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Donnerstag, Mai 2, 2024
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    Ein Jahr Kriegsminister

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    Seit einem Jahr haben wir einen neuen Verteidigungsminister: Boris Pistorius. Um den aktuellen militaristischen Plänen der Regierung gerecht zu werden, müssten Veränderungen in der Bundeswehr voran getrieben werden. Ist er den Anforderungen der Kriegsfans gerecht geworden? – Ein Blick auf sein erstes Amtsjahr. – Von Vinzent Kassel.

    16.01.2023: Die Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht verkündet ihren Rücktritt. Insgesamt besetzte sie das Amt etwas mehr als ein Jahr. Dreizehn Monate voller Fettnäpfchen gingen zu Ende. In Erinnerung bleiben die bereitgestellten 5.000 Helme für die Ukraine, ihr Skiurlaub in Ischgl und ein Helikopter-Ausflug mit ihrem Sohn.

    Das alles in Zeiten, in denen das Verteidigungsministerium gefragt war wie selten. Es herrschte Kriegsstimmung in den Regierungspalästen und Konzernetagen in Europa und so wurden die Rufe nach einer fähigen Verteidigungsminister:in von dort aus laut.

    Drei Tage nach dem Ausscheiden von Lambrecht wurde ihr Nachfolger vereidigt. Boris Pistorius, seines Zeichens bisheriger Innenminister von Niedersachsen, wurde auserkoren, die Bundeswehr aus der Sinnkrise zu manövrieren und wieder positiv zu besetzten.

    Nach drei weiblichen Verteidungsministerinnen sollte es nun ein Mann wieder „richten“. Denn obwohl Olaf Scholz zum Amtsantritt Parität in der Geschlechterverteilung der Minister:innen versprochen hatte, hatte er dies gut ein Jahr danach schon wieder vergessen. Offenbar traute die SPD einer Frau die Rolle als Kriegskrisenmanagerin nicht mehr zu.

    Noch wichtiger als das Geschlecht war hierfür wohl, dass der neue Minister selber gedient hatte. Mindestens ein Jahr Wehrdienst leistete er von 1980 bis 1981. Ob ihn das zu einem Experten macht, sei mal dahingestellt.

    Seit seiner Einführung ist nun ein Jahr vergangen. Wie hat der deutsche Kriegsminister seine Aufgaben für den deutschen Imperialismus erledigt?

    Die Bundeswehr im Reformprozess?

    Vor mittlerweile eineinhalb Jahren gab die Bundesregierung ihren Segen für die gigantische Summe von 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die – im Vergleich zur deutschen Wirtschaftskraft – abgehalfterte Bundeswehr. Ein halbes Jahr später ersetzte Pistorius die skandalerprobte Lambrecht. Im selben Atemzug, mit dem er sich für ihre Leistung bedankte, stellte er klar, dass bis jetzt nur „Vorarbeit“ geleistet wurde. Die Bundeswehr mit dieser Fantasie-Summe von 100 Milliarden auf Kriegskurs zu bringen, das sei nun seine Aufgabe.

    Doch was hat er diesbezüglich bisher erreicht?

    Seine Parteifreunde zeigten sich bislang sehr zufrieden mit seiner geleisteten Arbeit. Hierfür werden vor allem strukturelle Änderungen ins Feld geführt: Wolfgang Hellmich, verteidigungspolitischer Sprecher der SPD, sagte zu Focus Online, dass diverse Maßnahmen getroffen wurden, z.B. um die Materialbeschaffung zu beschleunigen, mehr Personal zu gewinnen und auch allgemein das Ministerium umzustrukturieren und verteidigungspolitische Richtlinien zu erneuern.

    Viele dieser Reformen sind schwer zu bewerten, da noch keinerlei Veränderungen sichtbar wurden. Es liegt der Vergleich zu einem Schüler nahe, der sich bereits Gedanken zu seinen Hausaufgaben gemacht hat, aber noch nichts zu Papier gebracht hat. Viel Gerede, doch bisher wenig sichtbare Ergebnisse. Das wird jetzt auch von der Oppositionspartei CDU angemahnt, der es mit der Aufrüstung gar nicht schnell genug gehen kann. Doch kann sich darauf verlassen werden, dass Pistorius nur Luftschlösser baut oder geht es sowieso nur darum, die Bevölkerung verbal auf Kriegslinie zu bringen?

    Pistorius will uns „kriegstüchtig“ machen

    Hier lohnt sich ein Blick in die „verteidigungspolitische Richtlinie“. In dieser wurde – neben der Benennung der aktuellen „Bedrohungen aus Russland und China“ – auch im Innern zum Kampf geblasen. Dafür wurde ein in Deutschland zum Glück weitgehend in Vergessenheit geratenes Wort, wieder ausgegraben: Knapp 80 Jahre nach dem zweiten Weltkrieg soll Deutschland wieder „kriegstüchtig“ gemacht werden. Ein Begriff, der das Potenzial zum Unwort des Jahres hätte, aber vor allem dazu dient, die immensen Militärausgaben – dank geschürter Angst in der Bevölkerung – zu rechtfertigen und Kriegsgebärden wieder salonfähig zu machen.

    Um diese Kriegsfantasien umzusetzen, wurden bereits 21 der 100 Milliarden Euro Sondervermögen für Waffen und sonstige Ausrüstung ausgegeben. Dass die Bundeswehr trotzdem noch weit davon entfernt ist, sich als einsatzbereit für einen kommenden großen Krieg bezeichnen zu können, hat mehrere Gründe.

    Durch die Waffenlieferungen in die Ukraine klafft eine Lücke im deutschen Waffenarsenal, die bisher noch nicht ansatzweise geschlossen werden konnte. Darüber hinaus dauert die Produktion von manchen Kriegsgeräten schlicht mehrere Jahre.

    Dass dann auch noch mit bereits eingetroffenem Material offenbar nicht umgegangen werden kann, lässt tief blicken. Laut Zeit Online wurden digitale Funkgeräte für 1,3 Milliarden Euro beschafft, aber schlichtweg nicht eingebaut. Somit kann weiterhin nicht verschlüsselt kommuniziert werden.

    So sehr das Scheitern der Aufrüstung den Antimilitarist:innen gefallen mag, so schwer fällt es, dies zu feiern. Denn die Unsummen, die in einen womöglich zukünftigen Krieg fließen, würden an anderer Stelle dringend benötigt. Milliarden werden in das kaputte Konstrukt Militär gesteckt, während bei Sozialleistungen um jeden Cent gefeilscht wird. Vorgegaukelte äußere Sicherheit wird den Teller der Arbeiterklasse nicht füllen.

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    Dass trotz dieser verschwendeten Milliarden die Bundeswehr offenbar noch nicht kriegsbereit ist und dies zurzeit außerdem nicht in der medialen Berichterstattung stattfindet, hat mit einem anderen aktuellen Reizthema zu tun: mit der Wiedereinführung der Wehrpflicht. Sie wird von konservativer und rechter Seite schon länger gefordert und spielt auch in den markigen Reden des Verteidigungsministers eine Rolle.

    Denn die deutsche Regierung strebt eine „Zeitenwende“ an. Nach Jahrzehnten erfolgsloser Interventionen in Afghanistan, Mali, etc. soll das Militär nicht nur den „Frieden“ in aller Welt sichern, sondern auch das eigene Land verteidigen können. Dafür soll die Armee vergrößert werden. Und wenn es denn nicht gelingt, die Bundeswehr attraktiver zu gestalten und somit das dringend benötigte Personal für sich zu gewinnen, dann muss es eben mit Zwang geschehen. Wahrzunehmen und zu akzeptieren, dass die Jugend keine Lust auf Krieg hat, ist hierbei für den Kriegsminister keine Option.

    Dass Pistorius damit nicht einmal die komplette Rückendeckung innerhalb seiner eigenen Partei und schon gar nicht innerhalb der Koalition hat, ist in diesem Kontext scheinbar egal. Er möchte in das Bewusstsein der Gesellschaft rufen, dass wir in Kriegszeiten leben und dass das auch „Opfer“ von der Bevölkerung erfordere. Das Werben für den Krieg und seine Selbstinszenierung als potenzieller Kriegsherr sind hierbei von großer Bedeutung. Es bleibt abzuwarten, ob er seine Forderungen umsetzten kann und Deutschland letztendlich in einen militärischen Konflikt treibt.

    Waffen an Ukraine und die Saudis

    Neben der internen Kriegsertüchtigung der Bundeswehr prägte vor allem der Krieg in der Ukraine sein erstes Amtsjahr. Auch unter Pistorius wird die Ukraine weiterhin mit deutschen Waffen unterstützt. Insgesamt über 5 Milliarden Euro umfassten die Lieferungen an den osteuropäischen Staat im Jahr 2023.

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    Ebenfalls in einer anderen Thematik ist Pistorius ganz auf der Linie seiner Vorgänger:innen: Er intensivierte das deutsche Engagement in der NATO. Neben Waffenlieferungen an Verbündete, stellte der Verteidigungsminister nun sogar ein eigenes Kampftruppenbataillon für den Schutz der NATO–Ostgrenze in Aussicht. 5.000 Soldat:innen sollen ab 2027 dauerhaft in Litauen stationiert sein. Ein Novum in der Geschichte der Bundesrepublik, denn bisher gab es lediglich temporäre Auslandseinsätze. Ein weiteres Zeichen dafür, dass Deutschland seinen Platz am Tisch der Großimperialisten behaupten möchte.

    Ob dies auch wirklich erreichbar ist, halten selbst die sonst so kriegsaffinen, konservativen Kreise für fraglich. Für dieses Vorhaben würden 4 bis 6 Milliarden Euro von Nöten sein. Da passt es, dass Pistorius kurz nach seinem Amtsantritt eine Erhöhung der NATO-Rüstungsvorgaben forderte: 2% des Bruttoinlandprodukts (BIP) seien nicht ausreichend, gab er zu bedenken. Wohl mit dem Gedanken im Hinterkopf, dass die 100 Milliarden Euro Sondervermögen schon bald verprasst sein werden.

    Pistorius unterstützt nicht nur mit Waffen, er verkauft sie auch gerne. Aktuell erteilt die Bundesregierung grünes Licht für die Lieferung von Kampfjets nach Saudi-Arabien – trotz ihrer Verstrickungen in den Jemen-Krieg. Als Grund wurde der aktuelle Beitrag der Saudis zur Sicherung des Schutzes Israels vorgebracht. In Wirklichkeit aber möchte Pistorius sich den finanziell lukrativen Deal nicht entgehen lassen. Das lässt erkennen, dass jede Entscheidung mit strategischer Verteidigungspolitik zu rechtfertigen ist, obwohl es manchmal dann doch einfach nur ums Geld geht. Dies wird sich auch unter Pistorius nicht ändern.

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    Beliebter als seine Vorgänger:innen?

    Was er seiner Vorgängerin voraus hat, sind sein staatsmännisches Auftreten und seine bedachten kriegstreiberischen Äußerungen. Dies entspricht traurigerweise dem aktuellen Zeitgeist und bei Betrachtung der Malheurs und Pannen seiner Vorgänger:innen reicht das anscheinend bereits aus, um als Politiker beliebt zu sein.

    Es ist nicht zu erwarten, dass die Bundesregierung von ihrem aktuellen Kriegskurs abweichen wird. Und somit bleibt es auch nur eine Hoffnung, dass die „Zeitenwende“ aufgrund der Inkompetenz des Verteidigungsministeriums irgendwann begraben werden wird. Auf dem Weg zur Aufrüstung werden jedoch mit Sicherheit noch Milliarden an Staatsgeldern fürs Töten ausgegeben, Milliarden, die an anderer Stelle so bitter benötigt würden. So lange, bis wir die Kriegstreiberei stoppen.

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