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Sonntag, April 28, 2024
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    Generalinspekteur der Bundeswehr: Deutschland ist „kriegstüchtig“

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    Im Interview-Format der Bundeswehr mahnt der Generalinspekteur Breuer die Bedeutung des gesellschaftlichen Rückhalts für die Kriegstüchtigkeit Deutschlands an. Dabei ist der General darauf bedacht, die Aufrüstung als guten Akt der Verteidigung darzustellen statt als böse Militarisierung. Zudem skizziert er die neue Struktur einer Bundeswehr, die ohne breite Wehrpflicht funktioniert: der Staat spannt die Arbeiter:innenklasse für niedere Armeeaufgaben ein. – Ein Kommentar von Ahmad Al-Balah.

    Der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Carsten Breuer, ist der ranghöchste Soldat, der Vorgesetzte aller Soldaten:innen der Bundeswehr und höchster militärischer Repräsentant Deutschlands. Im Bundeswehr-Interview nachgefragt vom 15.12.2023 nutzt er die Gelegenheit, um die Prioritäten der Militarisierung Deutschlands zu propagieren: den gesellschaftlichen Rückhalt und die bestmögliche Verwendung der deutschen Arbeiter:innenklasse für militärische Zwecke.

    Beides müsse „schnellstmöglich“ passieren, denn die Einschläge kämen näher, so Breuer mit Blick auf die Kriege um Russland-Ukraine und Israel-Palästina. Soll heißen: sie häufen sich, nehmen zu. Man müsse auf „viele Schauplätze“ zugleich gucken, um das entsprechende Gesamtbild zu bekommen. Was General Breuer da andeutet, aber nicht offen sagt: Das Vorspiel zu einem nächsten größeren Krieg um die Aufteilung der Welt, einem Weltkrieg, hat begonnen.

    Die Zeitenwende im Militär

    Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine habe „Putin ein Zeichen in Richtung Europa gesetzt“ und eine Rhetorik gewählt habe, die sich gegen das „übrige Europa richte“. Darauf reagiere man als Bundeswehr lediglich angemessen.

    Das stimmt nur bedingt, denn dieses „Zeichen“ war klar auf die Ukraine begrenzt und sollte den amerikanischen und europäischen Imperialist:innen signalisieren, dass der russische Imperialismus noch nicht geschlagen sei . Dass ein Angriff auf Deutschland oder die EU in der derzeitigen Situation der russischen Wirtschaft wie auch des russischen Militärs für die dortigen Herrschenden unsinnig wäre, ist allseits bekannt.

    Darum ist der Ukraine-Krieg ein imperialistischer Stellvertreterkrieg

    Den Einmarsch in die Ukraine kann man als eine imperialistische Notwendigkeit verstehen, schaut man sich ihre geostrategische Lage am Schwarzen Meer sowie ihre mögliche geopolitische Übernahme in den Machtbereich anderer imperialistischer Länder wie Deutschland oder USA, speziell durch eine Integration in die NATO bzw. die EU.

    Daraus jedoch eine direkte Bedrohung für Deutschland oder die EU abzuleiten, ist ein gezieltes Täuschungsmanöver der herrschenden Klasse hier in Deutschland, um eine Wiederaufrüstung Deutschlands zu begründen. Tatsächlich ist diese nicht deshalb notwendig, um die Menschenleben hierzulande oder anderswo zu verteidigen, sondern um die Interessen des deutschen Imperialismus weltweit durchzusetzen – beispielsweise in der Ukraine.

    Deshalb sei es richtig, sich „wieder“ auf die sogenannte „Landes- und Bündnisverteidigung“ zu fokussieren, so Breuer. Auf der Grundlage einer Verdrehung der Tatsachen wird hier also eine Gefahr für Deutschland von außen konstruiert, gegen die wir uns in Form von Aufrüstung verteidigen müssten.

    Diese Legitimationsstrategie ist das Einmaleins aller Herrscher, die die eigene Bevölkerung in einen ungerechten Krieg führen möchten. Sie scheint logisch, basiert aber auf einer ursprünglichen Lüge und schürt Angst, um die Menschen zu unterdrücken und gefügig zu machen. Wie die USA, die EU oder die NATO insgesamt sei die Bundeswehr eine Friedensmacht. Das baut auf Sand – oder vielmehr auf Schießpulver.

    Parole: Die Deutschen mental „kriegstüchtig“ machen

    Wann man kriegstüchtig ist, sei schwer zu beantworten, denn General Breuer weiß, militärisch wird einer Armee „von außen vorgegeben, wann man kriegstüchtig sein muss“. Dieser Moment war im Februar 2022 eingetreten, der Wettlauf um die Vorbereitung auf den nächsten großen Weltkrieg hat begonnen. Die imperialistische Antwort Deutschlands darauf lautet, jetzt „so schnell wie möglich“ nachzurüsten: einerseits innerhalb der Bundeswehr, andererseits inmitten der Gesellschaft.

    Genauer erstrecke sich die Kriegsvorbereitung auf drei Bereiche: Einsatzbereitschaft von Material, Personal und Mentalität, so Breuer. An „allen drei Fronten“ müsse man kämpfen, in alle drei Fronten hinein investieren. Daher findet der Generalinspekteur die Frage, was „die Gesellschaft für die Bundeswehr“ tun könne, genau richtig. Man habe sich „über Jahre hinweg in Deutschland (…) zurückgelehnt“. Nun sei die Zeit gekommen, wieder selbst aktiv zu werden. Man müsse die Mentalität der Leute ändern.

    Ganz konkret bedeutet das: wenn in nächster Zeit wieder Militärkolonnen auf der Autobahn zu sehen sein werden, Fluglärm zu hören ist und militärische Bauvorhaben starten, solle man „darüber nachdenken, was das mit uns macht.“ Denn all das mache eine Gesellschaft erst „wehrhaft und kriegstüchtig“ – wir sollten dafür dankbar sein, so der Gedanke.

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    Die Militarisierung, das sind die anderen

    Dass man der Bundeswehr dafür eine Militarisierung nach innen vorwerfe, sei absurd. In Kriegstüchtigkeit stecke keinerlei Militarisierung, so Breuer. Diese werde den Menschen einerseits „eingeredet“, andererseits komme sie „von außen“. Dass sich diese zwei Aussagen gegenseitig logisch ausschließen, spielt für Breuer keine Rolle. Hauptsache, die Menschen in Deutschland erkennen in der Aufrüstung und der ideologischen Einflussnahme der Kriegsminister und Bundeswehr-Generäle auf die Stimmung in der Bevölkerung – kurz gesagt in  der Vorbereitung zur Mobilmachung – keine Militarisierung.

    Dass die Menschen in Deutschland, speziell die Arbeiter:innenklasse, genau dies durchschaut, beweist schon die Tatsache, dass sich die Bundeswehr in diesem Propaganda-Format ihrer Kritik stellt – ohne jedoch eine gute Antwort darauf zu haben, so groß scheint die Kritik schon zu sein. Dabei ist für alle offensichtlich: Kriegstüchtigkeit wird natürlich durch Militarisierung erzeugt, wie denn sonst?

    Gerade das Scheinargument, die Militarisierung komme “von außen”, steigert Breuer in die Absurdität: Die Militarisierung Deutschlands sei keine, vielmehr habe der Angriff Russlands auf die Ukraine eine Art allgemeine Militarisierung bewirkt, die eben auch Deutschland quasi von außen mitmilitarisiere. Eine Schuldzurückweisung par excellence: eine alternativlose, automatische Entwicklung, eine Militarisierung der ganzen Welt durch „Putin“ und die „Hamas“ – scheinbar ganz ohne deutsche Eigeninteressen.

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    Umstrukturierung statt Wehrpflicht

    Bei der Kritik am Aussetzen der Wehrpflicht hält Breuer dagegen, relativiert: Man habe es „über die Jahre hinweg ganz gut geschafft, Personal für die Bundeswehr zu rekrutieren, Menschen zu werben, die Deutschland dann auch verteidigt haben“. Allein auf die Wehrpflicht zu schauen, reiche ohnehin nicht aus. In der BRD herrscht seit dem zweiten Weltkrieg wenig gesellschaftliche Bereitschaft für die Wehrpflicht. Das wissen auch Staat und Bundeswehr. Daher der Kurswechsel.

    Der Generalinspekteur gibt zu, man brauche generell zwar schon mehr Personal. Geschuldet den Umständen der modernen Kriegsführung sowie der herrschenden Mentalität und dem Fachkräftemangel in Deutschland habe man sich jedoch entschieden, einen neuen Weg einzuschlagen: Die Bundeswehr zu verschlanken und nicht zwingend militärische Aufgaben auf die allgemeine Bevölkerung auszulagern.

    Statt zu versuchen, die Massen in die Bundeswehr zu holen, soll nur noch für dezidiert militärische Aufgaben gezielt militärisches Personal ausgebildet werden. Andere Aufgaben wie Logistik oder verschiedene Dienstleistungen könnten „zivil wahrgenommen werden“.

    Breuer beschreibt das Konzept als „Balance zwischen den Streitkräften und der Zivilgesellschaft“. In Wirklichkeit aber spart das vor allem Zeit und Kapazitäten. So sei die Einbindung der allgemeinen Bevölkerung in den Wehrdienst ohne formelle Wehrpflicht bereits gerade in der Mache, so der Generalinspekteur.

    Vorbereitung auf einen sehr realen „Krieg der Zukunft“

    Im Hinblick auf die sehr realen anstehenden Kriege wählt die Bundeswehr die Begriffe „Krieg der Zukunft“ und spielt mit dem Verweis auf „Science-Fiction“ herunter, wie real die Kriegsvorbereitungen sind, die derzeit passieren. Der General weiß, dass die Hauptfrage der Bundeswehr nicht ist, was sie nächste Woche können müsse, aber sehr wohl, was sie „in fünf Jahren“ können muss. Die „Bundeswehr der Zukunft jetzt aufbauen“, wird daher klar gesagt.

    Gerade weil das militärische Zukunfts-Szenario ungewiss sei, brauche man ein agiles, flexibles Militär: Streitkräfte, die sämtliche Technologien, Taktiken und Kampfformen beherrschten.

    Die Umstände ließen ihm diesbezüglich „keine Wahl“, so der General. Und die Zeit dränge: Die Zeiten des „Krisenmanagements“ seien vorbei. Schon nächstes Jahr werde daher eine Umstrukturierung des Bundeswehr folgen, die entsprechenden „Dokumente“ würden gerade geschrieben.

    Bezogen auf die Waffenproduktion und Technologien sieht er die Industrie und Wirtschaft in der Verantwortung. Der Wehretat sowie das Sondervermögen Bundeswehr scheinen dem Generalinspekteur dabei von Seiten des Staats auszureichen, jedenfalls problematisiert er weder das Thema Finanzierung noch den aktuellen Stand der Ausrüstung. Vielleicht auch, weil der Fokus ganz klar auf dem Faktor des gesellschaftlichen Rückhalts für die Militarisierung liegt und das Thema 100 Milliarden-Sondervermögen in der deutschen Bevölkerung eher negativ aufgenommen wird.

    Die größten Vorteile für den deutschen Imperialismus sieht Breuer auch zukünftig im NATO-Bündnis. Die NATO-Ostflanke in Litauen ist dabei deutscher Hauptschwerpunkt. In Litauen werde daher in den Jahren 2024/2025 eine neue Brigade aufgebaut. Dafür gelte es, mit „Anreizen“ z.B. in „deutschen Schulen und Kindergärten“ Personal zu werben und zu gewinnen. Bis die Frage nicht mehr heißt, „warum soll ich nach Litauen?“, sondern „warum soll ich aus Litauen wieder weggehen?“. Eine Frage, die sich deutsche Soldaten:innen vermutlich in ähnlicher Form schon einmal gestellt haben.

    • Ahmad Al-Balah ist Perspektive-Autor seit 2022. Er lebt und schreibt von Berlin aus. Dort arbeitet Ahmad bei einer NGO, hier schreibt er zu Antifaschismus, den Hintergründen von Imperialismus und dem Klassenkampf in Deutschland. Ahmad gilt in Berlin als Fußballtalent - über die Kreisliga ging’s jedoch nie hinaus.

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