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Mittwoch, Mai 1, 2024
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    Vertreibungs-Fantasien und hoher Blutzoll – israelisches Militär und Israels Regierung unter Druck

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    Für die israelische Regierung wird die Lage rund um den Krieg in Westasien immer brenzliger: Der Protest innerhalb des Landes wächst langsam aber stetig an, durch Vertreibungsfantasien verliert man bei internationalen Partnern immer mehr an Zuspruch, und auch die militärische Lage im Gaza-Streifen verläuft nicht wie erhofft. Zuletzt starben 21 Soldaten durch ihre eigenen Sprengladungen.

    Der Krieg der israelischen Armee gegen den Gaza-Streifen verläuft weiterhin schleppend. Zwar ist es den Israel Defense Forces (IDF) gelungen, in den dicht besiedelten Gaza-Streifen einzudringen, ihn in drei Teile zu teilen und Gaza-Stadt zu umstellen. Von einem wirklichen Erfolg kann allerdings nicht die Rede sein.

    Laut Angaben der IDF wurden seit Kriegsbeginn zwischen 8.000 und 9.000 Hamas-Kämpfer getötet und weitere 8.000 kampfunfähig gemacht. Die USA kommen zu ähnlichen Todeszahlen, rechnen allerdings mit weniger kampfunfähigen Verletzten. Insgesamt wird von den USA geschätzt, dass die Hamas und weitere politisch-militärische palästinensische Gruppen bisher erst ca. 20-30% ihrer Kämpfer verloren haben. Aber da es sich bei den USA um eine Kriegspartei handelt, müssen selbst diese Angaben mit Vorsicht genossen werden.

    In einem konventionellen Krieg könnte ein Militär diese Zahlen als “Erfolg” werten, dies trifft hier jedoch nicht zu. Zum einen ist Israels Militär noch weit entfernt vom erklärten Ziel die Hamas vollständig zu zerstören. Zum anderen ist der Krieg im Gaza-Streifen alles andere als konventionell. Die politische Motivation der Kämpfer  aus den verschiedenen palästinensischen Organisationen sorgt für eine hohe Opferbereitschaft, außerdem bieten Guerilla-Taktiken in dicht besiedelten Stadtgebieten auch stark unterlegenen Kräften viele Möglichkeiten. Vor allem das dichte Tunnelsystem unter dem Gaza-Streifen stellt die israelische Armee vor große Herausforderungen. Mit einer Länge von mindestens 560 Kilometern ist das Tunnelsystem noch weit größer als zuvor geschätzt.

    Die Verluste der IDF belaufen sich bisher auf 172 Soldat:innen. Auffällig ist aber, dass der Anteil von getöteten Offizieren und Führungskräften recht hoch ist. Zuletzt wurden 21 IDF-Soldat:innen auf einen Schlag getötet. Nach israelischen Angaben waren sie gerade dabei, ein Haus zu sprengen, als durch einen Panzerfaustangriff die Sprengladungen vorab getroffen wurden und die Soldaten verschüttet wurden.

    Anti-Kriegs-Proteste in Israel – wie sind sie einzuschätzen?

    Proteste in Israel

    Dieses Geschehnis trifft auf eine innenpolitische Lage in Israel, die sich weiter zuspitzt. Proteste, häufig angeführt oder motiviert durch die Angehörigen der Geiseln, werden immer häufiger und intensiver. Deren Vorwurf an die Regierung und insbesondere Netanjahu: Man stelle die eigenen politischen Interessen über die Sicherheit der noch etwa 130 im Gazastreifen verbliebenen Geiseln.

    Die Proteste wurden nochmal besonders befeuert, nachdem der israelische Premierminister ein Angebot der Hamas zur Befreiung der Geiseln kategorisch ablehnte. Die Bedingungen, welche die Hamas hierbei stellte, bestanden im Abzug der israelischen Truppen aus Gaza, in der Anerkennung der Hamas-Regierung sowie der Freilassung palästinensischer Gefangener im Gegenzug.

    Die Proteste erreichten daraufhin am Montag ihren bisherigen Höhepunkt insofern, als Angehörige von Geiseln den Finanzausschuss der Knesset (Israelisches Abgeordnetenhaus) stürmten.

    EU fixiert auf Zweistaatenlösung

    Auch außenpolitisch wächst zunehmend der Druck auf die israelische Regierung. Durch die Angriffe der IDF sind inzwischen über 25.000 Palästinenser:innen ums Leben gekommen. Laut Angaben der Regierung im Gaza-Streifen seien darunter ca. 11.000 Kinder und Jugendliche. Dies demonstriert das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung um ein weiteres Mal. Für die Israelische Regierung wird es dementsprechend immer schwieriger, die Angriffe selbst bei den internationalen Partnern zu legitimieren.

    Ebenfalls am Montag fand das monatliche Außenministertreffen der EU statt, dem diesmal unter anderem der israelische Außenminister Katz beiwohnte. Hauptthema des Treffens war die Möglichkeit einer Zweistaatenlösung nach dem Krieg. Hierfür gab es breite Zustimmung unter den EU-Außenminister:innen, auch Annalena Baerbock sprach sich für diese Option aus.

    Netanjahu hatte allerdings bereits ein paar Tage zuvor gegenüber seinen US-amerikanischen Verbündeten ausgeschlossen, überhaupt eine Zweistaatenlösung ins Auge zu fassen. Hierfür wurde er nicht nur in Europa heftig kritisiert: 15 jüdische Abgeordnete des US House of Represantatives (Demokraten) positionierten sich nach Netanjahus Aussagen klar und sprachen sich ebenfalls für eine Zweistaatenlösung aus.

    Israelische Regierung mit offensiven Vertreibungsideen

    Auf dem Außenministertreffen wurde Israels Regierung ebenfalls wegen ihrer zunehmend eskalierenden Rhetorik und Handlungen kritisiert. Hierfür gab es in der jüngsten Vergangenheit mehr als genügend Beispiele:

    So führte Netanjahu am letzten Donnerstag wohl seine Vorstellungen für sein “Groß-Israel” genauer aus. In einer Rede für den israelischen Sender i24News sagte er beispielsweise: „In Zukunft muss der israelische Staat das gesamte Gebiet vom Fluss bis zum Meer kontrollieren“. Damit spielte er scheinbar an auf die Parole „From the river to the sea – Palestine will be free“ – in Deutschland derzeit massiv von staatlichen Behörden verfolgt. Zwar gibt es Debatten über die korrekte Übersetzung von Netanjahus Rede, der grundsätzliche Inhalt bleibt allerdings in jeder Übersetzung der gleiche.

    „From the River to the Sea: Palestine will be free!“ – bald strafbar?

    Auch beim Außenministertreffen selbst kam es zu einem ähnlichen Vorfall. Statt in seiner Redezeit auf die humanitäre Krise im Gaza-Streifen einzugehen, stellte Außenminister Israel Katz zwei Konzepte für die Umsiedlung der palästinensischen Bevölkerung aus dem Gaza-Streifen vor. Eines der Konzepte: Man solle eine künstliche Insel vor der Küste Gazas errichten, welche durch Israel militärisch kontrolliert werden solle.

    Zeitweise scheint der innen- und außenpolitische Druck Wirkung gezeigt zu haben: So unterbreitete Israel der Hamas ein Angebot für eine zweimonatige Feuerpause. Im Gegenzug solle die Hamas hierfür schrittweise die restlichen Geiseln freilassen. Auch palästinensische Häftlinge sollen im Gegenzug wohl freigelassen werden. Dieses Angebot wurde von der Hamas jedoch abgelehnt. Sie fordert weiterhin den vollständigen Abzug der israelischen Armee aus Gaza.

    Obgleich der diplomatische Druck wächst, bleibt zugleich die militärische Hilfe durch die USA und die Regierung Biden an Israel ungebrochen. Auch die deutsche Regierung hat – trotz der Vertreibungsziele durch höchste israelische Stellen – signalisiert, Panzer-Munition an Israel zu liefern.

    Waffen in die Ukraine, nach Israel und Westasien: Deutschland im Kriegsgeschäft

    Netanjahu in der selbst geschaffenen Zwickmühle

    Für Benjamin Netanjahu ist die Situation zur Zeit auch deshalb besonders brenzlig, weil einem Bericht von Politico zufolge die USA immer stärker an seiner tatsächlichen Machtstellung in Israel zweifeln.

    Denn Netanjahus Einfluss ist stark von der Unterstützung von Faschisten wie Bezalel Smotrich und Itamar Ben-Gvir abhängig, da er ohne sie nicht die nötige Mehrheit in der Knesset hätte. Dementsprechend musste er ihnen gegenüber bereits viele Kompromisse eingehen und wird dies auch weiterhin nicht vermeiden können. Das bedeutet, dass für Netanjahu eine Zweistaatenlösung nicht in Frage kommen kann, da sie im deutlichen Widerspruch zu den zionistischen Expansionsplänen steht, die am stärksten durch die faschistischen Parteien vertreten werden.

    Zugleich wird klar, dass Netanjahu selbst – jenseits geostrategischer Interessen der israelischen Großmacht – ein persönliches Interesse an der Fortführung des Kriegs hat, da sein Ende auch eine Wiederaufnahme der Korruptionsermittlungen gegen ihn bedeuten könnte. Gerade dieser Umstand führt dazu, dass viele – auch verbündete Kräfte – seine Entscheidungen mehr und mehr in Frage stellen. Dazu gehört besonders die fortdauernde Debatte über einen Angriff auf den Libanon. Sollte es dazu kommen, dürfte der regionale Krieg, der bereits mit – glücklicherweise – noch niedriger Intensität tobt, vollends eskalieren. Auch wenn die USA und die EU derzeit dagegen sind: sie würden rasch in den sich dann ausbreitenden Krieg wesentlich stärker hineingezogen werden.

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