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Dienstag, September 10, 2024
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    „Kriegstüchtiges“ Deutschland: Wie das Gesundheitswesen auf den Kriegsfall vorbereitet wird

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    Die Militarisierung der Gesamtgesellschaft schreitet in Deutschland voran, dabei lassen die Herrschenden keinen Bevölkerungsteil unberührt. Auch das Gesundheitswesen soll „kriegstüchtig“ werden: Für kommende Konflikte und die atomare Bedrohung. – Ein Kommentar von Janosch Weiß.

    Spätestens seit der Zeitenwende-Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz befindet sich die Bundesrepublik Deutschland auf Kriegskurs. Während die Aufrüstung im militärischen Bereich voranschreitet, bereitet der Staat auch die deutsche Gesellschaft systematisch auf den Kriegsfall vor.

    Neben dem Einstieg von Waffenlieferanten als Sponsoren beim Fußball oder der Ehrung von Nazi-Generälen wegen „militärischer Exzellenz“ steht der Staat gleichzeitig vor einem maroden Gesundheitssystem – das jedoch im Kriegsfall massenweise Verletzte versorgen müsste und deutsche Soldat:innen wieder „kampffähig“ machen soll. Das Gesundheitsministerium unter Lauterbach strebt deshalb für sie mit dem sich in Planung befindlichen „Gesundheitssicherstellungsgesetz” eine kriegstauglichere Versorgung an.

    Grenzen zwischen Krise und Krieg werden aufgelöst

    Die sogenannte „Nationale Sicherheitsstrategie” der Bundesregierung hinsichtlich medizinischer Einrichtungen klassifiziert mehrere Ereignisse verschiedener Art gleichermaßen als „Katastrophe” – ob Pandemie, Chemieunglück oder Atomkrieg. Dabei fallen in diese Kategorie ganz bewusst sowohl solche, die durch Naturereignisse ausgelöst werden, als auch solche, die durch menschliche Waffengewalt hervorgerufen werden. Ziel dieser Art verbaler Verwässerung ist es, demjenigen Teil der Gesellschaft, der sich gegen die Militarisierung Deutschlands einsetzt, die Angriffsfläche zu entziehen.

    Das Wort „Krieg“ wird vom Verteidigungsministerium dabei kaum verwendet – es geht ständig nur um „Katastrophen“, die irgendwie aus dem Nichts kommen und gehen zu scheinen. Durch die Gleichsetzung von medizinischem Einsatz im bewaffneten Konflikt und demjenigen bei Naturkatastrophen werden die Grenzen zwischen Krisen einerseits und den durch den Imperialismus verursachten Kriegen andererseits verwischt. Das Bild, das vermittelt werden soll: Medizinisches Personal soll gefälligst in jedem für den deutschen Staat unangenehmen Szenario alles fürs Vaterland geben.

    Triage nach Kriegslogik

    Dazu gehört auch, dass Ärzt:innen im Kriegsfall die „Triage” anwenden sollen. Der Begriff der „Triage” war zuletzt während der Hochzeiten der Corona-Pandemie in aller Munde und beschreibt die Priorisierung von Patient:innen und deren Behandlung je nach Erfolgschance. Darauf muss dann zurückgegriffen werden, wenn die verfügbaren Ressourcen für eine ordnungsgemäße Versorgung aller nicht mehr ausreichen – zum Beispiel dann, wenn alle Krankenbetten belegt sind.

    Während der Corona-Pandemie kam es jedoch nicht zu einem einzigen Anwendungsfall für die Triage. Anders wird die Lage jedoch während eines Kriegs mit deutscher Beteiligung aussehen: In diesem Fall wäre auch das deutsche Gesundheitssystem mit all den verletzten Soldat:innen, Kriegsgefangenen und den zivilen Opfern voraussichtlich restlos überfordert.

    Während die Triage im Friedensfall die Behandlung der Patient:innen gebietet, welche die Behandlung am dringendsten benötigen und deren Überlebenschancen am größten sind, pervertiert die Kriegslogik diesen Grundsatz: Welches Interesse hätte Deutschland an einer schnellen Genesung von Angehörigen der gegnerischen Kriegspartei? Stattdessen räumt sie erstens Soldat:innen Vorrang vor Zivilist:innen und zweitens kriegerischen Gegner:innen stets Nachrangigkeit ein. Es soll die vorrangige Aufgabe des Gesundheitswesens werden, die eigene Front mit „genesenen“ Soldat:innen zu versorgen.

    Schon 1983 sollten für Ärzt:innen Pflichtfortbildungen für den Triage-Fall gesetzlich eingeführt werden. Damals war der Widerstand jedoch so groß, dass die damalige Bundesregierung wieder Abstand von dem Vorhaben nahm. Ein Erfolg, an dem die antimilitaristische Bewegung heute anknüpfen kann und soll.

    Medizinische Hilfe während eines Atomkrieg

    Ein weiterer Ansatz der Bundesregierung ist der Versuch, medizinische Hilfe im Falle eines Atomkriegs sicherzustellen – hierbei durch die Vorbereitung auf massenhaft Strahlengeschädigte und Verbrannte. Der Einsatz taktischer Nuklearwaffen auf begrenztem Gebiet könnte solch ein Szenario sein, das die Versorgung der betroffenen Gebiete notwendig machen würde. Mutmaßungen über den konkreten Einsatz können jedoch stets nur vage Prognosen bleiben.

    Antimilitarismus in Deutschland seit der „Zeitenwende“: Noch Luft nach oben

    Statt schon an heutiger Stelle Schadensreduzierung zu betreiben, können die Gefahren eines umfassenden Atomkriegs nur dadurch vermieden werden, dass ein dritter Weltkrieg verhindert wird. Da der Kapitalismus im imperialistischen Stadium jedoch Kriege zur Neuverteilung von Ressourcen und dem Erschließen neuer Handels- und Absatzmärkte periodisch hervorruft, ist die Antwort auf die Frage nach einer Verhinderung atomarer Kriege klar: Das profitorientierte, kapitalistische System selbst muss überwunden werden.

    Wie die Militarisierung des Gesundheitswesens zeigt, betreffen die Kriegsvorbereitungen nicht nur die Soldat:innen, sondern uns als Gesellschaft im Ganzen: kein Lebensbereich bleibt von dem militärischen Einfluss des deutschen Staats verschont. Nur durch einen Zusammenschluss unserer Klasse – auf der Straße, am Arbeitsplatz, im Stadtteil, in der Schule oder sonst auch immer – gegen ihre Kriege können wir eine Zukunft in Angst und Schrecken verhindern.

    • Autor bei Perspektive seit 2022. Jurist. Beschäftigt sich mit (Un-)Recht im deutschen Staat und deutscher Wirtschaft. Schreibt aus dem Rhein-Main-Gebiet.

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