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Samstag, Juli 27, 2024
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    Palästina-Solidarität: Um die Meinungsfreiheit müssen wir kämpfen!

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    Was bei Solidaritätsdemonstrationen mit Palästina erlaubt ist und was nicht, ist auch unmittelbar vor dem diesjährigen Nakba-Tag unklar. Während die Ampel-Regierung die Meinungsfreiheit maximal einschränkt, widersprechen Gerichte teilweise. Vor allem aber kommt es auf uns an, welche Verbote wir zu Fall bringen können. – Ein Kommentar von Paul Gerber

    Morgen ist der 15. Mai. An diesem Datum wird seit 75 Jahren Jahr für Jahr des Beginns der Vertreibung von hunderttausenden Palästinenser: innen aus ihrer Heimat gedacht, die unmittelbar auf die Staatsgründung Israels folgte – der „Nakba”, zu deutsch der „Katastrophe“.

    Auch in Deutschland finden aus diesem Anlass alljährlich Gedenkveranstaltungen und Demonstrationen statt. In Berlin jedoch, der deutschen Stadt mit den meisten aus Palästina stammenden Menschen, wurden die Veranstaltungen in den letzten Jahren oft mit heftiger Repression überzogen und teilweise über mehrere Tage alle Demonstrationen mit Palästina-Bezug schlicht verboten.

    Ein derartiges Verbot ist in Berlin bisher noch nicht angekündigt. Möglich also, dass ausgerechnet in diesem Jahr, während Israel weiterhin einen Krieg gegen die Bevölkerung des Gaza-Streifens führt, bei dem bereits über 40.000 Menschen getötet wurden oder verhungert sind, die Versammlungen in Berlin stattfinden können. Möglicherweise hofft die Polizei auch, eine bessere Kontrolle über die Massen von Palästina-solidarischen Menschen zu behalten, wenn sie angemeldete Versammlungen zulässt.

    Warum das Demo-Verbot zum Nakba-Tag uns allen Sorgen machen sollte

    Die rechtliche Lage

    Vor diesem Hintergrund ist es natürlich spannend, noch einmal einen Blick auf die rechtliche Situation zu werfen. Selbst dort, wo Demonstrationen gegen den Krieg in Gaza stattfinden durften, hat die Polizei in verschiedensten Städten und Bundesländern in den letzten Monaten strenge Auflagen erlassen.

    Insbesondere wurde oftmals die in der palästinensischen Befreiungsbewegung seit Jahren etablierte Parole „From the River to the Sea – Palestine will be free!“ verboten. Die entsprechende Argumentation stützt sich auf ein im November 2023 vom Bundesinnenministerium verhängtes Betätigungsverbot für die Hamas.

    Das Bundesinnenministerium hatte nämlich der Polizei und allen, die es wissen wollten, zugleich mitgeteilt, welche Parolen auf Demonstrationen dadurch mit verboten sind: Unter anderem die o.g. Parole „From the River to the Sea – Palestine will be free!” stufte Nancy Faeser als Kennzeichen der Hamas ein. Dass diese Losung schon von der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) entwickelt wurde, bevor die Hamas überhaupt gegründet war, interessiert dabei nicht weiter.

    Auch wenn es in Berlin in den letzten Monaten noch üblich war, dass die Polizei – sobald sie der Meinung war, bei Palästina-Demonstrationen diesen Slogan gehört zu haben – willkürlich in die Demonstrationen eingriff, Teilnehmer:innen festnahm und mit Strafverfahren bedrohte, steht die Einschätzung von Gerichten zu dieser Frage an vielen Stellen immer noch aus.

    Langsam jedoch gibt es die ersten Gerichtsurteile zu dieser Frage, weil Anmelder:innen von Demonstrationen gegen polizeiliche Auflagen geklagt haben, welche die besagte Parole pauschal verbieten sollten.

    „From the River to the Sea: Palestine will be free!“ – bald strafbar?

    So kippte der Hessische Verwaltungsgerichtshof ein solches Verbot im März (Perspektive berichtete). Und am 29. April entschied auch das Verwaltungsgericht Bremen, dass weder besagte Losung, noch die Parole „Kindermörder Israel!“ unbedingt strafbar seien und dementsprechend auch nicht pauschal verboten werden können.

    Dem Bundesinnenministerium, das den Schlachtruf ja als verbotenes Hamas-Kennzeichen einstufte, hielt das Bremer Verwaltungsgericht – etwas vereinfacht gesagt – vor, dass das Bundesinnenministerium das ja gerne so sehen könne, am Ende des Tages aber immer noch Gerichte im Einzelfall entscheiden müssten, ob eine Parole tatsächlich das Symbol einer verbotenen Organisation sei und damit strafbar.

    Bemerkenswert an dem Urteil ist auch, dass deutlich wird, wie durchaus politisch Gerichte mitunter urteilen, und dass sie eben nicht außerhalb der gesellschaftlichen Stimmung und politischen Debatte stehen. So führte das Gericht in seinem Urteil ausdrücklich aus, dass die gleiche Parole, die es jetzt für rechtlich zulässig halte, nach dem 7. Oktober von ihm selbst auch noch als Sympathiebekundung für die Hamas und deren palästinensischer Offensive vom 7. Oktober interpretiert worden wäre.

    Was heißt diese rechtliche Situation für uns?

    Unterm Strich können solche Gerichtsurteile sicherlich eine Situation schaffen, in der die Meinungsfreiheit, wenn es um Palästina geht, nicht mehr so krass eingeschränkt sein wird, wie in den letzten Monaten.

    Dadurch, dass Urteile von Gerichten aus Bremen oder Hessen zum Beispiel in Berlin vermutlich erst einmal nicht sofort eine rechtliche Wirkung haben, entsteht aber dennoch eine von Bundesland zu Bundesland unterschiedliche und unklare rechtliche Situation.

    Denn Urteile, die bisher besagen „Ihr dürft diese Parole nicht pauschal verbieten, aber es kommt auf den Einzelfall an“ können von der Polizei und der Staatsanwaltschaft schließlich doch so ausgelegt werden, dass sie im Zweifelsfall mal lieber in eine Demonstration hinein prügeln und Demonstrant:innen festhalten, damit geprüft werden kann, ob es sich dabei um eine Sympathiebekundung mit der Hamas gehandelt hat oder eben nicht.

    Gleichzeitig ist eine solche Situation vor allem nicht in Stein gemeißelt. Welche demokratischen Spielräume wir bei der Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung und ihrer Sehnsucht nach Freiheit behalten, hängt grundsätzlich nicht in erster Linie von den Gerichtsurteilen ab, sondern davon, ob wir uns diese Spielräume wegnehmen lassen.

    Wir sollten uns vor Augen führen, dass bisher der an den Haaren herbeigezogene Vorwurf, dass Solidarität mit Palästina identisch mit Volksverhetzung (§130 StGB) oder „der Billigung von Straftaten“ (§140 StGB) sei, eben nur ein Vorwurf ist. Niemand wurde in den letzten Monaten tatsächlich dafür verurteilt und wenn sich der bisherige Trend in der Rechtsprechung fortsetzt, dann könnte das auch so bleiben.

    Wie der deutsche Staat den Ruf nach einem freien Palästina kriminalisiert

    Auch auf Richtersprüche sollten wir uns nicht verlassen; aber zum Widerstand gegen Polizeiwillkür und Repression gehört auch, dass man bestehende Freiräume nutzt und den Widerstand gegen solche Verbote nicht aufgibt, solange selbst vor den Gerichten dieses Staats noch darum gestritten wird.

    Für uns muss das gleichzeitig heißen, dass wir die Polizei-Schikanen auf dieser Grundlage als genau das erkennen: Es handelt sich vor allem um einen Vorwand für willkürliche Einschränkungen des Demonstrationsrechts und der Versammlungsfreiheit.

    Nur durch massenhaften und unermüdlichen Widerstand können wir uns dem entgegen stellen. Die staatlichen Behörden versuchen entsprechend der deutschen Außenpolitik jede Kritik an Israels Kritik in Gaza zu unterbinden. Wir müssen uns dieses Recht also umso entschlossener nehmen.

    Ein beherzter Zwischenschritt wären Demonstrationen und solidarische Proteste zum Nakba-Tag, bei denen sich tausende Teilnehmer:innen eben nicht vom Außen- und Innenministerium vorschreiben lassen, welche Parolen sie rufen. Auch die Behauptung, dass alle, die ein freies Palästina vom Jordan bis zum Mittelmeer fordern, Anhänger:innen der Hamas seien, könnte so sehr effektiv als absurd entlarvt werden.

    • Paul Gerber schreibt von Anfang bei Perspektive mit. Perspektive bietet ihm die Möglichkeit, dem Propagandafeuerwerk der herrschenden Klasse in diesem Land vom Standpunkt der Arbeiter:innenklasse aus etwas entgegenzusetzen. Lebensmotto: "Ich suche nicht nach Fehlern, sondern nach Lösungen." (Henry Ford)

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