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Sonntag, April 28, 2024
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    Regierung will für 2023 “Notlage” ausrufen – während im Hintergrund Kürzungen vorbereitet werden

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    Am Dienstag hielt Kanzler Olaf Scholz eine mit Spannung erwartete Rede zur Haushaltslage vor dem Bundestag. Wie zu erwarten war, soll nachträglich eine “Notlage” für 2023 definiert werden, um die bereits getätigten Staatsausgaben abzusichern. Doch was sagt der Kanzler dazu, was uns in 2024 erwartet? – Ein Kommentar von Julius Strupp.

    „Alles nix Konkretes“ – so könnte man die Regierungserklärung zusammenfassen, die am Dienstag von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Bundestag verlesen wurde. Die Rede war in den Medien mit Spannung erwartet worden. Umso schneller wurden diese enttäuscht: „Kein konkreter Fahrplan“ titelte etwa die Tagesschau in einer Analyse, „Scholz enttäuscht“ die Frankfurter Rundschau.

    Der Kanzler versuchte in seiner Rede, die kriselnde Gesamtsituation herunterzuspielen und verwandte vor allem Zeit darauf, die Haushaltspolitik der Bundesregierung zu rechtfertigen. Erwartet wurden aber wohl vor allem konkrete Ankündigungen zum weiteren Verfahren in der “Haushaltsdebatte 2024” – die Scholz jedoch vermissen ließ.

    Verfassungsgericht stürzte Regierung in Haushaltskrise

    Vor zwei Wochen hatte das Bundesverfassungsgericht ein für die Regierung heftiges Urteil gefällt: nämlich dass die Ampel-Regierung nicht einfach die im Rahmen der Pandemie-“Notlage” im Jahr 2020 aufgenommenen Kredite in den Klima- und Transformationsfonds (KTF) verschieben durfte – um dieses Geld erst jetzt 2023 und 2024 zu verwenden.

    Das führt zu massiven Problemen für die Ampel-Regierung: sowohl für den noch laufenden Haushalt 2023, als auch für alle kommenden Jahre.

    Im Jahr 2023 waren aus diesem Fonds bereits 35 Milliarden Euro ausgegeben worden. Für das Jahr 2024 waren weitere 57 Milliarden Euro eingeplant, unter anderem, um große Konzerne dabei zu subventionieren, den Umbau der deutschen Wirtschaft auf größere strategische Eigenständigkeit hin zu organisieren. Bis 2027 sollten mit diesem Fonds insgesamt rund 212 Mrd. Euro ausgegeben werden.

    Sowohl die Ausgaben für 2023 sind nach dem Urteil nun genauso unzulässig wie alle weiteren geplanten Ausgaben aus dem Fonds.

    Mit dem Richterspruch stehen auch andere Bestandteile der Schatten-Haushaltspolitik in Frage. Denn durch das Urteil aus Karlsruhe könnten auch die vielen Milliarden aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF Energie) für nichtig erklärt werden. Dieser wurde aufgrund der Energiekrise im Jahr 2022 aufgesetzt und ist ähnlich wie der KTF gestrickt. Aus diesem Fonds wurden jedoch nicht nur 2002, sondern auch 2023 bereits knapp 38 Milliarden Euro – vor allem für die Verstaatlichung von Uniper und für die “Energiepreisbremsen” ausgegeben. Für 2024 sind noch weitere 10 Milliarden Euro an Ausgaben geplant.

    Christian Lindner hat deshalb schon einmal angekündigt, die Energiepreisbremse zum Jahresende auslaufen zu lassen – wofür er auch in Scholz’ Rede Rückendeckung erhielt.

    Haushaltskrise: Lindner will Energiepreisbremse zum Jahresende streichen

    Regierung versucht, Haushalt 2023 nachträglich abzusichern

    Weil sowohl WSF als auch KTF in dieser Form in Frage stehen, hat die Regierung dieses Jahr also vermutlich bereits 73 Milliarden Euro mehr Schulden gemacht, als sie eigentlich durfte!

    Das liegt daran, dass in Deutschland die sogenannte “Schuldenbremse” gilt. Laut ihr dürfen jährlich Schulden in Höhe von maximal 0,35% des Bruttoinlandsprodukts aufgenommen werden. Dies wurde 2009 ins Grundgesetz geschrieben. Eine Ausnahme von dieser Regel gibt es nur, wenn eine “Notlage” besteht.

    Weil die bisherige Praxis der Schattenhaushalte kassiert wurde, bleibt dieses Jahr der Regierung also nur die Möglichkeit, tatsächlich rückwirkend für 2023 eine “Notlage” erklären zu lassen. Laut Regierungserklärung sei das begründbar, um den Herausforderungen der Zeit zu begegnen. Scholz nennt hier immer wieder den Ukraine-Krieg, die Corona-Pandemie, die Ahrtal-Flut sowie die Klimakrise. Mit der nachträglichen Ausrufung der “Notlage” wird nun versucht, die Haushaltspolitik für 2023 rückwirkend abzusichern. D.h. die Schulden, die sonst über KTF und WSF aufgenommen wurden, sollen nun als “reguläre” Schulden in Höhe von 45 Milliarden Euro über einen einen “Nachtragshaushalt 2023” verbucht und durch die Ausnahme von der Schuldenregelung nachträglich abgesichert werden.

    Stopft die Bundesregierung das Loch im Bundeshaushalt mit Sozialkürzungen?

    Wie geht es 2024 weiter?

    Während die Regierung mit nachträglicher “Notlagen”-Definition versucht, den Haushalt für das Jahr 2023 noch zu retten, ist derweil unklar, wie es 2024 weitergeht.

    Soll wieder eine “Notlage” erklärt werden? Doch auf Basis welcher Umstände? Die Pandemie liegt dann vier Jahre, die Ahr-Krise drei Jahre, die Eskalation im Ukraine-Krieg zwei Jahre zurück. Die Gefahr, dass solch eine Ausweitung des Notlage-Begriffs vom Verfassungsgericht kassiert wird, ist groß.

    Aus diesem Grund werden derzeit weitere Möglichkeiten diskutiert.

    Ein Schritt wäre eine Reform der Schuldenbremse. Z.B. könnte hier der Anteil an Schulden, der gemacht werden “darf”, erhöht werden. Jedoch pochen CDU und FDP – zumindest nach außen hin – noch auf Einhaltung der Schuldenbremse. CDU-Chef Merz tat dies auch wiederholt in der Bundestagsdebatte. Deren Einhaltung im kommenden Jahr würde aber mit massivsten Einschnitten für viele Arbeiter:innen einhergehen, sofern man an den Investitionen in Chipindustrie, Erneuerbare Energien und in die Bundeswehr festhält. Denn die für das kommende Jahre eigentlich geplanten Ausgaben von 57 Milliarden Euro spart man nicht mal eben so ein! Deshalb mehren sich auch hier durchaus Stimmen bei CDU und FDP, die sich offen für eine Reform der Schuldenbremse zeigen.

    Große Teile von SPD und Grüne sind ebenfalls dafür und wollen zudem “weitermachen” wie bisher. Damit sprechen sie aber gleichzeitig den anderen Teil der Wahrheit aus: “Ohne Kredite können wir nicht bestehen.”

    Eine weitere Möglichkeit, sich an der Schuldenbremse vorbei zu mogeln, wäre, Kredite über “Sondervermögen” aufzunehmen – die in Wahrheit gar keine “Vermögen” darstellen, weil sie eben Schulden sind. So geschah es etwa beim 100 Milliarden-schweren “Sondervermögen Bundeswehr”, das im Grundgesetz verankert wurde.

    Doch sowohl für eine Änderung der “Schuldenbremse”, als auch für ein “Sondervermögen” würde die Regierung eine 2/3-Mehrheit im Bundestag benötigen, die sie nur zusammen mit der CDU hätte.

    Was derweil gar nicht von der Politik in die Debatte eingebracht wird, ist, die Reichen zur Kasse zu Bitten, etwa durch eine Vermögens- oder Erbschaftssteuer.

    Kürzungen?

    Woher die fehlenden 57 Milliarden also kommen sollen? – Dazu sagt Scholz praktisch nichts. Neben seinen Beruhigungspillen hielt er sich bedeckt. Empfänger:innen staatlicher Leistungen müssten jedoch keine Angst um ihre Bezüge haben. Es müsse 2024 aber auch “gestrichen” werden, erklärte er.

    Dabei hat er seine Prioritäten, wo dies nicht passieren soll, klargestellt: Die Umstrukturierung der deutschen Wirtschaft, die Aufrüstung, die Militärhilfen für die Ukraine. Das Ziel sei, “wettbewerbsfähig” mit anderen mächtigen, kapitalistischen Ländern zu bleiben. Der Kanzler nannte dabei explizit die USA, Frankreich und China. Scholz spricht wiederholt davon, man wolle das Land „modernisieren“. „Ich will, dass Deutschland ganz vorne mit dabei ist“, so der Kanzler.

    CDU und AfD, die die Regierung in den letzten Monaten mehr und mehr vor sich her treiben, schienen dabei in ihren Reden auszusprechen, was Scholz sich nicht traute: Der Rotstift müsse “beim Sozialstaat” angelegt werden. So hetzten beide Parteien explizit gegen das sogenannte „Bürgergeld“. CDU-Fraktionschef Friedrich Merz argumentierte, “Arbeit müsse sich wieder lohnen”, AfD-Vorsitzende Alice Weidel sprach von einem „Migrantengeld“. Dabei betonten beide Parteien vor allem den von der Ampel-Regierung begangenen Verfassungsbruch.

    Doch wo soll das Geld für all die Aufrüstung, für den imperialistischen Wettkampf mit den USA und China herkommen? Und wie soll es in den Bundesländern weitergehen, die mit ähnlichen Tricks wie die Ampel-Regierung arbeiten, auch wenn dort die CDU mitregiert? Hier wird sich vermutlich auch die CDU bewegen müssen.

    Wie geht es nun weiter?

    Die finale Abstimmung im Haushaltsausschuss zum Haushalt 2024 wurde bereits vor einer Woche abgesagt, wobei vorerst kein Ersatztermin angesetzt wurde. In den nächsten Wochen dürften also all die genannten Fragen in intensiven Neuverhandlungen debattiert werden.

    Welche Zumutungen uns hier bevorstehen, hat Scholz am Dienstag noch nicht angekündigt. Das wird gerade hinter verschlossenen Türen und vermutlich auch mit der CDU ausgehandelt.

    Klar ist: Eine Lösung, bei der die nun “verlorenen” Kredite ohne Sozialkürzungen woanders hergezaubert werden, ist höchst unwahrscheinlich. Der Notstand der Regierung dürfte also wieder von den Armen und Ärmsten gezahlt werden.

    • Autor bei Perspektive seit 2019, Redakteur seit 2022. Studiert in Berlin und schreibt gegen den deutschen Militarismus. Eishockey-Fan und Hundeliebhaber. Motto: "Für alles Reaktionäre gilt, dass es nicht fällt, wenn man es nicht niederschlägt."

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