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Montag, Oktober 14, 2024
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    Langsam, aber sicher: Israels Imperialist:innen entscheiden sich für Besatzung des Gazastreifens

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    Drei Monate nach dem Ausbruch des andauernden offenen Krieges zwischen Israel und den Palästinenser:innen (speziell der Hamas) ändert sich das Bild. Israels Verteidigungsminister verkündet, den Gazastreifen wie die Westbank besetzen und durch die Palästinensische Autonomiebehörde verwalten zu lassen. Der israelische Imperialismus erweist sich flexibel. – Ein Kommentar von Ahmad Al-Balah.

    Was zunächst nach einem Befreiungsschlag der Palästinenser aussah, entpuppt sich nun als Ausgangspunkt für eine Vergrößerung des israelischen Einflussgebiets. Der israelische Imperialismus beweist Flexibilität: Die letzten Ankündigungen des israelischen Verteidigungsministers lassen verlauten, dass er Gaza und die Westbank für besetzt erklären will. Dort sollen palästinensische Autonomiebehörden (PA) die Verwaltung übernehmen.

    Viele fortschrittliche Kräfte in Deutschland und auch viele deutsche Arbeiter:innen betrachteten die Offensive der Hamas gegen Israel am 7. Oktober – wenn auch kritisch – als eine Reaktion auf die jahrzehntelange Unterdrückung des palästinensischen Volkes durch Israel. Alle staatlichen und bürgerlichen Akteure sahen darin wiederum einen Terroranschlag. In jedem Fall war ein Gegenschlag der israelischen Armee zu erwarten.

    Doch währenddessen wurden belastbare Informationen öffentlich. Danach habe der israelische Nachrichtendienst seit einem Jahr gewusst, dass ein Angriff der Hamas bevorsteht. Ob die Regierung selbst davon gewusst hat oder nicht – inzwischen ist das Bild im Gazastreifen klar gezeichnet: Die israelischen Imperialist:innen nutzten die Gunst oder Ungunst der Stunde, um ihre Regionalmacht-Ambitionen umzusetzen, wenngleich anders als erwartet.

    Auf dem langen Weg zur Regionalmacht

    Die herrschende Klasse in Israel verfolgt schon seit Staatsgründung die Ausdehnung zu einem „Groß-Israel“. Laut dem Gründervater des Zionismus, Theodor Herzl, erstrecke sich das Gebiet des jüdischen Staats „vom Bach Ägyptens bis zum Euphrat“. Die Ausbreitung Israels umfasst ideologisch und geografisch Teile Ägyptens, Palästinas, Jordaniens, Syriens, des Irak – und des Libanon.

    Rechtsentwicklung in Israel – wie soll man die Haltung der USA und Deutschlands verstehen?

    Zwar müssen die israelischen Kapitalist:innen mit der Offensive der Hamas und dem geplatzten Bündnis mit den saudischen Kapitalist:innen nun einen neuen Weg einschlagen, dieser dürfte sich aber finden lassen: Der Sinai wird bereits teilweise von Israel kontrolliert, die Grenze mit dem Libanon wurde bereits in der Vergangenheit gen Norden verschoben und die wasserreichen syrischen Golanhöhen stehen bereits fest unter Israels Kontrolle.

    Die radikalsten Vertreter:innen des israelischen Imperialismus, die nationalisch gesinnten, faschistischen Minister Itamar Ben Gvir und Bezalel Smotrich in Israels Regierung, fordern jetzt konsequent eine Vertreibung der Palästinenser:innen aus dem Gazastreifen und eine israelische Wiederbesiedlung dieses Gebietes. Obgleich dies wahrscheinlich im Sinne der israelischen Bourgeoisie wäre, muss diese vorerst hinter größere Interessen zurücktreten.

    Die aktuelle Lage im Kriegsgeschehen

    Inzwischen befinden wir uns – nach dem Angriff der Hamas und der Gegenoffensive Israels – in einer dritten Phase des Krieges: dem urbanen Guerilla-Krieg im Gazastreifen. Dieser umfasst gezielte Angriffe, die Zerstörung von Tunneln und Bodeneinsätze sowie Luftangriffe im Norden, um die kämpfenden palästinensischen Einheiten restlos auszulöschen.

    Im Süden werde weiter die Führung der Hamas verfolgt und die Befreiung der Geiseln angestrebt. Der Einsatz dort werde „so lange weitergehen, wie es für notwendig erachtet wird”, hieß es. Israel kündigte zudem die Rückkehr einiger Reservisten nach Hause an. Dies soll fast drei Monate nach Kriegsbeginn auch die Wirtschaft entlasten.

    Währenddessen schwelt der militärische Konflikt an der israelisch-libanesischen Grenze weiter. Nicht zuletzt das – sehr wahrscheinlich israelische – Attentat auf vier führende Hamas-Funktionäre im Libanon am Mittwoch hält die imperialistischen Staaten weltweit in Atem. Auch das Attentat im Iran hätte bereits der Funken sein können, der das Pulverfass um die Vormachtstellung in Westasien entzündet.

    Auch wenn der Iran und die Hisbollah bislang eher zurückhaltend agieren und keinen regionalen Krieg mit Israel provozieren, könnte durch weitere israelische Angriffe eine Linie überschritten werden, ab der zumindest die Hisbollah – und womöglich auch der Iran – in größerem Stil militärisch reagieren.

    Kommt der Krieg im Libanon?

    Israel wird davon aller Voraussicht nach absehen, solange seine Verbündeten – in erster Linie die USA, aber auch Deutschland – keine Eskalation wünschen. Während die deutschen Imperial:innen ihr Hauptaugenmerk auf die Ukraine gerichtet haben, schielen die US-Imperialist:innen längst mit einem Auge auf Taiwan und das Südchinesische Meer. Die israelischen Imperialist:innen können also in den palästinensischen Gebieten machen, was sie wollen – nur eben keinen größeren Krieg, der mehr Ressourcen benötigen würde.

    Kein All-In: Israelische Bourgeoisie entscheidet sich für die sichere Option

    Der israelische Verteidigungsminister Yoav Gallant sprach daraufhin am vergangenen Freitag ein Machtwort: Es werde „keine Präsenz israelischer Zivilisten im Gazastreifen geben, nachdem die Kriegsziele erreicht wurden.” Demnach soll es nach einem Ende der Kämpfe „weder Hamas noch eine israelische Zivilverwaltung” im Gazastreifen geben. Stattdessen sollen „lokale palästinensische Akteure“, die Israel nicht feindlich gesinnt seien, die Kontrolle des Gazastreifens übernehmen – mit anderen Worten die Palästinensische Autonomiebehörde (PA).

    Diese Option wurde bereits im November 2023 identifiziert. Die herrschende Klasse in Israel hatte jedoch zunächst diejenige favorisiert, die Palästinenser:innen nach Ägypten zu vertreiben, um das Gebiet einnehmen zu können.

    Gaza: Israelisches Ministerium zieht Vertreibung der Zivilbevölkerung in Betracht

    Die Besatzung des Gazastreifens inklusive Verwaltung durch eine kooperierende PA-Bourgeoisie würde Israel eine ähnliche Politik wie im besetzten Westjordanland ermöglichen, inklusive der Option auf die Ausbeutung palästinensischer Ressourcen und einer schleichenden Besiedlung und Annektion des Gebiets über die nächsten Jahrzehnte hinweg. Den Palästinenser:innen im ganzen Land  könnte somit langsam der Garaus gemacht werden, ohne eine direkte Eskalation zum jetzigen – für Israels Alliierte unpassenden – Zeitpunkt zu riskieren.

    Der Wiederaufbau der Infrastruktur im Küstenstreifen solle unter der Leitung der USA und in Zusammenarbeit mit europäischen und regionalen Partnern erfolgen. Israel werde sich auch nach dem Kriegsende „seine operative Handlungsfreiheit im Gazastreifen” vorbehalten und weiterhin die Grenzen kontrollieren, stellt der Verteidigungsminister in diesem Zusammenhang bereits klar. Das israelische Militär werde im Gazastreifen uneingeschränkt präsent sein – eine weitere Ähnlichkeit zur Situation in der besetzten Westbank. Und Ägypten würde weiterhin in enger Abstimmung mit Israel den Grenzübergang nach Rafah kontrollieren.

    Gallant präsentierte seinen Plan pünktlich am Vorabend des erneuten Besuchs von US-Außenminister Antony Blinken. Damit scheinen die Wogen in der Allianz zunächst geglättet, doch noch ist der Krieg nicht vorbei.

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