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Samstag, April 27, 2024
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    K.I.Z: „Ein Frieden so grausam, dass Menschen vor ihm flieh’n“

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    Das Berliner Rap-Trio „K.I.Z“ veröffentlicht mit seiner Single „Frieden“ einen scharfzüngigen, kriegsablehnenden Hit, der dringend notwendig war. Kritisiert werden neben Kriegspropaganda auch die westliche „Friedenspolitik“ und der Burgfrieden. – Eine Kritik von Benjamin Schwartz.

    Die Wahrnehmung des Militärs in der öffentlichen Debatte in Deutschland hat sich mit Beginn des Kriegs in der Ukraine grundsätzlich gewandelt. Der Spott über die Bundeswehr fand ein jähes Ende und Waffenlieferungen in Kriegsgebiete wurden zur Selbstverständlichkeit. Deutschlands Militäretat ist seitdem so hoch wie Jahrzehnte vorher nicht mehr. Wer den Sinneswandel ablehnt, muss sich nun als „Lumpenpazifist“ oder „Putinversteher“ beschimpfen lassen. Dem stellt sich K.I.Z entgegen.

    K.I.Z sind bekannt für ihre zynischen Texte und ihren schwarzen Humor zu harten Beats. Der Beitrag „Frieden“ beginnt allerdings musikalisch ruhig und inhaltlich ernsthaft. Das „lyrische Ich“ setzt – während einer Schweigeminute für die Opfer von den Anschlägen am 11. September 2001 – den Terroranschlag auf das World Trade Center in Relation zu dem Völkermord in Ruanda und dem Embargo der UNO gegen den Irak, wodurch eine Million Menschen starben. Der Opfer des Völkermords und Embargos wurde jedoch nicht in gleicher Weise gedacht, was das lyrische Ich als Doppelmoral enttarnt.

    Mit dem Embargo wird aufgegriffen, dass Frieden oder Waffenruhe nicht automatisch ein gutes Leben bedeuten. Im Kapitalismus und unter der imperialistischen Politik des Westens ist vielerorts der beschworene ‘Frieden’ kaum erträglicher als Krieg: „Ich bin gegen ihren Krieg und gegen ihren Frieden / Ein Frieden so grausam, dass Menschen vor ihm flieh’n.“

    Weiter beschreibt das lyrische Ich, wie es sich vor der Musterung für den Wehrdienst bekifft, damit es diesen nicht antreten muss. Der Wehrdienst war im Jahr 2001, in dem die erste Strophe stattfindet, noch nicht ausgesetzt, aber die heutigen Diskussionen um ein soziales Pflichtjahr und die Einführung der Wehrpflicht durch die Hintertür lassen befürchten, dass dieser bald doch wieder eingeführt wird.

    Die Absurditäten des Kriegs

    Auf die erste Strophe folgt die Bridge, von Tarek Ebéné ebenso ruhig gesungen wie die erste Strophe von Maxim Drüner: „Frieden, Frieden / Wir träumen von Frieden, Frieden“ Auch die zweite Strophe singt Tarek Ebéné. Fortan wird aus der Perspektive eines Soldaten erzählt. Mit dem Perspektivwechsel ändern sich auch Musik und Gesang: Begleitet von einem harten Beat rappt Ebéné sarkastisch über die sogenannte militärische Stärke und die Absurditäten von Krieg.

    Zu solchen Absurditäten gehört der sogenannte „Burgfrieden“: „Jan ist Patriot und Fabian ist woke / Ist egal, denn hier im Schützengraben sind wir alle Bros, ey (…) / Ein paar bei uns sind Nazis, aber lass mal dein Gejammer (…) Dann versicher’ ich den Junkies an der Ecke / Dass ich unser heißgeliebtes Paradies rette“. Man fühlt sich an 1914 erinnert, als die SPD schlagartig ihre Rolle als Kritikerin des Kaiserreichs aufgab und den Ausbruch des Ersten Weltkriegs unterstützte. Damals wie heute werden Klassenunterschiede zur Seite gefegt. Der Unterschied ist lediglich, dass man damals für Deutschland kämpfte und heute für die NATO oder Europa („Bruder, wir retten Europa“).

    Der Feminismus im Krieg wird mit den Zeilen „Lena ist die beste Scharfschützin ihrer Einheit / Geballte Frauenpower“ ebenfalls ad absurdum geführt. Frauen im Militär werden häufig als feministischer Erfolg gewertet. Sein einziger Effekt besteht allerdings nur darin, dass an der Front noch mehr Menschen sterben müssen.

    Ebéné läutet den Refrain mit der Bridge ein, die er um die Zeilen „Lass die weißen Tauben fliegen / Wir träumen von Frieden“ ergänzt, nur um seinen Inhalt mit dem restlichen Refrain sogleich zu torpedieren: „Doch erst müssen wir gewinnen (…) / Na klar sind wir für Frieden, doch erst müssen wir gewinnen.“ Welcher Krieg wird nicht damit legitimiert, dass er der letzte wäre? Ist dauerhafter Frieden im Kapitalismus überhaupt möglich? Definitiv nicht, indem ein Land ein anderes militärisch besiegt.

    Kriegspropaganda und militarisierte Kinder

    Maxim Drüner beginnt seine zweite Strophe mit klarem Bezug auf die aktuellen Debatten in Deutschland. Er parodiert die Forderung nach Kampfjets, die Ablehnung von Verhandlungen mit Russland und die Gleichsetzung von Kriegskritiker:innen mit Kriegsgegner:innen. Dass das längst veraltete Bild vom starken Mann wieder en vogue ist, wird ebenfalls vorgeführt: „Echte Männer haben keine Angst vor ‘nem Atomschlag“. Drüners Part gipfelt in der aberwitzigen Forderung, man müsse Kinder erschießen, „denn aus ihnen werden Monster“. Im Musikvideo singt ein Grundschulkind diese Worte.

    Nicht nur singen Kinder in dem Video die Texte, sie spielen auch mit Kriegsgeräten aus Pappe und machen Übungen wie bei einer Militärausbildung. Ganz zum Schluss sieht man zwei von ihnen reglos auf dem Boden liegen. Diese visuelle Gestaltung weist auf die zunehmende Militarisierung in der Bildung hin: Wie vor den beiden Weltkriegen beginnt der Krieg in den Köpfen der Kinder. Ihnen, die noch besonders „formbar“ sind, soll von Anfang an Krieg als Teil des Lebens verkauft werden.

    Nico Seyfried illustriert in der letzten Strophe eindrücklich die Wirkung der Kriegspropaganda: „Für die Bösen sind wir die Bösen, wie gebrainwashed kann man sein? / Ich seh’, mein Sohn, du bist ‘n bisschen durcheinander / Von der Lumpenpazifisten-Propaganda.“ Die Vokabel des „Lumpen-Pazifismus“ hat Spiegel-Kolumnist Sascha Lobo beifallheischend auf die Tagesordnung gesetzt – selbstverständlich nicht sarkastisch wie K.I.Z, sondern fast als Beleidigung gegen Kriegsgegner:innen. Diese bezeichnet Lobo unter anderem als „naiv“ und „realitätsfremd“. Ob er wohl ernsthaft der Meinung wäre, dass Menschenrechte mit der imperialistischen Kriegspolitik der NATO durchgesetzt werden müssen? Seyfried rappt jedenfalls davon und scheint damit den Nagel der öffentlichen Diskussion gut auf den Kopf zu treffen.

    Was wir aus dem Lied lernen können

    Das Lied endet mit der Bridge – die Ebéné mit zusammen mit einem Kinderchor singt – und einem von Militärtrommeln begleiteten Refrain, der in Marschier- und Explosionsgeräuschen aufgeht. Im Musikvideo treten zu diesem Zeitpunkt die drei Rapper erstmals im Bild auf, wenn sie mit Nerf-Gewehren auf die Kamera schießen. Sie tragen die fiktiven Militäruniformen, mit denen sie schon 2015 auf der „Hurra die Welt geht unter“-Tour aufgetraten. War es damals noch eine bloße Albernheit, ist es heute eine gekonnte Verspottung der öffentlichen Debatte und der Militarisierung.

    Ein so klares Bekenntnis gegen Krieg gab es in der deutschen Popmusik seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine nicht mehr. Das Trio stellt sich gegen den gesellschaftlichen Mainstream mit einem klaren Bekenntnis: Krieg ist völlig inakzeptabel, doch Frieden im Kapitalismus ist noch lange kein wahrer Frieden.

    Diese Botschaft spricht vielen Linken aus dem Herzen. Anstatt in der Verteidigungsposition verharrend zu argumentieren, wie es viele Kriegsgegner:innen die letzten zwei Jahre getan haben, führen K.I.Z die Kriegsbefürworter:innen vor. Die 800.000 YouTube-Aufrufe und über 1,7 Millionen Spotify-Streams innerhalb der ersten Woche nach Veröffentlichung geben den Künstlern recht.

    Auch wenn das Lied wenige Antworten gibt, wie denn eine Alternative zum kapitalistischen System, das diese Kriege und Krisen hervorruft, aussehen muss, gibt es uns ein klares Zeichen: Wir müssen unsere Ansichten gegen den Krieg offensiver vertreten, um andere Menschen zu erreichen und zu überzeugen.

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