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Sonntag, Oktober 6, 2024
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    Apsilons „Haut wie Pelz“: Über Ohnmacht, Weltschmerz und Frieden

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    Apsilon bleibt weiter unbequem und das nun endlich auch auf Albumlänge. Der 27-jährige Arda ist „Lost in Berlin“ und lädt uns Hörer:innen ein auf eine Reise ins Kaltland, zwischen Hochhausdächern und Selbstzweifeln. – Ein Kommentar von Marius Fiori und Nick Svinets.

    Der Moabiter Rapper Apsilon oder Arda – so heißt Apsilon eigentlich mit bürgerlichem Vornamen – hat am 4. Oktober sein lang erwartetes Debütalbum „Haut wie Pelz“ veröffentlicht. Von keinem Geringeren produziert als seinem leiblichen Bruder Arman und dem Komponisten Ralph Heidel, findet mit ihm nicht nur eine inhaltliche Weiterentwicklung von Apsilon statt, sondern auch eine immense musikalische. Neben bekannten basslastigen Trap-Sounds und tiefgründigen Rap-Balladen findet auch die bereits im Vorhinein als Single veröffentlichte Pop-Hymne „Grau“ mit Feature-Gast Paula Hartmann ihren perfekten Platz auf der LP. Das Album erschien beim Label „Four Music“.

    „Haut wie Pelz“ lässt sich hören wie eine logische Konsequenz, die auf die im Jahr 2022 erschienene „Gast“-EP, die nächste EP „32 Zähne“ und schließlich auf die 2023 ausgekoppelte EP mit dem Namen „Blei“ folgt. Aller guten Dinge sind bekanntermaßen drei – und das jetzt erschienen Album die Krönung in der bisherigen Diskographie des jungen Berliners. Zentrale Themen von Apsilons Musik bleiben Rassismus, Migrations- und seine Familiengeschichte und der Klassenkampf. Die Lebenswelt von Arda, die oft zum Gegenstand seiner Musik wird, erfährt aber eine enorme Erweiterung.

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    Bei Kälte braucht man eine „Haut wie Pelz“

    Denn die vorangestellte Frage, deren exakte Antwort im Albumtitel aufgeht, lautet: Wie kann man frei in einem Land existieren, in dem man selbst bereits in dritter Generation als Migrant lebt und sich trotzdem nicht willkommen fühlt? In einem Staat, in dem „mein Nachbar keine Menschen/ sondern nur sein Land liebt“? (Song „Koffer”)

    Wie lautet also die unkryptische Antwort auf die Frage: „Wie soll’n man sich lieben lern’n/ Wenn man täglich Hass bekommt?“ (Song „Kopf im Nacken”)

    Richtig, man legt sich eine Schutzschicht zu – eine „Haut wie Pelz“. Eine Haut, welche den Rassismus und entgegengebrachten Hass genauso in sich aufnimmt und zur Stärkung nutzt wie den eigenen Hass.

    Die Ohnmacht wächst

    Bildgewaltig und poetisch erzählt Arda von oben genannten Kernthemen; immer wiederkehrende Motive werden zu Leitfäden des Albums. Besonders ins Auge fällt dabei der Begriff der Ohnmacht angesichts des wachsenden Rassismus und des Erstarkens menschenfeindlicher Werte in den letzten Jahren.

    In der Ballade „Koffer“ widmet sich Apsilon indirekt dem Schicksal seines verstorbenen Großonkels Bekir G., der im November 1998 in seinem Taxi von einem deutschen Fahrgast aus rassistischen Beweggründen ermordet wurde. Im Video wird die Tat nachgestellt, während sich Apsilon singend im Hintergrund fragt: „Wenn wieder die Sonne fehlt, fragen wir uns: ‚Solln wir gehen?’“ (Song „Koffer”).

    Die ausgedrückte Fremdheit und das Nicht-willkommen-Sein droht also in die weniger freiwillige Überlegung umzuschlagen, besser auszureisen – oder abgeschoben zu werden. Das ist aber alles andere als leicht getan, denn „in ein’n Koffer passt kein Leben/ In ein’n Koffer passt nicht meine Welt.“ (Song „Koffer”)

    In dem letzten Lied „Outro“ erzählt Apsilon dann seine Familien- und Migrationsgeschichte: Angefangen bei seinem Großvater, der vor 50 Jahren nach Deutschland kam und seiner Oma, die ihm ungefragt folgen musste – endend bei vollen Konzerthallen und Ardas stolzer Mama. Apsilon gibt sich aber keineswegs der Romantik einer neoliberalen migrantischen Aufstiegsgeschichte hin – er betont: „Jeder Stern hat leider sein’n Preis“.

    Im Refrain wird ausgeführt: „wir hab’n nichts verlor’n hier“, was die später noch thematisierte Nicht-Zugehörigkeit darstellt. Auf der anderen Seite wird direkt danach im Liedtext betont: „Aber hab keine Sorge/ Nichts zu verlieren’ auf die Ruin’n scheint die Sonne.” Dies lässt zumindest einen kleinen Funken Hoffnung erkennen, allen Widrigkeiten in der Lebensgeschichte von Ardas Familie zum Trotz: Selbst, wenn alles in sich einstürzt und lediglich Ruinen übrig geblieben sind, werden diese noch von der Sonne in ihr Licht getaucht.

    Weltschmerz durch Kriege und Krisen

    Inhaltlich anschließend handelt auch der Song „Lost in Berlin“ neben Machtlosigkeit und dem Verloren-Sein in der überreizenden Großstadtwelt von einer Art Weltschmerz: Arda „hör[t], wie weit entfernt der Tod aus Wolken fällt auf kleine Herzen“. Auch wenn er sich eigentlich vorgenommen hatte, solcherlei Krisen nicht zu nah an sich heranzulassen, muss er feststellen, dass es sich dabei keineswegs um ein leichtes Vorhaben handelt.

    Schwer macht ihm das die deutsche Außenpolitik, durch die an den europäischen Außengrenzen fast täglich Menschen sterben. Allein im Jahr 2023 sind mindestens 2.500 Menschen im Mittelmeer ertrunken – Arda „hör[t] das Mittеlmeer atmen und die Wellе schluckt ein’n Mensch“. Das Ganze wird seit diesem Sommer durch die GEAS-Reform verstärkt, die faktisch das Recht auf Asyl abschafft.

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    Obwohl Apsilon es nicht direkt sagt, sollte man bei seiner Anfang Juni veröffentlichten Single die politischen und medialen Einflüsse berücksichtigen. Möglicherweise haben die israelische Offensive in Rafah und die Bombardierungen von Geflüchteten-Camps in Südgaza dazu beigetragen. Arda äußerte sich damals auf Instagram zu den Ereignissen und kritisierte diejenigen, die zum Schweigen neigen, während palästinensische Kinder und Zivilist:innen sterben.

    Klarkommen statt weißer Weste

    Der dritte Track „Kopf im Nacken“ präsentiert einen Gegenentwurf: Statt Romantik wird auf Solidarität in der eigenen Bezugsgruppe gepocht. Der für Apsilon ungewöhnlich gewählte Drill-Beat (Hip-Hop Subgenre, oftmals gekennzeichnet durch recht schnelle düstere und aggressive Beats) erzeugt eine drängende Stimmung, die zum Bild passt:

    Apsilon und seine Jungs, Rauch in der Lunge, eine Fahrt durch den Tiergarten-Tunnel im geleasten „Beamer“ (BMW). – Die trotzige „Uns doch egal“-Attitüde ist eine andere Form der Antwort auf den alltäglichen Frust im Leben der jungen Migranten, ausgelöst durch systemische Ungleichheiten, die ihre Wurzeln im Kapitalismus haben.

    Jeder in Apsilons Freundesgruppe „Will nicht als ‘ne scheiß Statistik/ Auf Zeitungspapier enden“, sie haben kein Interesse an einer „weißen Weste“. Es wird eindrucksvoll dargestellt, was das gegenwärtige System aus ihnen macht, aber auch, was sie mit dem System machen. Mit scheinbarer Leichtigkeit sind „(die) Augen weit geschlossen, guck, wir grinsen im Blitzer/ Fotogen, auch wenn die Welt uns verschluckt“.

    Mit diesem Song präsentiert Apsilon, wie man sich zumindest ein stückweit aus der Machtlosigkeit herausholen kann, mit guten Freunden, geteilten Schicksalen und der richtigen Haltung.

    Im Pop-Hit „Grau“ mit Paula Hartmann findet dann ein Perspektivwechsel statt, der auch im Video so dargestellt wird: Die Hörer:innen machen eine Zeitreise in das Bewusstsein Ardas im frühen Pubertätsalter: die erste Liebe, das erste Bemerken von systemischen Ungleichheiten und Hass im grauen kalten Deutschland. In diesem Lied ist das Dach des Parkdecks im eigenen Wohnblock der Ort der Begierde: „Hier hat Gott nicht mit Beton gegeizt“. Hier schaffen es der junge Arda und im Video ein junges Mädchen, sich über den grauen Alltag gemeinsam zu erheben, einen neuen Blickwinkel zu erlangen und auf das Chaos gemeinsam hinunterzublicken.

    Rassistisches Raubtier-Image

    „So leicht“ lautet der Titel des fünften Lieds auf dem Album. Auch als Single bereits veröffentlicht, markiert es eine inhaltliche Bruchstelle des Albums: weg vom „Was ist gerade los?“ hin zu „Wie kommst du damit klar?“. „So leicht“ ist höchst selbstreflektierend und wahrscheinlich der ehrlichste Track auf dem gesamten Album. Der Dualismus zwischen gegebener Liebe anderen Menschen gegenüber und der Unfähigkeit, sich selbst zu lieben, zieht sich durch das gesamte Lied. Apsilon „will wissen, wie’s sich anfühlt/ wenn man sich selbst anguckt und liebt“.

    „Haut wie Pelz“ ist das Titellied des Albums. So lässt sich dieses auch hören und verstehen, denn es fasst die Kerngedanken des Albums prägnant zusammen: Das Motiv der Haut unter der eigenen wird nochmal breiter verwendet. Auch ein Rückbezug zu „So leicht“ findet statt, denn Apsilon gibt zu: „Alles geht unter die Haut/ Ich muss noch lern’, wie man lebt in meiner Haut.“

    Er muss nämlich feststellen, dass es irrelevant ist, wie sehr er versucht, sich selbst von seinem inneren Hass abzuschirmen: „Egal wie fest ich drück’, am Ende geht sie wieder auf.“ Da hilft dann auch keine „regenfeste Haut“ – denn sie kann nur abperlen lassen, was auch von außen kommt. Arda ist sich dessen bewusst, dass es nicht die gesündeste Angewohnheit ist, mit mentalen Widrigkeiten fertig zu werden – er „weiß doch auch, dass das gefährlich ist.“

    Im zweiten Teil des Liedes widmet sich Apsilon dem äußeren Hass, der ihm und seinen migrantischen Brüdern und Schwestern tagtäglich entgegen schlägt. Denn der auf der Haut abgelagerte Hass, der sich über Jahrzehnte in der postmigrantischen Community Deutschlands anstaut, den sie laut Arda alle auf sich tragen, wird in der normativen deutschen Gesellschaftsordnung als gefährlich angesehen – ohne zu reflektieren, dass sie vermutlich selbst dafür verantwortlich ist.

    Das rassistische Narrativ des wütenden, außer Kontrolle geratenen Migranten wird hier als ein Brückenschlag verwendet: „Ihr tut so, als ob wir Raubtiere wär’n / vielleicht fühlt sich deshalb meine Haut an wie Pelz.“ Das Raubtier-Image im durch Erfahrung gewachsenen Fremdenhass-Pelz wird im weiteren Verlauf des Lieds übernommen und auch erlebt. – Ganz im Stile des Deutschrap-Urgesteins Haftbefehl: „ja, ich fick’ deine Integration“.

    Diese Attitüde wird im Lied „Brustumfang“ noch einmal verdeutlicht: Auf einen scheppernd-basslastigen Beat, der an einen seiner ersten Tracks „Köfte“ erinnert, macht Apsilon klar, wieso er eine Aversion gegenüber dem deutschen Staat hegt: Vor allem, „wenn ich mit den Jungs bin“, gibt’s „nur ein’n Finger für Vater Staat“ und „blaue Hunde bell’n im Bundestag“.

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    Befreiung statt symbolischem Frieden

    „Friedensnobelpreis“ schließlich handelt von der Realität im Block. Die Antwort auf die Auswirkungen des Systems, die sie tagtäglich verspüren, ist, dass sie „kein’n Friedensnobelpreis [wollen]/ [sie] woll’n nur Frieden am Block“. Der Song zeigt den Kampf der arbeitenden Klasse, die in diesem System vor lauter Ausbeutung an den Rand gedrängt wird.

    Arda und seine Brüder und Schwestern symbolisieren die unterdrückte Klasse, die keinen symbolischen Frieden wie den Friedensnobelpreis anstrebt, sondern reale Verbesserungen ihrer Lebensbedingungen will. Gleichzeitig ist die Kernaussage des Textes eine harsche Kritik am kapitalistischen Verständnis von Frieden, der scheinbar existiert, während die herrschende Klasse die beherrschte bekämpft. Doch wie auch schon der Revolutionär Kwame Ture der Black Panther Party in den USA sagte: „Es gibt einen Unterschied zwischen Frieden und Befreiung.“

    • Perspektive-Autor seit 2024 und Politikwissenschaftsstudent mit Fokus auf Westasien & Sahelzone, Migration, Antirassismus, Antimilitarismus und internationale Klassenkämpfe.

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