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Dienstag, Oktober 1, 2024
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    Israelische Angriffe auf Libanon halten an – Iran im Zwiespalt

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    Nach der Tötung des Hisbollah-Führers Nasrallah halten die Bombardierungen auf den Süden Libanons weiter an. Die iranische Führung ist uneins in ihrer Reaktion. Die USA wollen eine Eskalation zwar vermeiden, erwägen jedoch eine Truppenverlagerung nach Westasien.

    Im Krieg zwischen der libanesischen Hisbollah und Israel wurde der Generalsekretär der Hisbollah, Hassan Nasrallah, getötet. Die israelische Armee erklärte, Nasrallah am Freitag vergangener Woche in dem Hauptquartier der Hisbollah in einem Vororts Beiruts mit „bunkerbrechenden“ Bomben getötet zu haben. Dabei wurden auch Gebäude in der Nähe des Hauptquartiers beschädigt.

    Solche Bomben dürfen laut Genfer Konvention nicht in eng besiedelten Gebieten eingesetzt werden, was das Vorgehen Israels in Bezug auf Hisbollah-Führer Nasrallah auch nach UN-Richtlinien völkerrechtswidrig macht. Die libanesische Regierung hat in Reaktion auf den Tod Nasrallahs eine dreitägige Staatstrauer angeordnet, die am Montag beginnen wird.

    Anhaltende Angriffe durch Israel

    Am Freitagabend haben die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) mehr als 140 Ziele im Libanon bombardiert, wobei auch Wohnhäuser getroffen wurden. Dabei wurden allein am Freitag sechs Wohngebäude zerstört, sechs Menschen getötet und über 91 Menschen verletzt. Auch am Samstag hat das israelische Militär den Süden Libanons bombardiert, wobei mindestens 33 Menschen getötet wurden. Am Sonntag wurde zudem bekannt, dass Israel eine weitere Führungspersönlichkeit der Hisbollah, Nabil Kaouk, getötet hat. Der Tod wurde noch nicht durch die Hisbollah bestätigt.

    Nach Angaben der UN hat Israel seit Montag vergangener Woche mindestens 700 Menschen im Libanon getötet, und über 50.000 Menschen sind seitdem aus dem Libanon nach Syrien geflohen. Insgesamt sind es damit bisher über 200.000 libanesische Geflüchtete, die seit der Intensivierung des Krieges zwischen Israel und der Hisbollah im Oktober 2023 ihre Heimat aus Angst um ihr Leben verlassen haben.

    Wem gilt unsere Solidarität im Krieg zwischen Israel und der Hisbollah?

    Reaktion der Hisbollah

    Hassan Nasrallah war seit 1992 Führer der libanesischen Hisbollah und die bei weitestem mächtigste Person der Miliz, die Israel in den Wochen der verstärkten Kämpfe mit der Hisbollah getötet hat. Nasrallahs Ansehen im Libanon war nach dem Sprengstoffanschlag auf den Ex-Ministerpräsidenten Libanons und Unternehmer Rafaq Al-Hariri im Februar 2005 auf einen Tiefpunkt gesunken. Neben Hariri kamen damals noch 22 weitere Menschen ums Leben, und über 100 Menschen wurden verletzt. Auch im Rest Westasiens war Nasrallah wegen seiner Unterstützung des Assad-Regimes in Syrien umstritten.

    Die Hisbollah kündigte als Reaktion auf den Tod Nasrallahs an, die Unterstützung der Palästinenser:innen und die Verteidigung des Libanons fortzuführen. Wer Nachfolger für Nasrallah wird, ist bisher noch unklar. Zwei Hisbollah-Mitglieder stehen als mögliche Nachfolger für den getöteten Nasrallah zur Wahl: Naim Qassem, der stellvertretende Generalsekretär der Hisbollah, und Hashem Safieddine, ein Cousin Nasrallahs, der derzeit den Exekutivrat der Organisation leitet.

    Die Hisbollah: Welche Rolle spielt sie in Westasien?

    Derweil hat Israel in einer Presseerklärung angekündigt, alle Stellvertreter Nasrallahs und die militärische und politische Führung sowie mittleren und unteren Kommandeure der Hisbollah töten zu wollen. Die Hisbollah solle zudem nicht an neue Waffen gelangen: Man wolle nicht nur verhindern, dass sich die Hisbollah von den Angriffen Israels erholen kann, sondern wolle die Organisation als Ganzes auslöschen.

    Die libanesische Regierung hingegen schließt auch nach der Ermordung Nasrallahs einen Waffenstillstand mit Israel nicht aus und möchte sich weiter diplomatisch um ihn bemühen: „Es ist sicher, dass die libanesische Regierung einen Waffenstillstand will, und jeder weiß, dass Netanjahu unter der Prämisse eines Waffenstillstands nach New York gereist ist, aber die Entscheidung wurde getroffen, Nasrallah zu ermorden“, sagte der libanesische Informationsminister Ziad Makary.

    Iran im Zwiespalt

    Nasrallah galt als enger Verbündeter der iranischen Regierung und Teil der „Achse des Widerstands“ des Iran. Dieser hatte die Hisbollah die letzten vier Jahrzehnte als wichtigsten Arm seines Stellvertreter-Netzes gefördert. Doch nachdem Israel durch den Pager-Angriff und die Ermordung der wichtigsten Führungspersönlichkeiten der Hisbollah demonstrativ seine Stärke unter Beweis stellte, ist sich die iranische Regierung uneins: Ein Teil plädiert für eine energische Reaktion, während die Gemäßigten unter der Führung des neuen iranischen Präsidenten Masoud Pezeshkian zur Zurückhaltung aufrufen.

    Die Islamischen Revolutionsgarde (IRGC) bestätigte am Sonntag unterdessen, dass Abbas Nilforoushan, der Brigadegeneral und stellvertretende Befehlshaber der iranischen Elitetruppen für Operationen, sich mit Nasrallah zusammen im Bunker befand, als die israelischen Bomben einschlugen und an seiner Seite Nasrallah getötet wurde.

    All dies hat den Iran und seine obersten Führer in eine verwundbare Lage gebracht. Das Überleben der Hisbollah ist für den Iran zwar essentiell, jedoch sieht es bisher nicht nach einem Kriegseintritt des Iran aus: Irans oberster Führer und geistliches Oberhaupt, Ayatollah Ali Khamenei, gab zwei zurückhaltende Erklärungen ab, in denen er Nasrallah als führende Persönlichkeit in der muslimischen Welt und der „Achse des Widerstands“ lobte und erklärte, dass der Iran der Hisbollah zur Seite stehen werde. Jedoch sei es primär die Hisbollah, die bei einer Reaktion auf Israel die Führung übernehme – der Iran solle lediglich eine unterstützende Rolle spielen.

    Auch zwei Mitglieder der Revolutionsgarde – darunter ein Stratege, der in den vergangenen Tagen an Planungsgesprächen darüber teilgenommen hatte, wie der Iran reagieren sollte – sagten zudem in Interviews, dass die unmittelbare Priorität des Iran darin bestehe, der Hisbollah wieder auf die Beine zu helfen, einen Nachfolger für Nasrallah zu benennen, eine neue Kommandostruktur aufzubauen und wieder ein sicheres Kommunikationsnetz herzustellen.

    USA erwägt Truppenverschiebung

    Die USA hatten sich in den Tagen vor dem Angriff auf Nasrallah um einen 21-tägigen Waffenstillstand zwischen Israel und der Hisbollah bemüht. Teile der Biden-Regierung fühlten sich durch die Tötung des Hisbollah-Führers deshalb quasi überrumpelt, da ein Waffenstillstand in Reichweite gewesen sei, so Regierungsmitglieder. Dennoch bedeute laut US-Präsident Biden die Tötung Nasrallahs „ein gewisses Maß an Gerechtigkeit für seine vielen Opfer, darunter Tausende von Amerikanern, Israelis und libanesischen Zivilisten“. Obwohl die USA weiterhin Israel anhält, eine diplomatische Lösung zu finden, prüft das US-amerikanische Pentagon zurzeit auch Möglichkeiten, seine Truppen und Ausrüstung in Westasien aufzustocken.

    Da die Tötung des Hisbollah-Führers Nasrallah der Tötung eines Staatschefs gleichkommt, besteht derzeit eine hohe Eskalationsgefahr im Krieg zwischen Israel und der Hisbollah: In vielerlei Hinsicht hat sich mit der Ermordung Nasrallahs die jahrelange Konfrontation zwischen dem Iran und seinen Stellvertretern auf der einen und Israel auf der anderen Seite zugespitzt.

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