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Sonntag, September 15, 2024
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    Eine Jugend zwischen Krieg und Krise

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    Wieso der Kapitalismus Jugendlichen aus der Arbeiter:innenklasse keine Perspektive bieten kann, und warum es sich lohnt, trotzdem nicht den Kopf in den Sand zu stecken. – Ein Kommentar von Alex Lehmann.

    Spätestens am 10. September beginnt das neue Schuljahr für tausende Schüler:innen in Deutschland. Für viele von ihnen bedeutet das auch: Prüfungsstress, Leistungsdruck, Schlafprobleme und Mobbing kehren zurück in den Alltag.

    Für diejenigen, die in diesem Jahr ihren Schulabschluss gemacht haben oder ihm näher kommen, stellt sich indessen die Frage, was sie eigentlich mit ihrem Leben anfangen sollen: Lieber einen Ausbildungsplatz suchen oder doch studieren? Vielleicht ein FSJ oder erst einmal ein Jahr durch die Welt reisen?

    Dabei merkt man schnell, dass diese durchaus schwierigen Fragen oft schon aufgrund der äußeren Umständen beantwortet werden: Ohne Abitur wird es auch zunächst nichts mit dem Studium. Denn um den Hochschulzugang an einer Abendschule nachzuholen oder sich über Umwege das Fachabitur zu ergattern, braucht es vor allem eins: Geld.

    Wer dann nicht auf die finanzielle Unterstützung der eigenen Familie oder ähnliches zählen kann, hat plötzlich gar nicht mehr so viele Optionen offen. So erklärt sich auch, dass noch immer überdurchschnittlich viele Studienanfänger:innen und Menschen mit Bachelor- und Masterabschlüssen aus Elternhäusern stammen, in denen es bereits Hochschulabschlüsse gibt.

    Wir sehen: Wer welche Bildungschancen hat, ist in Deutschland immer noch eine Frage der sozialen Herkunft und somit auch eine Klassenfrage: Kinder aus Arbeiter:innen-Familien werden weniger wahrscheinlich studieren. Und auch wenn sie es schaffen, werden sie weiterhin mit Geldproblemen zu kämpfen haben und gezwungen sein, neben dem Studium arbeiten zu gehen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.

    Bildung ist eine Klassenfrage!

    Die vorgebliche „Chancengleichheit“ wird im deutschen Bildungssystem aber schon lange vor dem ersten Abschluss begraben. Durch die bereits angesprochene Frage der Herkunft entscheidet sich eigentlich schon bei der Geburt, welche Perspektiven das kapitalistische System einem jungen Menschen zu bieten hat.

    Je nachdem, in welche Klasse man hineingeboren wurde, verläuft der weitere Entwicklungsweg sehr unterschiedlich: Wenn man als Kind wohlhabender Kapitalist:innen auf ein Elite-Internat mit Karriere-Garantie geht, lernt man, die eigene Meinung zu vertreten und sich durchzusetzen. Währenddessen lernt man als Schüler:in an Hauptschulen, wie man Anträge an das Arbeitsamt ausfüllt. Und dazwischen gibt es Millionen, die zwar auf der Gesamtschule, dem Gymnasium oder am Berufskolleg ihr (Fach-)Abitur machen, danach aber trotzdem ihre Arbeitskraft an die Kapitaleigner:innen verkaufen müssen.

    Das ist die gegensätzliche Realität, die so in unserem kapitalistischen Bildungssystem herrscht. Denn es ist grundsätzlich darauf ausgelegt, die Schüler:innen, die es durchlaufen, auf ihre spätere Rolle in der Gesellschaft vorzubereiten. Und in der Klassengesellschaft bedeutet das eben, entweder als Ausbeuter:in von der Arbeit anderer zu leben oder dazu gezwungen zu sein, die eigene Arbeitskraft zu verkaufen, um über die Runden zu kommen.

    Pandemie, Klimakrise, Krieg, Faschismus – sind wir noch zu retten?

    Während wir uns in den letzten Jahren durch das Bildungssystem gequält haben, wurden wir von mehreren schweren Krisen erschüttert: Angefangen mit der Corona-Pandemie, über das stetige Voranschreiten des Klimawandels, die Kriege in der Ukraine und in Gaza bis hin zum Aufstieg der AfD.

    Für viele sind das Faktoren, die zur wachsenden Perspektivlosigkeit und Angst vor der Zukunft beitragen. Wer will schon in Schule oder Uni sitzen und den ganzen Tag irgendetwas lernen, in dem Wissen, dass wir jeden Tag näher an den Abgrund der Klimakrise rücken?

    Wer kann sich ernsthaft in den Politikunterricht setzen und sich das Geschwafel über die „freiheitlich-demokratische Grundordnung“ und „Menschenwürde“ anhören, während gerade in deren Namen Kriege auf der ganzen Welt geführt werden? Wenn uns der Kriegsminister Pistorius nach unserer Schulzeit am liebsten gleich mit an die Front schicken will? Wenn ein paar tausend Kilometer weiter zeitgleich israelische Bomben mit deutscher Unterstützung Kinder töten und Schulen sowie Universitäten in Schutt und Asche legen?

    Wehrpflicht in Deutschland? Jugend leistet Widerstand!

    Bei vielen Jugendlichen führt das zu Hoffnungslosigkeit und dem erdrückenden Gefühl, dem Ganzen einfach nur ausgeliefert zu sein, ohne etwas tun zu können. – Aber so ist es nicht.

    Wer nicht kämpft, hat schon verloren

    Überall auf der Welt gibt es Menschen in sozialen Bewegungen und klassenkämpferischen Organisationen, die sich gegen Ausbeutung und Unterdrückung wehren. Die gerade wegen der Ungerechtigkeit und Unterdrückung aktiv werden und nicht den Kopf in den Sand stecken.

    Denken wir zum Beispiel an die Proteste nach der Ermordung des 17-jährigen Franzosen Nahel M. im Juni 2023. Sein Tod entfachte eine Welle von Aufständen. Die Jugendlichen Frankreichs verschafften ihrer Wut über diese Ungerechtigkeit Ausdruck, und über Tage hinweg brannte es in den Straßen des Landes.

    Diese Aufstände erfassten nicht nur die Vororte der französischen Hauptstadt, sondern das ganze Land. Über das Internet erfuhren Menschen auf der ganzen Welt von dem rassistischen Polizeimord und forderten Gerechtigkeit für Nahel.

    Tödlicher Schuss auf 17-Jährigen – Proteste in Frankreich halten an

    Oder nehmen wir die weltweiten Studierendenproteste, die als Reaktion auf den Vernichtungskrieg der israelischen Regierung in Gaza entstanden: Angefangen mit der Campus-Besetzung an der Columbia-Universität in den USA verbreitete sich der Protest weltweit wie ein Lauffeuer.

    In Kanada, Australien, Japan, Indien, Jemen, Ägypten, Deutschland, Spanien, Belgien, England und anderen Ländern nahmen sich Student:innen ihre Universitäten, um gegen die aktuelle Eskalation des Kriegs in Gaza und die seit Jahrzehnten andauernde Unterdrückung der Palästinenser:innen zu protestieren.

    Es gibt dutzende weitere Beispiele. Sie alle beweisen uns, dass der Lauf der Geschichte nicht einfach gesetzt ist. Dass es, frei nach Ulrike Meinhof, sehr wohl möglich ist, zu sagen: Das und das passt mir nicht, und ich mache nicht mehr mit. Und ich sorge sogar dafür, dass alle anderen auch nicht mehr mitmachen.

    Und ja: Trotzdem haben wir es noch nicht geschafft, das System umzuwälzen, und haben weiterhin mit Faschismus, Krieg, dem Bildungssystem, Armut und Perspektivlosigkeit zu kämpfen. Aber wie Bertolt Brecht schon sagte: „Wer nicht kämpft, hat schon verloren”.

    Dieser Text ist in der Print-Ausgabe Nr. 89 vom August 2024 unserer Zeitung erschienen. In Gänze ist die Ausgabe hier zu finden.

    • Perspektive Autor seit 2023. Jugendlicher Arbeiter im Einzelhandel aus Norddeutschland, schreibt gerne Artikel um den deutschen Imperialismus und seine Lügen zu enttarnen. Motto: "Wir sind die Jugend des Hochverrats!"

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