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Mittwoch, Oktober 16, 2024
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    Vorläufige Entscheidung des IGH: Israel muss sicherstellen, dass kein Völkermord im Gazastreifen verübt wird

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    Im Verfahren gegen Israel hat der Internationale Gerichtshof (IGH) eine erste Entscheidung getroffen und Israel zu sechs Sofortmaßnahmen verpflichtet, jedoch keinen Waffenstillstand angeordnet. Damit zeigt der IGH, dass er sich nicht gegen die außenpolitische Linie westlicher Staaten und der EU zu stellen vermag. – Eine Einordnung von Alexandra Baer.

    Im Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) gegen Israel wegen Genozids im Gazastreifen ist eine vorläufige Entscheidung gefallen: Der IGH hat Israel sechs Anordnungen erteilt, ohne jedoch einen vorläufigen Waffenstillstand anzuordnen. Südafrika hatte Israel Ende Dezember wegen Völkermords an Palästinenser:innen im Gazastreifen auf Grundlage der sogenannten Völkermordkonvention der UN in Den Haag angeklagt.

    In einer umfassenden Klageschrift hatte Südafrika beantragt, dass das Gericht neun Sofortmaßnahmen gegen Israel ergreift – darunter insbesondere, Israel zur unverzüglichen Einstellung der militärischen Operationen zu verpflichten. Das Anliegen Südafrikas wurde von einer Vielzahl an Staaten unterstützt. Deutschland hatte Anfang Januar – auch aus ökonomischen Erwägungen – seine Unterstützung für Israel angekündigt und wurde dafür insbesondere von Namibia mit Verweis auf den durch Deutschland begangenen Völkermord an den Herero und Nama im 20. Jahrhundert heftig kritisiert. Israel selbst hatte die Vorwürfe mit Verweis auf vermeintliche Selbstverteidigung zurückgewiesen und die Zuständigkeit des IGH in Frage gestellt.

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    IGH erlässt Sofortmaßnahmen

    Der IGH hat Israels Behauptung, er sei nicht zuständig, abgewiesen und seine Zuständigkeit für den Fall festgestellt. Das Gericht berief sich auf eine Beschwerde Südafrikas an die israelische Botschaft in Pretoria, auf die Israel geantwortet hatte. Das bedeutet, dass der IGH in der Hauptsache über den Fall entscheiden wird. Jedoch kann eine solche Entscheidung wahrscheinlich bis zu drei oder vier Jahre dauern.

    Der IGH hat Israel zudem zu sechs Sofortmaßnahmen verpflichtet:

    1. Israel muss alle möglichen Maßnahmen ergreifen, um einen Genozid nach Artikel 2 der Völkermordkonvention zu verhindern. Darunter fallen Handlungen, die Mitglieder einer bestimmten Gruppe (hier: Palästinenser:innen) töten, physischen oder psychischen Harm zufügen, Lebensbedingungen schaffen, die darauf abzielen, die Existenz eines Volkes zu beenden oder Geburten innerhalb der Gruppe zu verhindern.
    2. Israel muss sicherstellen, dass das Militär keine der oben genannten Handlungen ausführt.
    3. Israel muss die “direkte und öffentliche Aufstachelung zum Völkermord an den Mitgliedern der palästinensischen Gruppe im Gazastreifen” verhindern und bestrafen.
    4. Israel muss die Versorgung der Zivilbevölkerung im Gazastreifen mit grundlegenden Dienstleistungen und wichtiger humanitärer Hilfe sicherstellen.
    5. Israel muss die Zerstörung von Beweisen für Kriegsverbrechen in Gaza verhindern und Untersuchungsmissionen Zugang gewähren.
    6. Israel muss innerhalb eines Monats nach dem Urteil einen Bericht über alle Schritte vorlegen, die es unternommen hat, um die vom Gericht verhängten Maßnahmen einzuhalten. Südafrika soll darauf reagieren dürfen.

    Alle Sofortmaßnahmen mit Ausnahme der dritten und vierten wurden mit 15 zu 2 Stimmen angenommen. Gegen die Sofortmaßnahmen haben Richterin Sebutinde aus Uganda und – wenig überraschend – Richter Barak aus Israel gestimmt.

    Das Gericht hat zudem auf Äußerungen dreier hochrangiger israelischer Minister hingewiesen, die seiner Ansicht nach eine völkermörderische Absicht Israels zeigen könnten. Damit hat sich das Gericht gegen Israel gestellt, das in den Anhörungen sagte, dass Äußerungen durch Minister und Regierungsmitglieder nur sporadisch seien und in keinem kausalen Zusammenhang mit den militärischen Operationen des Landes stünden.

    IGH entzieht sich den entscheidenden Fragen

    Mit der Entscheidung hat der IGH einem Großteil von Südafrikas Forderungen zugestimmt, jedoch hat es einige Forderungen Südafrikas nicht adressiert:

    • Die Einstellung der Militäroperationen in und gegen Gaza und das Verhindern einer weiteren militärischen Eskalation,
    • die Ergreifung von Maßnahmen zur Bestrafung derjenigen, die an einem möglichen Völkermord beteiligt waren und
    • das Vermeiden von Handlungen, die den Fall verlängern oder verkomplizieren würden.

    Damit hat der IGH die Hauptforderung Südafrikas nach einem Waffenstillstand im Gazastreifen nicht beantwortet. Darin ist jedoch keinesfalls eine Niederlage Südafrikas zu sehen, sondern vielmehr bestätigt der IGH einmal mehr, dass er nicht entgegen der politischen Linien westlicher imperialistischer Länder wie Deutschland, England oder den USA zu urteilen vermag.

    Zu kritisieren ist auch, dass das Gericht keine näheren Angaben dazu gemacht hat, wie und zu welchem Grad humanitäre Hilfe im Gazastreifen geleistet beziehungsweise ermöglicht werden muss. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund zu bemängeln, dass neun Länder, darunter Deutschland und die USA, angekündigt haben, Spenden an die größte humanitäre Hilfsorganisation im Gazastreifen, die UNRWA, auszusetzen.

    Westliche Staaten stoppen Finanzierung der größten palästinensischen Hilfsorganisation

    Die United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East (UNRWA) ist eine humanitäre Hilfsorganisation der UN, die nicht nur in Gaza, Westjordanland und Ost-Jerusalem, sondern auch in Jordanien, Libanon und Syrien arbeitet. Sie ist die größte humanitäre Hilfsorganisation Gazas und rund 3.000 der 13.000 Mitarbeiter:innen in Gaza sind trotz des Kriegs weiter im Einsatz. Nach Angaben des Generalkommissars der UNRWA, Phillipe Lazzarini, sind rund 2 Millionen der 2,3-Millionen-Bevölkerung Gazas auf die Arbeit der Hilfsorganisation angewiesen. Die Organisation betreibt Notunterkünfte für über 1 Million Menschen im Gazastreifen und stellt auch während des anhaltenden Kriegs Nahrungsmittel und medizinische Grundversorgung bereit.

    Finanziert wird die UNRWA durch freiwillige Beiträge der UN-Mitgliedsstaaten, wobei Deutschland, die USA, die EU und Schweden im Jahr 2022 mit insgesamt 61,4% der Gesamtsumme die größten Beiträge geleistet haben. Die UNRWA kritisiert deshalb in einem Statement die Entscheidung westlicher Staaten, ihr die Finanzierung zu entziehen und fordert sie auf, ihre Entscheidung zu überdenken, um eine Einstellung der Hilfstätigkeiten zu verhindern.

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    • Autorin Seit 2023. Angehende Juristin, interessiert sich besonders für Migration und Arbeitskämpfe. Alexandra ist leidenschaftliche Fußballspielerin und vermisst die kalte norddeutsche Art in BaWü.

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