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Montag, April 29, 2024
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    Iran vs. Israel: Keine gerechte Seite

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    Der schwelende Schattenkrieg zwischen Iran und Israel ist in offene direkte Angriffe umgeschlagen. Während sich westliche Regierungen auf die Seite des israelischen Staats stellen, gibt es auch Kräfte, die sich hinter dem Iran versammeln. Ein Blick auf die dahinter stehenden Interessen hilft, eine Haltung einzunehmen. – Ein Kommentar von Tim Losowsky.

    Am Samstag Abend hat der Iran hunderte Drohnen und dutzende Raketen in Richtung Israel abgefeuert. Das Schadensausmaß ist noch unklar, Ziel war nach offiziellen iranischen Angaben diejenige israelische Militärbasis, von der aus die Angriffe gegen das iranische Konsulat im syrischen Damaskus geflogen wurden.

    Ob der direkte Schlagabtausch zwischen Iran und Israel weitergeht, ist derzeit noch offen. Der iranische General Mohammad Bagheri erklärte, man habe seine Ziele vorerst erreicht, werde jedoch auf erneute israelische Reaktionen noch intensiver antworten. Laut Axios, einer US-amerikanischen Nachrichten-Website, hat US-Präsident Joe Biden gegenüber dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu deutlich gemacht, dass man einen erneuten Gegenangriff auf den Iran nicht unterstützen werde. Auch haben sowohl Israel als auch Jordanien und der Irak ihren Luftraum wieder geöffnet. Zugleich berichten israelische Quellen, man werde „in den nächsten 48 Stunden“ reagieren.

    Klar ist jedoch, dass nun die beiden Rivalen Israel und Iran auch direkt miteinander kämpfen. Bisher hatte dies nur vermittels Stellvertretern stattgefunden – insbesondere der Iran hatte durch seine verbündeten Kräfte im Libanon (Hisbollah) und Jemen (Ansar Allah/Houthi) versucht, Israel in die Enge zu treiben. Auch die systematische Unterstützung der Hamas und des Islamischen Djihad in Gaza waren Teil einer Regionalstrategie, um Israel einzuhegen.

    Israel oder Iran?

    Nach den Angriffen sammeln sich nun die Unterstützer der beiden Kriegsparteien: Bundeskanzler Olaf Scholz erklärte auf X, fest an „der Seite Israels“ zu stehen. Auch das Vereinigte Königreich, Frankreich und natürlich die USA äußerten sich ähnlich. Der Iran hat wiederum ebenfalls Unterstützung erhalten – neben der Basis der mit Israel verfeindeten Milizen in der Region auch von Ländern wie etwa Algerien.

    Doch welche Haltung sollten Menschen einnehmen, die sich dem Völkerschlachten ganz grundsätzlich entgegen stellen? Wie kann man aus einer konsequenten Anti-Kriegs-Position auf die Situation blicken?

    Dafür lohnt es sich, anzusehen, in wessen Interesse und unter welcher Führung die derzeitigen Kriegsaktionen stattfinden.

    Für die israelische „Demokratie“?

    Israel wurde angegriffen, ja – aber nachdem sie eine iranische Botschaft, sprich indirekt iranisches Gebiet angegriffen hatten. Heißt es nun, sich hinter die „einzige Demokratie im Nahen Osten“ zu stellen, wie es viele westliche Politiker:innen jetzt umgehend tun?

    In Israel herrscht eine imperialistische Bourgeoisie, die sich aus Kapitalist:innen der dort ansässigen Hochindustrie (Cyber, Rüstung) einerseits, sowie einem ebenfalls starken Komplex aus Militärs, Geheimdienstlern und einer reaktionären politischen Führung andererseits zusammensetzt. Der Zionismus als nationalistisch-religiöser Fundamentalismus ist hierbei die Legitimationsideologie für die Kolonisierung palästinensischer und weiterer Gebiete („Großisrael“) und dient zugleich dazu, das eigene Staatsvolk zusammenzuhalten. Mittlerweile wurden auch typisch bürgerlich-demokratische Elemente wie z.B. die Gewaltenteilung größtenteils abgeschafft.

    Zudem ist Israel nicht nur eine eigenständige Regionalmacht mit Atomwaffen, sondern auch strategischer Brückenkopf westlicher Imperialisten, zuvorderst der USA, nach Westasien. Erst Mitte vergangenen Jahres hatte US-Präsident Joe Biden einen Satz wiederholt, den er schon 1986 verkündet hatte: „Wenn es kein Israel geben würde, müssten wir eins erfinden.“

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    Mit dem Iran gegen den Imperialismus?

    Sollten die Sympathien dann doch eher beim Iran liegen, der nun „endlich“, dem israelischen Staat, der derzeit einen Völkermord in Gaza verübt, einen Riegel vorschiebt?

    Im Iran herrscht seit dem Umsturz von 1979 eine islamisch-fundamentalistische Theokratie. In dem dortigen Regime um zunächst Ajatollah Ruhollah Chomeini und später Ali Chamenei wurden Militärs, Geistliche, Großgrundbesitzer und Industrielle zu einer eng verbundenen regionalen Herrscherklasse. Sie setzt auf eine offensive Unterdrückung der Arbeiter:innenbewegung im Inland. Diese konnte eindrücklich 2022/2023 beobachtet werden, als der allgemeine Volksaufstand der Frauen und Arbeiter:innen nach dem Tod von Mahsa Amini blutig niedergeschlagen wurde. Über 100 Demonstrierende wurden seitdem hingerichtet.

    Der Iran verfolgt die klar ersichtliche Geostrategie, sich als Regionalmacht zwischen den Rivalen Saudi-Arabien auf der einen und Israel auf der anderen Seite nach vorn zu entwickeln und setzt dabei neben der eigenen Militärmacht (und dem Streben nach einer Atombombe) insbesondere auf Milizen außerhalb seines Territoriums.

    Dass die Angriffe des Iran auf Israel ausgerechnet jetzt kommen, ist kein Zufall: Israel steht international so isoliert da wie selten in seiner Geschichte, und die USA haben mit China eine klare Hauptpriorität – und die geht raus aus dem „Nahen Osten“. Die iranische Bourgeoisie sieht deshalb jetzt die Möglichkeit, sein eigenes Einflussgebiet immer weiter auszudehnen. Dabei kooperiert sie eng mit Russland und ist damit selbst einem imperialistischen Lager zuzuordnen.

    Die aktuellen Angriffe des Iran sind also nicht als Rettung der unterdrückten Palästinenser:innen oder als Kampf gegen den Imperialismus zu verstehen, sondern als geschickte Kriegstaktik im Kampf um die regionale Vormachtstellung und damit die Herrschaft auch über andere Teile in der Region.

    Keine gerechte Seite

    Um nun eine Haltung einzunehmen, lohnt es sich, in die Geschichte der Arbeiter:innenbewegung zu blicken und die bereits historisch geführten Diskussionen hinzu  zu ziehen: Im Rahmen der Einschätzung des ersten Weltkriegs meinte etwa der russische Revolutionär Wladimir I. Lenin: „Der Charakter eines Krieges (ob er ein reaktionärer oder ein revolutionärer Krieg ist) hängt nicht davon ab, wer der Angreifer ist und in wessen Land der ‚Feind‘ steht, sondern davon, welche Klasse den Krieg führt, welche Politik durch diesen Krieg fortgesetzt wird.“

    Wenden wir dies auf den nun stattfindenden Schlagabtausch an, so können wir sehen, dass hier zwei Herrscherklassen Krieg miteinander führen – einen Krieg um die regionale Vormachtstellung in der Region. Hinter beiden stehen zudem starke weitere imperialistische Kräfte, die sie militärisch und politisch stützen. Es handelt sich also schlicht um einen reaktionären, einen ungerechten Krieg.

    Wem sollte dann unsere Sympathie gelten?

    Mit welcher Seite sollten wir uns also dann als konsequente Anti-Kriegs-Kräfte solidarisieren?

    Mit all denjenigen Kräften, die gegen die jeweiligen Bourgeoisien kämpfen: mit der iranischen Arbeiter:innenbewegung, die gegen die Unterdrückung der Frauen und für einen Sturz des reaktionären Regimes kämpft; mit der kurdischen Freiheitsbewegung, die ebenfalls gegen die iranische Unterdrückung kämpft; mit den palästinensischen Unterdrückten, die den israelischen Staat im Kampf um ihre Selbstbestimmung schwächen; mit denjenigen Teilen der Arbeiter:innenklasse in Israel, die sich konsequent sowohl gegen die Besatzung richten, als auch gegen die reaktionäre israelische Regierung.

    Unsere Sympathie muss dabei besonders denjenigen Kräften gelten, die nicht nur das Ziel haben, ihre eigene Lage etwas zu verbessern, sondern auch dafür kämpfen, die Wurzeln von Krieg, also die Klassenherrschaft und die damit einhergehenden Rivalitäten, grundsätzlich zu beseitigen.

    Im Kriegsgeheul heißt es einen klaren Blick zu behalten: die Grenzen verlaufen nicht zwischen den Völkern, sondern zwischen oben und unten.

    • Perspektive-Autor und -Redakteur seit 2017. Schwerpunkte sind Geostrategie, Rechter Terror und Mieter:innenkämpfe. Motto: "Einzeln und Frei wie ein Baum und gleichzeitig Geschwisterlich wie ein Wald."

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