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Dienstag, September 10, 2024
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    Die Pleitewelle rollt weiter

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    Die Zahl der Unternehmen, die Insolvenz anmelden, steigt weiter an und ist nun auf dem höchsten Stand seit fast 10 Jahren. Überproduktion, Corona-Pandemie, Energiekrise, „Zombie-Unternehmen“ – die Gründe für die kapitalistische Krise sind vielfältig. Wer unter ihren Folgen leidet, sind die Arbeiter:innen.

    Die Zahl der Firmenpleiten in Deutschland ist mit 1.406 im Juli registrierten Insolvenzen auf dem höchsten Stand seit fast zehn Jahren. Dies ergab eine Studie des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH). Besonders Lohnarbeiter:innen werden von dem Anstieg der Firmenpleiten betroffen sein. So sieht das IWH innerhalb der stärksten 10 Prozent der Unternehmen, die im Juli Insolvenz angemeldet haben, knapp 10.000 Arbeitsplätze gefährdet.

    Während alle Branchen von den Insolvenzen betroffen sind, sind sie im verarbeitenden Gewerbe besonders hoch. Waren im Juni noch 100 Industrieunternehmen insolvent, so waren es bereits 145 im Juli. Das IWH erwartet für den August leicht sinkende, im September aber wieder ansteigende Insolvenzzahlen. Diese dürften somit weiterhin über dem Niveau vor der Corona-Pandemie liegen.

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    Flaute für die deutsche Wirtschaft, erneute Rezession möglich

    Die Insolvenzwelle ist Teil einer allgemein schwächelnden Wirtschaft. Ökonomen definieren eine Rezession im Allgemeinen damit, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) zwei Quartale in Folge rückläufig ist. Demnach steckte die deutsche Wirtschaft Anfang 2023 in einer Rezession, nachdem das Wachstum bereits bis zum Jahresende 2022 rückläufig war.

    Auch in diesem Jahr bleibt das Risiko des Abrutschens in eine erneute Rezession bestehen: Während das BIP im ersten Quartal zwar um 0,2 Prozent wuchs, schrumpfte es im zweiten wieder um 0,1 Prozent. Sogar falls die Wirtschaft weiter wachsen sollte, gehen viele Expert:innen von einem „blutleeren Aufschwung“ aus, d.h. von einem geringen und unsicheren Wachstum. Ein Grund dafür ist der Auftragsmangel in vielen Teilen der Wirtschaft.

    Insolvenzwelle – ein über Jahre andauernder Trend

    Der Anstieg der Firmenpleiten ist kein neues Phänomen, sondern ein dauerhafter Trend. Als der deutsche Staat im Zuge der Corona-Pandemie die Lockdown-Maßnahmen beschloss, setzte er 2020 die sogenannte „Insolvenzantragspflicht” für Unternehmen aus. Dies brachte eine Reihe an „Zombie-Unternehmen“ hervor – Unternehmen, deren mangelnde Profitabilität durch die ausbleibende Insolvenz und in manchen Fällen durch massive staatliche Hilfen verschleiert werden konnte.

    Wie „untot” viele dieser Zombie-Unternehmen waren, zeigte sich spätestens im September 2022 – die Zahl der Insolvenzen stieg im Vergleich zum Vorjahresmonat um 34 Prozent. Dies war jedoch nur der Beginn der Pleitewelle. Denn schon im März 2024 wurde mit 1.297 Insolvenzen ein Höhepunkt erreicht – eine größere Welle an Firmenpleiten hatte es nur vor etwa 20 Jahren gegeben, als das IWH die Daten noch nicht erhob.

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    Gründe für die steigende Zahl der Firmenpleiten

    Die Gründe für die Pleitewelle sind vielfältig: 2019 steckte der Kapitalismus in einer Überproduktionskrise, es wurde also mehr produziert, als profitabel verkauft werden konnte. Diese Krise wurde durch die Pandemie und den damit verbundenen Einbruch der Nachfrage massiv verstärkt.

    Der 2022 begonnene Ukraine-Krieg stürzte die zu großen Teilen von russischem Gas abhängige deutsche Wirtschaft dann auch noch in eine Energiekrise. Auch unterbrochene Lieferketten, wie zuletzt z.B. durch die Blockade der Huthis im Roten Meer, sowie ein durch Überalterung und schlechte Ausbildung forcierter Fachkräftemangel tragen außerdem zu den Insolvenzen bei.

    Krisen – Gefahr für Arbeiter:innen, Chance für Großkapitalist:innen

    Entlassungen, sinkende Löhne, steigende Preisen – Arbeiter:innen sind von Firmenpleiten und Wirtschaftskrisen als Erste betroffen. Dies gilt jedoch nicht für alle Kapitaleigner:innen: Melden viele Unternehmen Insolvenz an, birgt dies nämlich auch Chancen für Großunternehmen und Kapitalverbände. Diese können so schwächelnde Unternehmen zu billigen Preisen aufkaufen und damit immer mehr Kapital konzentrieren.

    Dies zeigte sich beispielsweise in der Krise der deutschen Baubranche, von der Großkonzerne wie beispielsweise Vonovia profitieren. Auch Beteiligungsfonds und Risikofinanzierer:innen dürften große Gewinne durch Unternehmensfusionen und -übernahmen verzeichnen. Und während der Ukraine-Krieg für die dortige Bevölkerung vor allem Leid und Zerstörung bedeutet, wittern deutsche Weltmonopole bereits die Chance, den ukrainischen Markt in einem „Wiederaufbau“ erobern zu können.

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    „Stille Rezession“ trotz Wirtschaftswachstums

    Im Umkehrschluss darf aber nicht angenommen werden, dass ein Wirtschaftsaufschwung auch einen Anstieg der Lebensqualität für die Arbeiter:innen bedeuten würde. Während die US-Wirtschaft z.B. seit der Coronakrise ein beharrliches Wachstum und offiziell niedrige Arbeitslosenzahlen verzeichnet, sorgt dies bei den meisten Amerikaner:innen wohl kaum für Euphorie: Viele wähnen sich in einer „stillen Rezession“. Gemeint sind hiermit stagnierende und nicht mit der Inflation mithaltende Löhne, Kurzarbeit, zunehmende Verschuldung, steigende Miet- und Wohnkosten und verringerte Ersparnisse.

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