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Dienstag, Oktober 15, 2024
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    Freiheitskampf in Palästina und Kurdistan – warum gerade jetzt solidarisieren?

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    Nicht nur in Israel und Palästina, sondern auch in den kurdischen Gebieten eskaliert derzeit der Krieg. „Schlimm, aber das ist weit weg“ denken sich die einen – „Kurdistan ja, Palästina nein“ die anderen. Was beide Kämpfe miteinander zu tun haben, was sie unterscheidet und warum wir uns auch in Deutschland mit den unterdrückten Nationen solidarisieren sollten. – Ein Kommentar von Gillian Norman.

    Vor etwa zwei Wochen ist der Krieg in Israel und Palästina nach einer militärischen Operation verschiedener palästinensischer Widerstandsorganisationen unter Führung der fundamentalistischen Hamas eskaliert und hat eine neue Stufe erreicht. Schon jetzt gibt es mehrere tausend Tote auf beiden Seiten. Die Zahlen – besonders von zivilen Opfern – schießen derzeit auf Seite der Palästinenser:innen weiter in die Höhe aufgrund der anhaltenden Bombardierungen von Wohngebäuden, öffentlichen Einrichtungen und Fluchtrouten im Gazastreifen durch das israelische Militär.

    In der Folge der Eskalation erfolgte in den Medien schnell ein Umschwung vom Ukraine-Krieg auf den Krieg in Palästina und Israel. Daneben gab es auch eine große Welle der Solidarität. In dieser Bewegung kristallisierte sich schnell eine Spaltung heraus: entweder man „solidarisiert“ sich mit den israelischen Opfern oder den palästinensischen. Das Thema wurde hoch emotional aufgeladen und in vielen Zeitungen folgte ein persönlicher Bericht von Betroffenen oder Verwandten auf den anderen – darunter auch die schlimmen Berichte über das Massaker an israelischen Zivilist:innen auf dem Festival in Grenznähe zum Gazastreifen.

    Die Ansicht, dass der palästinensische Befreiungskampf im Grundsatz legitim sei, wurde schnell mit dem Vorwurf des Antisemitismus überschüttet. In Duisburg und Berlin kam es zu großer Repression von Seiten der Polizei gegen palästina-solidarische Demonstrationen und auch in anderen Städten wurden Aktionen verboten. In Berliner Schulen wurde sogar das Tragen von Palästinenser-Tüchern untersagt. Gleichzeitig kündigte Olaf Scholz ein Verbot der fortschrittlichen Organisation “Samidoun” an. Und sogar die Antirepressionsorganisation Rote Hilfe stellte ihre Unterstützung für den von Abschiebung bedrohten palästinensischen Aktivisten Zaid Abdulnasser ein.

    Bundeskanzler Scholz kündigt Verbot der palästinensischen Gefangenensolidaritätsorganisation Samidoun an

    Auch wenn hinter dem Krieg komplexe historische Geschehen und aktuelle geostrategische Interessen verschiedener imperialistischer Staaten stehen, ist es wichtig, die Frage zu beantworten, wie wir in diesem Konflikt eine klare Position beziehen können und warum wir dies tun sollten.

    Was haben diese Freiheitskämpfe mit uns zu tun?

    In Deutschland stellen sich die Regierung und alle Parteien im Parlament bis hin zur Linkspartei  an die Seite des israelischen Staats – aus dem angeblich einzigen Grund, den Antisemitismus bekämpfen zu wollen, indem ein vermeintlich sicherer Raum für Jüdinnen und Juden bewahrt wird.

    Zugleich spielt Israel für den deutschen sowie den US-Imperialismus eine extrem wichtige geostrategische Rolle: Erst vor kurzem schloss Deutschland beispielsweise einen 4 Mrd. Euro-Deal mit Israel zum Kauf des Raketenabwehrsystems „Arrow 3“ ab, das zusammen mit den USA entwickelt wurde.

    Im Zuge der zunehmenden Aufrüstung des deutschen Staats nach innen und außen bekommen deutsche Arbeiter:innen die Kürzungen in der Heimat deutlich zu spüren, da die Kosten auf sie abgewälzt werden. Daneben müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass die deutsche Kapitalist:innenklasse deshalb so stark ist, weil sie nicht nur die deutschen Arbeiter:innen ausbeutet, sondern auch andere Länder ausplündert. Letztendlich wird damit unser relativ stabil funktionierender Staatsapparat mit entsprechender Infrastruktur und sozialstaatlichen Elementen finanziert.

    Aus dem imperialistischen Weltsystem, in dem wir heute leben, ergibt sich also eine direkte Verbindung zu den Arbeiter:innen in anderen Ländern. Auch wenn sich ihre Lebensrealitäten stark unterscheiden können, zeigt sich doch ein gemeinsames Interesse, gegen die kapitalistische Ausbeutung zu kämpfen.

    Viele Menschen haben als Migrant:innen oder Kinder von Migrant:innen ohnehin eine enge emotionale Verbindung zu den Kämpfen in anderen Teilen der Welt. Aber auch alle anderen deutschen Bürger:innen sollte es interessieren, was der deutsche Staat „in unserem Namen“ international treibt. Denn wie sollen wir frei sein, solange deutsche Unternehmen und der deutsche Staat andere Völker ausbeutet und unterdrückt? Der kommunistische Vordenker Friedrich Engels erklärte hierzu: „Ein Volk, das andere unterdrückt, kann sich nicht selbst emanzipieren.“

    Was heißt das konkret?

    Als deutsche Arbeiter:innenklasse müssen wir uns dafür einsetzen, dass Menschen, die unter Besatzung durch den Imperialismus leben, befreit werden. Dieser Kampf geschieht in erster Linie durch unseren Klassenkampf hier in Deutschland: sowohl gegen die in Deutschland tätigen Konzerne als auch gegen die heuchlerische bürgerliche Regierung, welche die Aufrüstung Deutschlands und seine menschenverachtende Außenpolitik unter anderem durch die Unterstützung anderer imperialistischer Länder vorantreibt.

    Konkret unterstützt der deutsche Staat Israel und die Türkei im Kampf gegen die Palästinenser:innen und die Kurd:innen. Das ist auch der Grund, warum er so hart gegen all die solidarischen Arbeiter:innen vorgeht, die diese Freiheitskämpfe unterstützen. Man weiß, dass der Erfolg dieser Freiheitskämpfe den Kapitalist:innen dort wie hier schadet.

    Deshalb braucht es eben umgekehrt eine Unterstützung dieser Kämpfe durch gut organisierte fortschrittliche und sozialistische Kräfte. Die Erfolge solcher nationalen Befreiungskämpfe schaffen unmittelbar bessere Voraussetzungen für den Kampf um eine sozialistische Gesellschaft in Deutschland. Daher ist es nicht verwunderlich, dass der deutsche Staat eben die Macht, die er zur Unterdrückung anderer aufbaut – die Militarisierung – derzeit auch nach innen gegen uns anwendet, wenn wir gegen ihn aufbegehren.

    Wie der deutsche Staat den Ruf nach einem freien Palästina kriminalisiert

    Kurdistan ja, Palästina nein?

    Geht es um die Unterstützung von nationalen Befreiungskämpfen, gibt es durchaus eine fortschrittliche Tradition in der deutschen Bevölkerung, auf die man aufbauen kann. So kam es 1968 zu gewaltigen Solidaritätsaktionen mit dem Kampf des vietnamesischen Volks gegen die USA oder der Unterdrückten im Iran gegen den Schah.

    Auch heute findet sich diese Solidarität z.B. mit der kurdischen Befreiungsbewegung. Hier erleben wir eine Zustimmung von verschiedenen linken Kräften und Strömungen. Gerade mit dem Projekt, eine demokratische-fortschrittliche Gesellschaft verschiedener Nationalitäten im syrischen Teil Kurdistans aufzubauen, hat diese Bewegung in den letzten Jahren viele Sympathien auf sich gezogen.

    Anders sieht es beim palästinensischen Befreiungskampf aus. Hier findet sich beispielsweise das Lager der „Antideutschen“, die sich selbst als „links“ bezeichnen, letztlich aber pro-imperialistische Positionen vertreten, indem sie eine imperialistische Macht, nämlich Israel, unterstützen. Ihre Gedanken dringen in die verschiedensten fortschrittlichen Sektoren ein, sodass etwa die Linkspartei fast geschlossen hinter der Politik Israels steht.

    Grundsätzlich handelt es sich bei beiden Kämpfen um Kämpfe gegen Kolonialismus und nationale Unterdrückung. Kurdistan wurde nach dem ersten Weltkrieg und dem Zusammenbruch des Osmanischen Reichs in vier Teile gespalten und steht seitdem unter der Kontrolle der Staaten Türkei, Iran, Irak und Syrien. Im Nordirak haben Kurd:innen unter Führung der bürgerlichen Kräfte um den Barsani-Clan eine eigene autonome Region – ein erfolgreiches Referendum über die eigene Unabhängigkeit wurde vom Irak allerdings nicht anerkannt. Nach dem Beginn des Bürgerkriegs in Syrien 2011 konnten die fortschrittlichen Teile der kurdischen Unabhängigkeitsbewegung, die der PKK nahe steht, außerdem mit einer demokratischen Revolution ihre Autonomie in der Region Rojava in Nordsyrien erkämpfen.

    Bis heute jedoch erkennt der deutsche Staat Kurdistan nicht als Staat an, sondern unterstützt u.a. den NATO-Partner Türkei mit Waffenlieferungen zur Bekämpfung der kurdischen Freiheitsbewegung. Sie wird nun in Rojava einerseits vom „Islamischen Staat“ angegriffen und auf der anderen Seite mit lukrativen deutschen Waffen von der Türkei bombardiert.

    Rojava: Ein Bollwerk des Widerstands zwischen Besatzung und Bombenhagel

    Der israelische Staat wurde wiederum – seiner eigenen Ideologie nach – gegründet, um den Jüd:innen einen „Zufluchtsort“ zu sichern. Tatsächlich wird diese These vor allem von jüdisch-fundamentalistischen Kräften stark vertreten, die versuchten, innerhalb der jüdischen Bevölkerung nach dem Genozid im Holocaust deutlich zu machen, dass das jüdische Volk mit anderen Völkern nicht zusammenleben könne – und deshalb sein eigenes Staatsprojekt schaffen müsse.

    Dies sollte in ihrem historisch-religiösen Heimatland stattfinden, das ihnen angeblich von Gott versprochen wurde: im historischen Palästina. Das ist die Grundthese des Zionismus, die zur Grundlage des israelischen Staates wurde. Doch vor Ort lebten bereits palästinensische Juden, Christen und vor allem auch Muslime. Ein gewichtiger Teil dieser Menschen wurde dann in der „Nakba“ von 1948 ermordet und vertrieben, um „Platz“ für das siedler-koloniale Projekt “Israel” zu schaffen.

    Bis heute werden Palästina und die Palästinenser:innen für die kapitalistischen und kolonialen Interessen Israels ausgebeutet. Und auch der deutsche Staat profitiert dabei heute beispielsweise davon, dass moderne Waffensysteme von Israel an den Palästinenser:innen getestet und dann an Länder wie Deutschland weiterverkauft werden.

    Wenn wir uns Palästina und Kurdistan aus antikapitalistischer Perspektive anschauen, müssen wir die Kämpfe beider Völker für ihre nationale Befreiung also grundsätzlich unterstützen. Denn die nationale Befreiung beider unterdrückter Völker ist notwendig, um zu einer befreiten Gesellschaft im Sozialismus zu gelangen.

    Wenn die nationale Befreiung erkämpft ist, werden die Widersprüche im Innern offener zu Tage treten. Sie können den unterdrückten Arbeiter:innen die Perspektive zum Sozialismus aufzeigen und das irrige Bild von „nationaler Einheit“ zerschlagen. Das muss auch das Ziel der fortschrittlichen Kräfte auf der ganzen Welt sein.

    Was ist nun der Unterschied?

    In Kurdistan steht die Bewegung zumindest in zwei Teilen unter fortschrittlicher Fahne. In den Gebieten in der Türkei und in Syrien spielen neben der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) auch die Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei Türkei/Kurdistan (MLKP) und andere revolutionäre Kräfte eine wichtige Rolle.

    In Palästina sieht die Lage anders aus: In den 1970er Jahren waren linke Kräfte unter dem Banner der PLO führend, verloren jedoch im Laufe der Jahre an Einfluss und wichen zunehmend stärker von ihren marxistischen Positionen ab. Die Fatah, die auch damals die führende Kraft innerhalb der PLO war, arbeitet heute eng mit Israel zusammen und stellt im Westjordanland eine nationale Ausbeuterklasse dar. Heute gibt es zwar noch immer Kräfte wie die „Peoples Front for the Liberation of Palestine” (PFLP), die an den militärischen Aktionen beteiligt sind und aus einer säkularen und progressiven Tradition kommen. Führend sind jedoch die islamisch-fundamentalistischen Kräfte – zuvorderst die Hamas.

    Fortschrittliche Kräfte hier in Deutschland können sich nicht darüber freuen, dass das Ergebnis des Niedergangs der kommunistischen Weltbewegung ist, dass heute fundamentalistische Kräfte Widerstandskämpfe gegen Kolonialismus anführen. Denn das führt auch zu ganz konkreten Problemen. Die Hamas nutzt Kampfformen wie antiisraelische Massaker gegen Zivilist:innen und hat als Ziel den Aufbau eines fundamentalistischen Staats. In der Geschichte hat sich bereits gezeigt, dass dies zu einer großen Gefahr für Kommunist:innen werden kann. So wurde beispielsweise bei der Machtergreifung des Schahs im Iran die kommunistische Bewegung gewaltvoll zerschlagen.

    Grundsätzliche Unterstützung und Stärkung der fortschrittlichen Kräfte

    Als Kommunist:innen müssen wir uns fragen, wie die Führung einer nationalen Befreiungsbewegung verändert werden kann. Klar ist, dass wir dies nicht schaffen, wenn wir legitime Forderungen nur dann unterstützen, wenn uns die führende Kraft der Bewegung „passt“. Stattdessen müssen wir gegen den eigenen Imperialismus und die Unterstützung von Staaten wie der Türkei oder Israel kämpfen. Dazu gehört auch, die Repression gegen solidarische und internationalistische Bewegungen im Innern zu bekämpfen.

    Den Unterdrückten in Ländern wie Kurdistan und Palästina müssen wir zeigen, dass es die internationale Arbeiter:innenklasse und die Kommunist:innen sind, die an ihrer Seite stehen. Wie sollen sie uns sonst als Bündnispartner wahrnehmen? Wie sollen sich die fortschrittliche Kräfte in diesen Ländern sonst stärken können?

    Deshalb müssen sich alle fortschrittlichen Kräfte heute sowohl mit dem kurdischen als auch dem palästinensischen Freiheitskampf aus einer grundsätzlich internationalistischen antikapitalistischen Position heraus solidarisieren. Dabei müssen wir die fortschrittlichen Kräfte stärken, damit diese sich gegen die rückschrittlichen durchsetzen und den Menschen eine echte Perspektive der Befreiung aufzeigen können.

    • Schreibt seit 2022 für Perspektive und ist seit Ende 2023 Teil der Redaktion. Studiert Grundschullehramt in Baden-Württemberg und geht früh morgens gerne eine Runde laufen.

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