den Herbst vorzubereiten, hatte der Streik sich bereits herumgesprochen. Auf diesem Treffen stimmten schließlich auch die bürgerlichen Frauenorganisationen zu. Jedoch nur, weil Gerður Steinþórsdóttir, eine 31-jährige Lehrerin und zweifache Mutter, die den Rotstrümpfen nahestand, einen Kompromiss vorschlug: der Kampftag sollte nicht mehr als Streik, sondern als „Kvennafrídagurinn“ – als „Frauenruhetag“ – bezeichnet werden.
So einigten sich die Organisationen also auf den „Frauenruhetag“, der seinem Wesen nach natürlich ein Streik blieb. Am 24. Oktober 1975 traten fast alle werktätigen Frauen in den Ausstand – ausgenommen Krankenschwestern und Ärztinnen. 90 % der werktätigen Frauen streikten, auch die Hausfrauen.
Die Frauen versammelten sich in der Hauptstadt Reykjavík, dort kochten und aßen sie gemeinsam in Frauenhäusern. Am Nachmittag demonstrierten sie – durchaus gemeinsam mit anderen Geschlechtern. Mit 20.000 bis 25.000 Menschen war es die bis heute größte Demonstration des Landes.
Revolutionäre Initiative
Die zuvor durch die Chefs angekündigten Kündigungen blieben angesichts der schieren Menge der beteiligten Frauen aus. Ein Jahr später, 1976, verabschiedete Island das erste Gesetz, das gleiche Rechte unabhängig vom Geschlecht garantieren soll. Seitdem kam es immer wieder zu sogenannten „Frauenstreiks“ im Land, zuletzt 2018.
In der Geschichte sehen wir also, dass es nicht vor allem ein großes Bündnis von Frauenorganisationen war, das von Beginn an harmonisch für den Streik eintrat. Es handelte sich vor allem um eine Initiative der Revolutionärinnen und der arbeitenden Frauen. Sie wurde von den bürgerlichen Vertreterinnen zunächst nicht nur nicht befürwortet, sondern aktiv abgelehnt und zurückgehalten.
Darüber hinaus ließen sich die anderen Frauenorganisationen wie schon beschrieben nur deshalb auf einen „Streik“ ein, weil man ihn nicht beim Namen nannte. Zunächst mag vielen die Wahl des Wortes unwichtig vorkommen, wenn doch die Aktion im Wesentlichen dieselbe bleibt. Hier muss man jedoch aufpassen: In diesem Fall wurde das Wort „Streik“ ja gerade deshalb angegriffen, um das Wesen der Aktionen mit seinen Forderungen zu verändern, es weniger konfrontativ und somit „unpolitischer“ zu gestalten.
Die Erfolge und Grenzen des isländischen Frauenstreiks
Der erste isländische Frauenstreik war eine Errungenschaft der Frauenbewegung, er zeigte den Frauen im Land ihre gemeinsame Kraft, er erstritt eine kurze Zeit später das folgende Gesetz zur Gleichberechtigung. Trotzdem führten schon damals die Kompromisse mit den bürgerlichen und konservativen Frauenbewegungen zu starken Problemen. So war der Streik weit weniger kämpferisch, als es sich z.B. Teile der „Roten Socken“ erhofft hatten, und glich Erzählungen nach in Teilen mehr einer „Party“.
Auch kamen die Errungenschaften des Streiks – z. B. die Stärkung der Frauen im Parlament oder die Einführung des Gleichberechtigungsgesetzes – in vielen Teilen den besser verdienenden Frauen mehr zugute als den proletarischen, obwohl diese die eigentliche Triebkraft für den Streik bildeten.
Heute befindet sich Island in der zwiegespaltenen Position: Auf der einen Seite gilt es als eines der Länder mit der höchsten Gleichberechtigung und wurde das 14. Jahr in Folge vom „Weltwirtschaftsforum“ als Land mit dem niedrigsten Geschlechtergefälle bewertet.
Auf der anderen Seite beträgt das Lohngefälle zwischen den Geschlechtern in bestimmten Berufen immer noch 21%, es sind immer noch größtenteils die Frauen, die den Haushalt organisieren, und es erlebt laut offiziellen Statistiken jede vierte isländische Frau sexualisierte Gewalt in ihrem Leben. Viele der Probleme der arbeitenden Frauen blieben also bestehen. Auch entwickelte sich nach dem Streik keine kämpferische Bewegung, die tatsächlich weiter dafür kämpfte, die Forderungen der proletarischen Frauen umzusetzen.
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Was können wir als arbeitende Frauen daraus lernen?
Anhand der isländischen Erfahrung können wir sehen, dass man der eingangs provokativ gestellten Frage, ob der Frauenstreik nun „Fortschritt“ oder „Klassenversöhnung“ bedeute, nicht mit einer einfachen Antwort begegnen kann.
Warum erfasste der „Frauenstreik“ sowohl historisch als auch in diesem Jahr die Frauen verschiedenster Klassen? Weil das Patriarchat in all diesen Klassen auf unterschiedliche Arten als Unterdrückungsmechanismus wirkt. Weibliche Kapitalist:innen werden zwar nicht ausgebeutet auf der Lohnarbeit, aber auch sie erfahren geschlechterspezifische Gewalt und bestimmte Formen der Diskriminierung. Auch sie übernehmen zum Teil noch unbezahlte Reproduktionsarbeit im Haushalt. Auch wenn sie sich teilweise davon freikaufen können, so gibt es doch immer noch das tradierte Rollenbild zu erfüllen.
Daraus können wir nun jedoch nicht den Schluss ziehen, dass wir jetzt alle Frauen einfach in einer Bewegung zusammen fassen sollten, innerhalb derer wir erneut unsere Forderungen als Arbeiterinnen hinten anstellen.
Denn ja, das Patriarchat wirkt auch in den oberen Klassen. Aber gleichzeitig profitieren diese eben davon, dass wir als Arbeiterinnen schlechter bezahlt werden. Jede Kapitalistin, die Frauen anstellt, profitiert also gleichermaßen von der ungleichen Bezahlung. Und jede Kapitalistin – unabhängig davon, ob sie überhaupt Frauen beschäftigt – profitiert davon, dass Frauen unbezahlte Hausarbeit machen und dadurch der Lohn gedrückt wird. Schließlich müsste man sonst im Kapitalismus die Arbeiter:innen zusätzlich entlohnen, damit sie sich das Putzen, Kochen etc. „extern“ leisten können, was den Lohn massiv in die Höhe treiben würde.
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Das Interesse, die eigenen Profite und die eigene Klassenposition zu erhalten, steht am Ende des Tages über ihrem Interesse an der Frauenbefreiung und somit auch über dem Interesse, für die Rechte anderer Frauen konsequent zu kämpfen.
Das bedeutet nicht, dass sie sich nicht sicherlich „ehrlich“ für einen bestimmten Teil der Forderungen einsetzten, wie zum Beispiel für das Ende geschlechtsspezifischer Gewalt. Das ändert aber nichts daran, dass letzten Endes Streiks wie diese für alle Kapitalist:innen den Nutzen haben, Frauen als eine geschlossene Einheit darzustellen, als ob es keine Klassenunterschiede gäbe – wie z.B. in Form eines Streiks, bei dem wir gemeinsam mit unseren Ausbeuterinnen gegen „Ausbeutung“ demonstrieren.
Die klassenkämpferische Seite stärken
Der Frauenstreik ist dennoch nicht nur ein Verlust. Denn natürlich macht auch in Island die Arbeiter:innenklasse einen Großteil der Einwohner:innen aus, und natürlich kann ein unangemeldeter Streik bei ihnen Bewusstsein schaffen. Er zeigt die Schlagkraft der isländischen Frauen, wie sie es schaffen, das Land einen ganzen Tag lahmzulegen. Er ist auch ein Indikator dafür, dass viele der Frauen immer noch unzufrieden sind mit ihrer Lage. Und er sendet schlussendlich ein Signal an alle Frauen der Welt, dass wir uns das nicht gefallen lassen müssen.
Zeitgleich ist es natürlich eine Farce, wenn eine Premierministerin mit demonstriert. Und es muss unsere Aufgabe als fortschrittliche Frauen sein, eben diese Kritik in die Bewegung zu tragen. Wenn in Island die Premierministerin Katrín Jakobsdóttir mit marschiert, dann ist es nicht unsere Aufgabe, den Kopf zu schütteln und das vom Sofa aus zu verurteilen. Sondern wir müssen möglichst viele Frauen davon überzeugen, dass sie als erste Frau im Staate mitverantwortlich für unsere Situation ist.
Übertragen auf Deutschland ist also beispielsweise eine Kritik an Annalena Baerbock notwendig, wenn sie mal wieder versucht, mithilfe des Begriffs der „feministischen Außenpolitik“ Kriegshetze zu betreiben.
Eine klassenkämpferische Perspektive in diese Kämpfe zu tragen mag nicht einfach sein, aber es ist unverzichtbar, wenn wir es schaffen wollen, als proletarische Frauen wieder mehr Schlagkraft zu entwickeln. Wenn wir uns nicht vereinnahmen lassen wollen von reichen Feministinnen, denen es am Ende des Tages nicht um uns, sondern letztlich um sich selbst und ihre Profite geht.