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Montag, April 29, 2024
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    Gaza: Israelisches Ministerium zieht Vertreibung der Zivilbevölkerung in Betracht

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    In dieser Woche wurde ein internes Papier des israelischen Geheimdienstministeriums öffentlich. Darin werden verschiedene Möglichkeiten des Umgangs mit der Zivilbevölkerung in Gaza analysiert. Bevorzugt wird dabei eine Vertreibung nach Ägypten. – Von Julius Strupp

    Am Mittwoch wurde durch das Nachrichtenportal Sikha Mekomit erstmals ein internes Dokument des israelischen Geheimdienstministeriums veröffentlicht, das sich mit den Möglichkeiten des Umgangs mit der Zivilbevölkerung Gazas befasst. Die Echtheit des Dokuments soll gegenüber Sikha Mekomit und seinem Partnermagazin +972 durch eine interne Quelle bestätigt worden sein.

    Der tatsächliche Einfluss dieses Dokuments innerhalb der israelischen Regierung ist schwer einzuschätzen. Das Geheimdienstministerium selbst hat trotz seines Namens nur ein geringes Gewicht und vor allem die Funktion, Informationen zu sammeln und bereit zu stellen.

    Dennoch gibt das Papier interessante Einblicke in die Diskussionen innerhalb der israelischen Regierung und ihre grundsätzliche Haltung zum palästinensischen Volk.

    Kein Recht auf nationale Selbstbestimmung für Palästinenser:innen

    In dem zehn Seiten langen Grundsatzpapier, das auf den 10. Oktober 2023 datiert ist, werden dabei drei verschiedene Optionen im Umgang mit der Zivilbevölkerung Gazas benannt. Diese werden wie folgt beschrieben:

    • „Option A: Verbleib der Zivilbevölkerung in Gaza und Import der Herrschaft der palästinensischen Autonomiebehörde.“
    • „Option B: Verbleib der Zivilbevölkerung in Gaza und Entstehung einer lokalen arabischen Autorität.“
    • „Option C: Die Evakuierung der Zivilbevölkerung aus Gaza nach Sinai.“

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    Auffällig ist dabei, dass in keiner der Optionen vorgesehen ist, den Palästinenser:innen die Ausübung ihres Rechts auf nationale Selbstbestimmung und die Gründung eines eigenen Staats zuzugestehen. Auch in den Beurteilungen der verschiedenen Lösungen wird die politische Trennung zwischen dem von der Palästinensischen Autonomiebehörde kontrollierten Westjordanland und dem von der Hamas kontrollierten Gaza als zentrales Hindernis für die Entstehung eines palästinensischen Staats benannt – jedoch in einem positiven Sinne.

    Vertreibung der Zivilbevölkerung als bevorzugte Option

    Gleich zu Beginn des Papiers wird festgestellt, dass Option C, also die Vertreibung der Zivilbevölkerung, die bevorzugte Lösungsmöglichkeit der Autor:innen ist. Es handele sich um die „Option, die langfristig positive strategische Ergebnisse für Israel bringen wird und durchführbar ist. Sie erfordert Entschlossenheit auf politischer Ebene angesichts des internationalen Drucks, wobei der Schwerpunkt auf der Unterstützung der Vereinigten Staaten und weiterer pro-israelischer Länder für dieses Vorhaben liegt.“

    Die entscheidenden Ursachen hierfür werden in den „Schwächen“ der Optionen A und B gesehen. So ist man sich vor allem unsicher, den ideologischen Einfluss der Hamas tatsächlich brechen und die Bevölkerung Gazas auf einen pro-israelischen Kurs einschwören zu können. Außerdem wird die Instabilität der Autonomiebehörde im Westjordanland, die von vielen Palästinenser:innen als Verräterin am Kampf gegen die Besatzung wahrgenommen wird, als Argument ins Feld geführt.

    Stattdessen stellt man sich die Errichtung von „Zelt-Städten“ hinter der Grenze zu Ägypten und einer Pufferzone vor und die spätere Errichtung von „Städten“, womit wohl riesige Geflüchtetenlager gemeint sein dürften.

    Träume einer rechten Regierung

    In dem Papier wird also eine Vertreibung von Millionen Menschen aus ihrer Heimat in Aussicht gestellt. An der Rechtmäßigkeit eines solchen Schrittes wird in dem Papier jedoch nicht gezweifelt. Eben so wenig kommt der Gedanke auf, dass die Zivilbevölkerung Gazas ihre Zukunft vielleicht selbst entscheiden könnte.

    Stattdessen wird sich damit beschäftigt, wie man die westlichen Partner unter der Führung der USA hinter sich versammeln und wie man Ägypten aufgrund seiner wirtschaftlich angespannten Lage erpressen könnte.

    Man sollte sich fragen, was denn mit dem Land passieren würde, wenn die über zwei Millionen Palästinenser:innen tatsächlich vertrieben sind. Die einzig mögliche Antwort wäre eine Annektion Gazas – ein Traum der nationalistischen Regierung rund um Benjamin Netanjahu, der wenig mit dem Schutz vor fundamentalistischem Terror zu tun hat.

    Auch wenn es sich hierbei „nur“ um ein Grundsatzpapier handelt, zeigt sich deutlich, dass unter dem Deckmantel der Verteidigung vor dem Terrorismus offen über die Vertreibung Millionen Unschuldiger und die Schaffung eines „Groß-Israels“ nachgedacht wird. Die Netanjahu-Regierung nutzt dabei die aktuelle Lage und die Gefühle der Bevölkerung, um ihre ultrarechten Pläne Wirklichkeit werden zu lassen.

    • Autor bei Perspektive seit 2019, Redakteur seit 2022. Studiert in Berlin und schreibt gegen den deutschen Militarismus. Eishockey-Fan und Hundeliebhaber. Motto: "Für alles Reaktionäre gilt, dass es nicht fällt, wenn man es nicht niederschlägt."

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