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Samstag, April 27, 2024
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    Beihilfe zum Völkermord in Gaza: Anwältin stellt Strafanzeige gegen Bundesregierung

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    Die deutschen Waffenlieferungen machen 28 Prozent des israelischen Rüstungsimports aus. Laut der Rechtsanwältin Nadija Samour sind die Exporte eine Beihilfe zum Genozid in Gaza. Sie erstattet deshalb Strafanzeige gegen Teile der Bundesregierung und den Bundessicherheitsrat. Bei vielen weckt das rechtliche Vorgehen Hoffnung, doch eine politische Veränderung wird es wohl nicht herbeiführen. – Ein Kommentar von Nick Svinets.

    Die Organisationen „Justice and Accountability for Palestine“, „Palestine Institute for Public Diplomacy“ und das „European Legal Support Center“ haben am Freitagmittag zu einer Pressekonferenz eingeladen, um die Strafanzeige gegen Kanzler Scholz und einige seiner Minister:innen sowie dem Bundessicherheitsrat vorzustellen. Die Anzeige sei laut Angaben der anwesenden Sprecher:innen schon beim Generalbundesanwalt eingereicht worden.

    Der erhobene Vorwurf lautet „Verbrechen der Beihilfe zum Völkermord an der palästinensischen Bevölkerung in Gaza durch die Lieferung von Waffen an Israel“ und beschuldigt die Minister:innen Baerbock, Pistorius, Lindner & Co., den Bundeskanzler Olaf Scholz, sowie den Bundessicherheitsrat (z.T. bestehend aus Mitgliedern des Bundestags) dieses Tatbestands.

    Die Mittäterschaft der BRD am Genozid in Gaza

    Der Grund für das rechtliche Vorgehen ist das vorläufige Urteil des Internationalen Gerichtshofes, das die Plausibilität der genozidalen Absichten Israels bestätige. Nadija Samour stellt bei der Pressekonferenz die Beihilfehandlungen der BRD wie folgt heraus:

    1. Die Genehmigung von Rüstungsexporten an Israel und der nicht stattgefundene Widerruf der bisherigen Waffenlieferungen seitens der Bundesregierung.
    2. Die politische Unterstützung Israels und demnach das Mittragen des Völkermords an den Palästinenser:innen. Dabei beruft sie sich auf die Regierungserklärung von Olaf Scholz am 12.10.2023, in dem die bedingungslose Solidarität mit der israelischen Regierung erneut zementiert wurde.
    3. Die Aussetzung der finanziellen Unterstützung des wichtigsten humanitären Hilfswerks der UN vor Ort und demnach die Unterstützung der Blockade von Hilfsgütern für die palästinensische Bevölkerung.

    Die Deutsch-Palästinenserin Nora Rajab, die stellvertretend für die Betroffenen spricht, fasst die Lage der vergangenen Monate noch einmal prägnant zusammen: „Israel [hat] den Gaza-Streifen einer der schwersten Bombardierungen der modernen Kriegsgeschichte ausgesetzt“. Außerdem sagt sie, dass die Bundesregierung bis zum 2. November 2023 Rüstungsexporte in Höhe von 303 Millionen Euro an Israel bewilligt habe. Damit macht die Aktivistin, die selbst Angehörige vor Ort hat, noch einmal den Tatvorwurf gegen die Beschuldigten deutlich.

    Die Anwältin machte zudem darauf aufmerksam, dass die palästina-solidarische Bewegung in Deutschland alle Chancen ausschöpfen wolle, seien es die bundesweiten Demonstrationen oder auch das rechtliche Vorgehen gegen den deutschen Staat als Mittäter.

    Absichten der Strafanzeige

    Auf Nachfrage eines internationalen Journalisten erläuterte Nadija Samour die Intention der Strafanzeige. Der Generalbundesanwalt sei verpflichtet, die Ermittlungen aufzunehmen. Daraus erhoffe man sich die Offenlegung der geheimen Absprachen und Beschlüsse des Bundessicherheitsrats, aber auch den Einfluss der einzelnen Minister:innen bis hin zum Bundeskanzler.

    Wenn die Ermittlungen eingestellt würden, muss sich der Generalbundesanwalt zudem dazu erklären, warum das vorläufige Urteil des höchsten Gerichts des Internationalen Rechts (IGH) nicht ausreicht, um ein Verfahren zu eröffnen.

    Außerdem wurde die Immunität der Mitglieder des Bundestags, die im Bundessicherheitsrats vertreten sind, und der Umgang damit befragt. Laut Artikel 4 der UN-Völkermordkonvention sollen die Taten der Menschen, unabhängig ihrer Ämter und Stellungen, geahndet werden, was auch die Strafverfolgung von Parlamentarier:innen und Regierungsmitgliedern impliziere.

    Hoffnung auf Veränderung?

    Das rechtliche Vorgehen gegen den Genozid in Gaza hat in den letzten Monaten bei einigen Menschen viel Hoffnung ausgelöst. Das von Südafrika angestrebte Verfahren gegen Israel am Internationalen Gerichtshof ist dabei besonders hervorzuheben. Das vorläufige Urteil des IGH war jedoch eher ernüchternd und unzureichend.

    Vorläufige Entscheidung des IGH: Israel muss sicherstellen, dass kein Völkermord im Gazastreifen verübt wird

    Bei dem Verfahren in Deutschland wird zunächst schon allein die Aufnahme der Ermittlungen viel Zeit in Anspruch nehmen, wodurch eine Einflussnahme auf die aktuelle Politik der Bundesregierung unmöglich wird. Inwieweit die Strafanzeige dann überhaupt in einem Verfahren mündet und die politischen Entscheidungsträger:innen zur Rechenschaft gezogen werden, ist auch fraglich.

    Die Hoffnung, die bei vielen geweckt wird, sollte also nicht darin münden, sich auf ein Urteil des Gerichts zu verlassen. Stattdessen sollten wir aufzeigen, dass sich die scheinbar demokratischen staatlichen Organisationen immer wieder selbst entlarven, indem sie nicht einmal ihr eigenes bürgerliches Recht durchsetzen.

    Außerdem müssen wir klarstellen, dass der Kapitalismus das Fundament für Kriege wie in Gaza darstellt. Hinter den Angriffen stecken geostrategische Interessen und der Kampf um Einflussgebiete und Absatzmärkte, um im internationalen Konkurrenzkampf selbst zu überleben. Das wird uns jedoch kein Gericht erklären oder bestätigen. Stattdessen müssen wir selbst immer und immer wieder aufzeigen, welche Ursachen hinter den Kriegen stecken und wie wir diese verhindern könnten.

    Langsam, aber sicher: Israels Imperialist:innen entscheiden sich für Besatzung des Gazastreifens

    • Perspektive-Autor seit 2024 und Politikwissenschaftsstudent mit Fokus auf Westasien & Sahelzone, Migration, Antirassismus, Antimilitarismus und internationale Klassenkämpfe.

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