Bundeskanzler Olaf Scholz kündigt neben einem Verbot der “Hamas” auch ein Verbot der fortschrittlichen Gefangenenorganisation “Samidoun” an. Ein Sprecher der Organisation hatte erst kürzlich betont: “Es ist die palästinensische Befreiungsbewegung, die gegen Antisemitismus, Faschismus und alle Formen von Rassismus kämpft, nicht der deutsche Staat.” – Ein Kommentar von Paul Gerber.
„Das Bundesinnenministerium wird ein Betätigungsverbot für die Hamas in Deutschland erlassen. Ein Verein wie Samidoun, dessen Mitglieder brutalste Terrorakte auf offener Straße feiern, wird in Deutschland verboten.“ Mit diesen Worten kündigte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Bundestag am 12. Oktober ein Betätigungsverbot für die Hamas und das Solidaritätsnetzwerk „Samidoun“ für palästinensische politische Inhaftierte in israelischen Gefängnissen an.
Verbot von Samidoun wurde vorbereitet
Während unklar ist, welche konkreten Auswirkungen das Verbot der Hamas haben wird, da diese Organisation in Deutschland ohnehin nicht offiziell tätig ist, reiht sich der Schritt in massive und gezielte Repressionsmaßnahmen gegen Aktivist:innen von Samidoun ein, die schon vor dem 7. Oktober begonnen hatten.
So wurde dem Deutschlandkoordinator dieser Organisation, Zaid Abdulnasser, durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mitgeteilt, dass ihm seine Aufenthaltserlaubnis in Deutschland entzogen werden soll und zwar mit der Begründung, dass sein Schutzbedürfnis als Geflüchteter geringer zu bewerten sei als das öffentliche Interesse Deutschlands.
Anders als in vielen Medien verbreitet steht Samidoun nicht etwa der “Volksbefreiungsfront zu Befreiung Palästinas” (PFLP) nahe, sondern “Masar Badil”, der “Palästinensischen Alternativen Revolutionären Pfadbewegung”. Diese ist insbesondere in der palästinensischen Diaspora aktiv, die auf die systematische Vertreibung von Palästinenser:innen aus ihrer ursprünglichen Heimat zurückgeht.
Samidoun ist der BRD ein Dorn im Auge
Die Ursache für das Vorgehen der Regierung liegt hierbei offensichtlich im Drang des deutschen Staates, irgendeine politische Struktur konkret für die Wut auf die israelischen Verbrechen auf seinen Straßen haftbar zu machen. Das konkrete Verbot von Samidoun erfolgt jetzt zeitgleich mit der Militäroffensive des palästinensischen Widerstands am 7. Oktober und der in diesem Rahmen verübten Gewaltexzesse – für die deutschen Behörden eine dankbare Vorlage.
In Berlin und anderen deutschen Städten hat Samidoun aber bereits in den letzten Jahren eine wichtige Rolle bei der Organisierung von Protesten gegen die anhaltenden Völkerrechtsverletzungen durch Israel zum Beispiel im Verlauf der Nakba-Tage (15. Mai) gespielt. Auch damals hatte der deutsche Staat bereits mit Repression und pauschalen Demo-Verboten geantwortet.
Warum das Demo-Verbot zum Nakba-Tag uns allen Sorgen machen sollte
Es ist also recht offensichtlich, dass der deutsche Staat ein grundsätzliches Problem damit hat, wenn auf deutschen Straßen Verbrechen des israelischen Apartheidsregimes angeprangert werden. Vermutlich waren Vorbereitungen für ein solches Verbot schon lange vor dem 7. Oktober 2023 im Gange.
Der oben genannte Zaid Abdulnasser ordnete diese Politik Deutschlands noch vor wenigen Wochen im Interview mit Klasse gegen Klasse folgendermaßen ein: „Diese bedingungslose Unterstützung der Besetzung Palästinas erfolgt eindeutig auf der Grundlage gemeinsamer imperialistischer Interessen und des Verständnisses, dass diese europäische Kolonie in Palästina die militärische Basis des Westens im Nahen Osten ist. Natürlich wird dies als Deutschlands Versuch propagiert, für das Massaker an den Juden im Zweiten Weltkrieg zu sühnen. Wenn überhaupt, dann zeigt die Verwendung der Sünden seiner Nazi-Geschichte zur Rechtfertigung der Unterstützung eines weiteren Ethnostaats-Projekts, dass es nie wirklich aus seiner Geschichte gelernt hat.“
Eine genaue Betrachtung von Samidoun und seinen Zielen erfolgt unterdessen nicht mehr, weder durch die deutschen Behörden noch durch deutsche Qualitätsmedien, oder die dabei gewonnenen Erkenntnisse werden absichtlich ignoriert. Lieber wird Samidoun als „Hamas-Unterstützerverein“ oder „Terror-Freunde“ und dergleichen mehr diffamiert.
Rote Hilfe beendet Unterstützungskampagne für Zaid Abdulnasser
Auch die Berliner Ortsgruppe der deutschen Solidaritätsorganisation Rote Hilfe, die eigentlich für sich in Anspruch nimmt, spektrenübergreifend Solidarität mit linken und fortschrittlichen Aktivist:innen zu üben, hat sich offenbar dem gemeinsamen Druck von Staat, Presse und einem Teil der eigenen Basis gebeugt. Sie hat die vor wenigen Wochen ins Leben gerufene Unterstützungskampagne für Zaid Abdulnasser mit sofortiger Wirkung eingestellt. Aus dem entsprechenden Statement lässt sich zwar erahnen, dass diese Entscheidung nicht ganz unumstritten war.
So wird zwar erklärt, Samidoun habe die Ziele der Roten Hilfe verletzt. Diese bestünden aus dem “Eintreten für die Ziele der Arbeiter*innenbewegung, die internationale Solidarität, der antifaschistische, antisexistische, antirassistische, demokratische und gewerkschaftliche Kampf sowie der Kampf gegen Antisemitismus, Militarismus und Krieg”. Wo und wie sich Samidoun sich dem entgegengestellt hat, wird jedoch leider nicht begründet. So scheint sie ein Einknicken vor einer gezielten Hetzkampagne des deutschen Staates zu sein.
Es geht nicht um Antisemitismus sondern um imperialistische Interessen
Dass es dem deutschen Staat bei dem nun angekündigten Verbot nicht ehrlich um den Schutz der Jüd:innen oder den Kampf gegen den Antisemitismus geht, wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass Samidoun aus einer progressiven, revolutionären politischen Tradition stammt und sich dementsprechend auch in öffentlichen Äußerungen immer wieder deutlich vom Antisemitismus abgrenzt. So erklärte Zaid Abdulnasser gegenüber Perspektive im Interview:
„Wer Antisemitismus bekämpfen will, muss den Zionismus und den zionistischen Staat bekämpfen, der versucht, seine täglichen Verbrechen und die Vernichtung der Palästinenser so darzustellen, als ob er ‚die Juden‘ und ‚das Judentum‘ repräsentiert. Es ist jedoch gerade die palästinensische Befreiungsbewegung als eine antirassistische, antikoloniale Bewegung, die die Gleichsetzung von Zionismus und Jüdischsein ablehnt. Es ist die palästinensische Befreiungsbewegung, die gegen Antisemitismus, Faschismus und alle Formen von Rassismus kämpft, nicht der deutsche Staat.“
„Unsere Antwort ist die Standhaftigkeit“ – Interview mit Zaid Abdulnasser
Kräfte mit einer in diesem Punkt so klaren politischen Linie gibt es nicht allzu viele in der palästinensischen Befreiungsbewegung, und ihr Einfluss wird durch ein solches Verbot nur weiter geschwächt. Darum aber geht es den Behörden augenscheinlich nicht, sondern darum, an Samidoun ein Exempel zu statuieren. Das Vorgehen ist Teil der deutschen Staatsräson, die die sogenannte „Sicherheit“ des Staates Israel regelmäßig über das Völkerrecht und die Menschenrechte stellt.