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Freitag, September 13, 2024
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    Nach Solingen-Attentat: Faschisten hetzen, fortschrittliche Kräfte mobilisieren – Saskia Esken (SPD) fordert Abschiebungen

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    Kurz nachdem der Islamische Staat den Solingen-Anschlag von Freitag für sich reklamierte, stellte sich der mutmaßliche Täter, ein 26-jähriger Syrer. Rechte mobilisieren nun vor die Geflüchtetenunterkunft, in der er lebte. Sozialistische Kräfte rufen zum Gedenken und Einsatz gegen „rechte Hetze und islamischen Fundamentalismus” auf. Die Vorsitzenden von SPD und CDU orientieren derweil auf Abschiebungen in Bürgerkriegsländer.

    Drei Menschen sind am Freitag Abend in Solingen mit einem Messer ermordet worden – zwei Männer im Alter von 56 und 67 Jahren und eine 56-jährige Frau. Hunderte kamen zur Gedenkfeier am Samstag zusammen. Von den weiteren vier Schwerverletzen sollen alle mittlerweile außer Lebensgefahr sein. Der Anschlag hat sich derweil in Windeseile zu einem Politikum entwickelt.

    Das hat mit dem mutmaßlich politischen Hintergrund des Anschlags zu tun, denn mittlerweile hat sich ein dringend Tatverdächtiger gestellt und auch gestanden: Der 26-jährige Issa al H. – gebürtiger Syrer und sunnitischer Muslim – war nach Spiegel-Informationen Ende 2022 nach Deutschland gereist und hatte dort einen Asylantrag gestellt. Zum ersten Mal registriert wurde er jedoch in Bulgarien, sodass er schon bald nach den Dublin-Regeln wieder dorthin abgeschoben werden sollte. Er tauchte jedoch ab, wodurch nach Ablauf der Überstellungsfrist wieder Deutschland für ihn zuständig war und ihm Ende 2023 „subsidiären Schutz“ gewährte – üblich bei Menschen aus dem vom Krieg erschütterten Syrien.

    Nun, acht Monate danach, beging er mutmaßlich den tödlichen Anschlag auf dem „Festival der Vielfalt“ in Solingen. Am Samstag Abend verlautbarte dann die „Nachrichtenagentur“ Amaq, die der islamisch-fundamentalistischen Organisation Islamischer Staat (IS) nahesteht, dass es sich um einen IS-„Kämpfer“ gehandelt habe. Dieser habe durch seinen Angriff auf die „christlichen Gemeinde“ in Solingen „Muslime in Palästina und überall“ rächen wollen. Der Islamische Staat spielte bislang im Kampf der Palästinenser:innen für nationale Selbstbestimmung keine relevante Rolle.

    Ob der Täter tatsächlich bisher mit dem IS in Verbindung stand, ist noch nicht vollständig gesichert. Von Amaq wurden keinerlei anderweitige, nicht-öffentliche Informationen verbreitet. Dennoch ermittelt mittlerweile der Generalbundesanwalt gegen al-H. wegen „Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung“. Der Festgenommene wurde bereits nach Karlsruhe überführt – publik gemacht inklusive Bildern, wie er barfuß und gebückt von Spezialeinheiten begleitet wird.

    Faschist:innen mobilisieren – Linke auch

    Rechte Kräfte versuchen derweil, die Angriffe für sich zu nutzen: Für Sonntag um 18 Uhr haben die AfD-Jugendorganisation Junge Alternative sowie die neofaschistische Partei Die Heimat zu einer Kundgebung vor der Geflüchtetenunterkunft in Solingen aufgerufen, in der Issa al-H. gewohnt haben soll. Auch am Montag wollen Rechte dort protestieren.

    Auch linke Kräfte mobilisieren aus ganz Nordrhein-Westfalen nach Solingen: So ruft etwa die Föderation Klassenkämpferischer Organisationen (FKO) zu Anreisen aus Köln, Essen, Wuppertal und Düsseldorf auf. Man wolle gedenken und gegen „rechte Hetze und islamischen Fundamentalismus“ protestieren. Auch in anderen Städten werden kurzfristig politische Gedenk-Aktionen organisiert.

    In einer Erklärung des Dachverbands verschiedener klassenkämpferischer Organisationen FKO heißt es:

    „Auf der ganzen Welt stellen sich fortschrittliche Kräfte gegen den islamischen Fundamentalismus: Ob im Iran, wo sie gegen das faschistische Regime mit Streiks und Massenprotesten vorgehen, oder in Rojava/Nordsyrien, wo die Volksverteidigungseinheiten YPG/YPJ im Zusammenschluss mit kommunistischen Kräften seit über einem Jahrzehnt den ‚Islamischen Staat‘ bewaffnet bekämpfen.“

    Auch in Deutschland müsse man sich deshalb als linke Kräfte gegen den Einfluss des religiösen Fundamentalismus stellen: „Seine Attacken treffen in erster Linie unsere Klassengeschwister und versuchen Spaltung in unseren Reihen zu sähen – dem müssen wir uns klar entgegenstellen!“.

    Deutschland verfolgt Anti-IS-KämpferInnen

    Gegen rechte Hetze

    Zugleich müsse man sich klar gegen rechte Hetzer:innen in Deutschland positionieren. Diese würden „millionenfache Abschiebung“ fordern und pauschal gegen Geflüchtete polemisieren. „Dabei sind große Teile der Menschen aus Syrien gerade hier in Deutschland, weil sie selbst vor dem ‚IS‘ geflohen sind!“, heißt es in der Erklärung.

    Um ein wirkliches Verständnis dieser Zusammenhänge gehe es den Rechten nicht. „Sie versuchen, uns einfache Lösungen zu verkaufen, doch lösen tun sie gar nichts. Vielmehr sind sie selber die größte Gefahr.“ Das zeige sich nicht nur bei dem faschistischen Brandanschlag in Solingen von 1993. „Heute bereiten sich die Faschisten wieder darauf vor, in großem Stil zu verfolgen und zu vertreiben. Und während die Milliardäre in Deutschland in keinem Fall ein ‚Kalifat‘ zulassen würden, schlagen sich Teile der Bonzen sehr wohl offen auf die Seite der AfD-Faschisten und ihrer ‚wohltemperierten Grausamkeit‘”, so die FKO.

    Esken und Merz fordern Abschiebungen nach Syrien

    Derweil konzentrieren sich sowohl Ampel als auch Opposition darauf, Sicherheit durch Abschiebungen zu suggerieren. So erklärte SPD-Vorsitzende Saskia Esken – sie wird dem „linken” Flügel zugerechnet –, dass es eine „konsequente Abschiebung von Straftätern und islamistischen Gefährdern auch nach Syrien und Afghanistan” geben müsse. CDU-Chef Friedrich Merz fordert unterdessen nicht nur Abschiebungen, sondern einen grundsätzlichen Aufnahme-Stopp von Menschen aus beiden Ländern. In Afghanistan war die Bundeswehr zwei Jahrzehnte im Einsatz, im Syrienkrieg ist sie Kollaborateur der türkischen Regierung, die gegen die Volksverteidigungseinheiten YPG/YPJ vorgeht.

    Laut FKO wären auch dies nur Scheinlösungen: „Islamischer Fundamentalismus und westlicher Faschismus haben beide ihre Wurzeln in diesem verkommenen kapitalistisch-patriarchalen System”. Nur eine grundsätzliche gesellschaftliche Alternative könne dies verändern – „die Perspektive einer neuen Gesellschaft und gemeinschaftlichen Kultur, in der Schluss ist mit imperialistischer Ausbeutung oder Unterdrückung aufgrund von Herkunft oder Geschlecht. Einer Gesellschaft, in der wir alle reaktionären Ideologien zurückdrängen können, die in unserer kapitalistischen Konkurrenzgesellschaft entstehen”, so die FKO.

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