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Sonntag, September 15, 2024
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    Abschiebungen und Überwachung – die Antwort auf Solingen?

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    Die Bundesregierung hat ein umfassendes sogenanntes Sicherheitspaket vorgestellt. Veränderungen im Asylrecht, mehr Grundrechtseinschränkungen und verschärfte Überwachung stehen auf der Maßnahmenliste, die als eine Reaktion auf den islamisch-fundamentalistischen Anschlag in Solingen verkauft wird. – Ein Gastkommentar.

    Am Donnerstag wurde das Programm vorgestellt. Dabei geht es laut der Bundesregierung um Veränderung in den Bereichen Waffenrecht, „Kampf gegen Islamismus” und „illegale Migration”.

    Das Waffenrecht soll verschärft werden. Es wird ein Verbot von Messern auf öffentlichen Veranstaltungen wie Festen oder Märkten und in Bus und Bahn geben. Die Bundesländer sollen ermächtigt werden, auch an kriminalitätsbelasteten Orten wie Bahnhöfen Messerverbote zu verhängen.

    Das Verbot soll außerdem Anlass für stichprobenartige, verdachtsunabhängige Kontrollen legitimieren, indem der Bundespolizei dazu die Befugnis erteilt wird, die sie bislang nur in der Nähe von Ländergrenzen hatte. Zuletzt wolle man die Anforderungen für Waffenscheine erhöhen: „Extremist:innen“ sollen keine Waffenscheine ausgestellt werden dürfen. Genaue Kriterien gibt die Bundesregierung nicht bekannt. Demnach ist offen, welche Personengruppen in Zukunft darunter fallen.

    Nicht die Messer töten

    Unter dem Gesichtspunkt „Bekämpfung von Islamismus“ sollen Maßnahmen zur Überwachung der Bevölkerung umgesetzt werden: Dazu gehört z.B. der Zugang von Ermittlungsbehörden zu Gesichtserkennungssoftware, die als Datenquelle unter anderem das Internet nutzt. Auch Überwachungskameras an öffentlichen Orten könnten dazu gehören. Der Geheimdienst Verfassungsschutz soll zudem zur Überwachung vermeintlicher Terrorismus-Finanzierung erweiterte Befugnisse bekommen, Geldströme zu kontrollieren.

    Angriffe auf das Asylrecht

    Auf den Solinger Anschlag antwortet der Staat deutlich mit Angriffen auf das Asylsystem: Sozialleistungen für Asylbewerber:innen, die in Deutschland leben, für die jedoch ein anderer EU-Staat zuständig wäre, sollen vollständig gestrichen werden, um sie aus Deutschland zu drängen. Eine „Taskforce” soll die Übermittlung in andere Länder zusätzlich beschleunigen. Dabei ist die rechtliche Umsetzbarkeit umstritten.

    So erklärte die Organisation ProAsyl: „Das Bundesverfassungsgericht hat klar festgestellt: Sozialleistungen dürfen nicht aus vermeintlichen Abschreckungseffekten gestrichen oder willkürlich gekürzt werden.“ Die Organisation beruft sich dabei auf ein Urteil von 2012. Außerdem sollen Asylsuchende in Zukunft dann ihren Schutzstatus verlieren, wenn sie ohne zwingenden Grund in ihr Heimatland reisen. Bei Besuchen der eigenen Familie ist also damit zu rechnen, den Schutz durch Asyl zu verlieren. Als Beispiel für einen zwingenden Grund wird immerhin die Beerdigung eines Familienangehörigen angegeben.

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    Abschiebung an die Taliban

    Der rechte Oppositionsführer Friedrich Merz von der CDU hatte vor dem Programm mit rassistischen Argumentationen für Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien geworben und fordert zudem, keine Flüchtlinge aus den beiden Ländern mehr aufzunehmen.

    In einer Pressekonferenz behauptete er: „Es gibt kein zweites Land auf der Welt, das auch nur annähernd, proportional zu seiner Größe, eine solche große Zahl von Flüchtlingen aus Syrien und aus Afghanistan aufgenommen hat wie Deutschland.” Dabei ist allein in sieben Staaten der Anteil syrischer oder afghanischer Flüchtlinge im Vergleich zur Gesamtbevölkerung höher als in Deutschland. Zudem forderte Merz die Rücknahme einer Reform aus dem Juni, die Einbürgerungen ohne den Verzicht auf die zweite Staatsangehörigkeit ermöglicht hatte.

    Am Freitag Abend wurde das erste Mal seit Herrschaft der Taliban dann tatsächlich ein Abschiebeflug mit 28 Menschen nach Afghanistan durchgeführt. Die Regierung dort wird zwar vom deutschen Staat nicht anerkannt, der Flug wurde aber durch den Staat Katar möglich, der Beziehungen zur Taliban-Regierung pflegt. So gibt der deutsche Staat einerseits vor, Islamismus zu bekämpfen und arbeitet andererseits mittelbar mit der islamistisch-fundamentalistischen Taliban zusammen.

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    Ein Wahlkampfmanöver der Ampel?

    Die CDU findet das Paket – trotz der zahlreichen Verschärfungen – immer noch unzureichend: Generalsekretär Linnemann fordert neben einer konsequenten Umsetzung der Maßnahmen bereits Zurückweisungen an der Grenze, Ausweisung von illegalen Flüchtlingen und konsequente Abschiebungen. Das würde eine noch stärkere Absicherung der Grenzen quasi als „Festung” und einen massiven Ausbau der Überwachung im Innern erfordern.

    Die AfD sieht in dem Katalog nur ein Wahlkampfmanöver, um ihrer faschistischen Partei bei den Landtagswahlen am 1. September die Luft aus den Segeln zu nehmen, und zweifelt ebenso an der Umsetzung. Tatsächlich trifft sich die Verschärfung der Asylpolitik gut mit der kommenden Landtagswahl in Thüringen und Sachsen am Sonntag. Regierungs- und Oppositionsparteien haben den optimalen Zeitpunkt gefunden, sich von ihrer rassistischsten Seite zu zeigen.

    Anlass für Innere Aufrüstung

    Die Politik nimmt den Anschlag als Anlass, eine innere Law-and-Order-Politik voranzutreiben. Diese wird für die Kapitalist:innenklasse vor dem Hintergrund von Krisen und deutscher Kriegsvorbereitung tatsächlich immer notwendiger. Dieser Aspekt der Militarisierung, die innere Aufrüstung, ist deshalb nicht nur eine Antwort auf Solingen, sondern vielmehr auf die veränderten Bedingungen, um die Bevölkerung unter Kontrolle zu halten. Vom Aufstieg faschistischer Kräfte begleitet, macht sich mittlerweile das gesamte bürgerliche politische Spektrum hierfür das Schüren rassistischer und chauvinistischer Hetze zunutze.

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