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Zeitung für Solidarität und Widerstand

Drohnen und der Krieg der Zukunft

In der Ukraine und anderen Kriegsschauplätzen nimmt der Einsatz von Drohnen zu. Aber dahinter steckt eine längere Geschichte. Zugleich werden bereits Pläne für den Krieg der Zukunft geschmiedet. – Ein Kommentar von Johann Khaldun.

Im noch immer andauernden russisch-ukrainischen Krieg, der um die Interessen des US-amerikanisch geführten imperialistischen Blocks und des russischen Imperialismus geführt wird, kommen vermehrt auf beiden Seiten des Konflikts Drohnen zum Einsatz. Die Ukraine gleicht ihre mangelnde Flugabwehr durch den Einsatz von Drohnen aus, mit denen sie russische Raffinerien und Treibstoffversorgungsanlagen angreift. Zugleich werden neue kleine und billige „FPV-Drohnen“ von beiden Kriegsparteien eingesetzt.

Es handelt sich dabei nicht mehr nur um die Drohnen von der Größe von Flugzeugen, sondern auch um kleine Geräte, wie man sie im Einzelhandel erwerben kann. Zudem spielt der Einsatz von sogenannter „künstlicher Intelligenz“ eine immer größere Rolle. Zuletzt haben das die Enthüllungen über das israelische Vernichtungsprogramm noch einmal verdeutlicht.

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Kommentator:innen sprechen davon, dass sich hier eine neue Kriegführung entwickelt, die bald die Schlachtfelder der Zukunft beherrschen wird. Während sich die verschiedenen kapitalistischen Staaten tatsächlich immer mehr auf diese Technologie einstellen, geht dabei die tiefere Geschichte dieser Art der Kriegsführung verloren.

Keine Neuheit, sondern etablierte Tradition

Schon die Regierung George W. Bushs begann vor allem in den Kriegen im Irak und in Afghanistan, die Amerika durch die Anschläge vom 11. September 2001 zu begründen versuchte („War on Terror“, dt. „Krieg gegen den Terror“), Drohnen einzusetzen. Mit dem Amtsantritt Barack Obamas erhielt der Drohnenkrieg allerdings eine neue Qualität. Das hatte bestimmte ideologische Gründe. Die imperialistischen Machtdemonstrationen und die international unbeliebten Raubkriege inklusive Foltercamps der Bush-Regierung hatten zu einem erheblichen Verlust des Ansehens der USA geführt.

Die Obama-Administration regierte darauf, indem sie ihrer Kriegführung ein indirekteres, scheinbar professionelleres Gesicht gab. Der Einsatz von Drohnen wurde als präzise, ja fast schon human beworben, da es einzig auf ausgewählte Ziele ausgerichtet wäre. Wie aber nicht nur Kritiker:innen dieser Zeit anmerkten, sondern bald auch schon durch Leaks bestätigt wurde, entsprach die Wirklichkeit diesem Bild in keiner Weise. Die zivilen Opfer des Drohnenkriegs lagen bei 90 Prozent. Vor allem in Afghanistan wurden zehntausende unschuldige Menschen auf diese Weise getötet. Die zivilen Opfer des „War on Terror“ werden bis 2023 auf bis zu 48.308 Menschen geschätzt.

In den Jahren der Trump-Regierung wurde der Drohnenkrieg noch einmal intensiviert. Zu diesem Zeitpunkt störten sich die bürgerlichen Medien schon nicht mehr daran. Sie waren vielmehr damit beschäftigt, sich an Trumps Rückfall in den ruppig-imperialistischen Tonfall der Bush-Jahre – der aber einen ehrlicheren Charakter hatte – zu stören, als dass sie die wirkliche imperialistische Politik wahrnahmen. Zu spannend waren die Spekulationen und Verschwörungstheorien rund um einen vermeintlich vom Kreml aus kontrollierten US-Präsidenten. Auch so konnte man sich das Saubermann-Image der USA erhalten.

Aber der Einsatz der Drohnen weitete sich nicht nur in den USA aus. Auch reaktionäre Kräfte wie der Islamische Staat gingen dazu über, Drohnen für ihre Kriegführung zu verwenden. Zwar geschah das noch in vergleichsweise kleinem Rahmen, aber darin zeigte sich das Potenzial, dass diese Technik durch ihre niedrige Bedienschwelle und die geringen Kosten weit über den gewünschten Einsatz hinaus Verbreitung finden kann.

Das bestätigte sich auch zuletzt, als die Hamas am 7. Oktober bei ihrem Ghetto-Ausbruch aus Gaza Drohnen zum Einsatz brachte, oder aktuell, wenn im Bürgerkrieg in Myanmar aufständische Kräfte auf Drohnen zurückgreifen. Die Technologie wird dabei kleiner, billiger und einfacher zu handhaben und zu besorgen – oft werden die Drohnen einfach im Einzelhandel gekauft.

Die Zukunft des Krieges

Die imperialistischen Staaten stehen auch vor dem Problem, dass ihre Bevölkerungen unwillig sind, für sie in den Krieg zu ziehen. Schlachten, bei denen Hunderttausende oder gar Millionen Menschen für die Interessen der einen oder anderen Fraktion des Monopolkapitals geopfert werden, scheinen unwahrscheinlich. Da bietet der Rückgriff auf Drohnen, die einen Abstand zwischen Krieg und Soldaten legen und damit die eigenen Opfer ebenso wie die Hemmschwelle zum Mord senken, einen Ausweg.

Wichtig ist zudem, dass immer mehr auf „künstliche Intelligenz“ gesetzt wird – und zwar von allen imperialistischen Staaten. Das Ziel ist es, im Krieg der Zukunft eigene moralische Schwächen und solche, die aus zu geringer Bevölkerungszahl resultieren, durch computergestütztes Morden wettzumachen. Daher forschen von den USA über Russland bis China alle an diesen Technologien, bei denen Kriegsgerät durch KI betätigt werden soll. Drohnen sind dabei nur eine von diversen Kriegsgeräten, an denen gearbeitet wird.

Michael Klare, Professor für Friedens- und Weltsicherheitsstudien erklärt dazu: „Neben der Weiterentwicklung seiner derzeitigen Fähigkeiten signalisiert China auch seine Bemühungen um Fähigkeiten der nächsten Generation. In diesen Konzepten zeigen die Entwickler:innen der Volksrepublik China Interesse an zusätzlichem Wachstum [über Geheimdienst- und elektronische Kriegsführungsmissionen hinaus] sowohl im Luft-Luft- als auch im Luft-Boden-Kampf, wobei ein beträchtlicher Entwicklungsaufwand darauf hindeutet, dass Schwarmfähigkeiten für operative Anwendungen geschaffen werden sollen.“

Russland zielt beispielsweise auch auf ein exponentielles Wachstum seiner KI-gesteuerten Luftstreitkräfte. So soll die Produktion von entsprechenden Kampfflugzeugen von gegenwärtig etwa 13.000 pro Jahr bis 2030 auf 35.500 nach dem Jahr 2030 gesteigert werden. Auch Deutschland und Frankreich entwickeln derweil ein neues Panzerfahrzeug, das unter anderem Drohnen zum Einsatz bringen soll.

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Der Krieg, die Drohnen und wir

Wir sehen also: das Bürgertum ist so kriegsversessen wie lange nicht mehr. Alle Imperialisten rüsten eifrig zum großen Krieg gegeneinander sowie gegen mögliche Aufständische im Innern und damit vor allem gegen uns. Es geht allen darum, unsere Ausbeutung und Unterdrückung bis zum bitteren Ende gegen den jeweiligen imperialistischen Konkurrenten und gegen unseren Widerstand aufrecht zu erhalten.

So wird vielleicht ein Abstand zwischen Soldat:innen und Kriegsschauplatz geschoben, aber der Krieg wird doch auch die Heimatfront erreichen: Sei es, weil die jeweilige Partei verliert, weil Drohnenschwärme durch keine Flugabwehr verlässlich aufzuhalten sind, oder weil der Staat diese Technologie schlicht gegen die eigene Bevölkerung wendet.

Es bleibt, wie es immer war unter der Herrschaft des Kapitals. Wenn wir uns vom Stiefeldruck der Bourgeoisie befreien wollen, wenn wir nicht wollen, dass wir demnächst in kommenden Kriegen durch Drohnen und „künstliche Intelligenz“ zerfetzt werden, dann müssen wir selbst aktiv werden: Gegen den Kapitalismus und seine Folgen wie dieser wahnsinnigen Kriegsspirale und ihren technologischen Perversionen.

Johann Khaldun
Johann Khaldun
Perspektive-Autor seit 2023. Philosoph deutsch-algerischer Abstammung mit Fokus auf Arbeiter:innengeschichte und deutschem Idealismus. Vom Abstrakten zum Konkreten auf dem Weg der Vermittlung.

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