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Sonntag, April 28, 2024
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    Der Krieg in Gaza und der drohende Niedergang des Journalismus

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    Eine kürzlich von The Intercept durchgeführte Studie enthüllt die einseitige Berichterstattung großer US-Medienhäuser über den Krieg in Gaza. Auch in Deutschland ist der Blick auf Israel und Palästina tendenziell verzerrt. – Ein Kommentar von Olga Goldman

    Laut einer quantitativen Analysestudie von The Intercept – eine unabhängige publizistische Webseite – zeigt die Berichterstattung der New York Times, der Los Angeles Times und der Washington Post über den Krieg in Gaza eine deutliche Voreingenommenheit zugunsten Israels. Die Studie deckte unter anderem ein auffälliges Ungleichgewicht in der Berichterstattung über palästinensische Todesfälle im Vergleich zu den israelischen auf, wobei israelische Todesfälle 16 Mal häufiger erwähnt wurden als palästinensische.

    Die vergleichende Untersuchung fand auch heraus, dass über islamfeindliche Beschimpfungen und Rhetorik seltener berichtet wurde als über antisemitische Handlungen – mit insgesamt 79 Erwähnungen der Begriffe Islamophobie”/”islamophob und 549 Erwähnungen von Antisemitismus”/”antisemitisch in den über 1.000 von The Intercept analysierten Artikeln.

    Emotional und voreingeommen

    Die emotionale Sprache, so zeigt die Studie, ist fast ausschließlich für Israelis reserviert, die von Palästinenser:innen getötet wurden, und nicht für Palästinenser:innen, die von Israelis getötet wurden. Die Medien-Giganten verwenden z.B. die Begriffe „Gemetzel“, „Massaker“, „kaltblütiges Töten“ und „grausam“, um israelische Todesfälle zu beschreiben, tun dies jedoch nicht bei palästinensischen Opfern. Das emotionale Gewicht, das diesen Todesfällen beigemessen wird, ist stark unausgewogen, was zu einem Fehlen moralischer Klarheit und zur Entmenschlichung der Palästinenser führe, deren Geschichten ausgelassen werden und deren Namen, Gesichter und Stimmen es nur selten auf die Titelseite schaffen. Rechtliche Begriffe, die von internationalen Menschenrechtsorganisationen definiert wurden – beispielsweise Apartheid, ethnische Säuberung oder Völkermord“ – mögen zwar die Realität in Israel und Palästina darstellen, kommen der Studie zufolge in der sensationslüsternen und voreingenommenen Berichterstattung westlicher Medien jedoch kaum vor.

    Vorläufige Entscheidung des IGH: Israel muss sicherstellen, dass kein Völkermord im Gazastreifen verübt wird

    Israelische Zitate, die die absolute Brutalität Israels gegen palästinensische Zivilisten bezeugen, wie z.B. die des IDF-Sprechers: „Unser Fokus liegt auf größtmöglichem Schaden, nicht auf Präzision“ oder jene des israelischen Verteidigungsministers: „Wir kämpfen gegen menschliche Tiere. Und wir werden entsprechend handeln“,  sorgen in den deutschen Medien kaum für Schlagzeilen. Oft fokussiert sich die Berichterstattung auf Nachrichten, die Israels militärisches Vorgehen rechtfertigen. Mögliche Menschen- und Völkerrechtsverletzungen, sowie das Leid der Zivilbevölkerung werden dabei häufig außer Acht gelassen. Am 12. Februar berichtete selbst der Spiegel von Unionsfraktionschef Friedrich Merz’ (CDU) unerschütterlicher Unterstützung Israels im Hinblick auf die israelische Militäroffensive im Gazastreifen und im südlichen Grenzort Rafah. Die sich dort abspielende humanitäre Katastrophe fand nur am Schluss kurz Erwähnung.

    Israelische Regierungsvertreter:innen als hauptsächliche Quelle

    Israelische Regierungsmitglieder sind dabei oft die vorranige Quelle von Nachrichten. Wie im Falle der Bombardierung des Al-Shifa-Krankenhauses werden offizielle Darstellungen der IDF (Israel Defense Forces, dt: israelische Streitkräfte) oftmals nicht eingeordnet und ausreichend überprüft, sondern unkommentiert zitiert.

    Trotz unsicherer Beweislage ließen sich viele deutsche Medienunternehmen zu vorschnellen Schlüssen hinreißen und veröffentlichten Schlagzeilen wie: „‚Wir haben den Beweis‘: Israel findet Hamas-Kommandozentrum bei Al-Shifa-Erstürmung“, „Israelische Armee findet Hamas-Einsatzzentrum im Schifa-Krankenhaus“ oder „Israel: Waffen im Schifa-Krankenhaus gefunden“. Eine Analyse der Washington Post ergab jedoch, dass die von der israelischen Regierung vorgelegten Beweise nicht ausreichen, um zu bestätigen, dass die Hamas das Krankenhaus tatsächlich als Kommando- und Kontrollzentrum nutzte. Dessen Umzingelung, Belagerung und die sich anschließende Razzia verursachten jedenfalls fürchterliche Schäden für die Zivilbevölkerung.

    Zudem würden bei der Beschreibung der Tötungen in einer Reihe von großen Medien uneinheitlich aktive und passive Formulierungen verwendet. Während bei israelischen Opfern häufig die aktive Form für die Verursacher verwendet wird – beispielsweiseRaketen töten Israelis“ – werden palästinensische Todesfälle im Passiv beschrieben, z. B. „Leben beendet aufgefunden“ (was die Washington Post aufgrund von Reaktionen in den sozialen Medien rückwirkend in „verwesend gefundenänderte).

    In einigen Fällen fehlt der Bezug zur Realität gänzlich, zum Beispiel in einer Schlagzeile von The Guardian: „Menschen dehydrieren in Gaza zu Tode, da das saubere Wasser ausgeht“ oder in einer Bildunterschrift von The Daily Telegraph: “Bomben fallen weniger als 100 Meter von dem Ort entfernt, an dem [die Familie] in Gaza Schutz sucht”. Solche Schlagzeilen legen dem Publikum nahe, dass Dehydrierung ein natürlicher Vorgang sei und dass Bomben spontan vom Himmel „fallen“, anstatt vom israelischen Militär „abgeworfen“ worden zu sein.

    Medien unterstützen Kriegsführung

    Zusammen mit dem Aufrechterhalten der israelischen Selbstverteidigungserzählung und der Diskreditierung palästinensischer Quellen dient die sprachliche Entmenschlichung der Palästinenser:innen auch jetzt noch der Rechtfertigung der israelischen Aggression und des Völkermords in Gaza. Hinzu kommt die mangelnde Einordnung in den historischen Kontext: Israels jahrzehntelange Unterdrückung und illegale Besetzung Palästinas werde oftmals ignoriert.

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    Die sozialen Auswirkungen von Fehlinformationen und einseitiger Berichterstattung sind fatal. Ihr Ziel ist es, die öffentliche Meinung in Richtung einer Unterstützung der israelischen Kriegsführung und der deutschen Regierungspolitik in diesem Krieg zu lenken. Oppositionelle Stimmen gegen den Krieg in Gaza sollen eingeschüchtert und stumm werden. Umso wichtiger ist es, Medien zu schaffen und zu unterstützen, die über die Weltlage so objektiv wie möglich und vom Standpunkt der Unterdrückten aus berichten.

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