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Freitag, April 26, 2024
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    Ein Jahr Zeitenwende: Deutschland auf Kriegskurs

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    In einer Regierungserklärung zog Olaf Scholz Bilanz über das erste Jahr seiner „Zeitenwende“. Zwischen moralischen Ermahnungen an Kriegsgegner und einigem Selbstlob lassen sich aus der halbstündigen Rede auch Rückschlüsse auf den Ist-Zustand des deutschen Imperialismus heraushören. – Ein Kommentar von Mohannad Lamees.

    Am 27. Februar 2022, nur wenige Tage nach dem russischen Angriff auf die Ukraine, hielt Olaf Scholz während einer eigens einberufenen Sondersitzung des Bundestags eine Rede, für die er stehende Ovationen nicht nur der Regierungsfraktionen, sondern auch der Opposition bekam. Mit dem politischen Schlagwort der „Zeitenwende“ stimmte Scholz nicht nur die Regierung, sondern die ganze Bevölkerung auf eine Zäsur in der deutschen Innen- und Außenpolitik ein.

    Nun, rund ein Jahr nach dieser Rede, zieht Scholz in einer weiteren Regierungserklärung Bilanz. Selbstverständlich betonte er vor allem die Wichtigkeit vom aktuellen Kurs des deutschen Imperialismus im Wirtschaftskrieg gegen Russland und kündigte eine Fortsetzung der Aufrüstung in Europa unter deutscher Führung an. Der Bundeskanzler sagte klar, dass es einen gerechten Frieden in der Ukraine nur durch Waffenlieferungen und die Unterstützung des ukrainischen Militärs geben werde.

    Panzerkanzler Scholz hat kein Vertrauen verdient!

    Dabei adressierte Scholz auch alle diejenigen, die momentan Verhandlungen mit Russland fordern und erteilte dieser Forderung eine klare Absage. Mehr noch gibt Scholz als Marschrichtung für die nächsten Jahre klar das Ziel aus, Europa unter deutscher Führung kriegsbereit zu machen und nennt die NATO-Streitkräfte sowie Luftabwehr als große Projekte, um die „europäische Friedensordnung“ dauerhaft zu verteidigen.

    Aus „Nie wieder Krieg“ wird „Nie wieder verlieren“

    Eindrücklich nimmt der Bundeskanzler in diesem Zusammenhang eine Umdeutung des deutschen „Nie wieder“ vor. Scholz richtet sich dabei direkt an Protestierende auf Friedensdemonstrationen und unterstreicht, dass aus Sicht der Regierung das Skandieren von „Nie wieder Krieg“ am Brandenburger Tor den Ukrainer:innen nicht helfen würde. „Friedensliebe“, so Scholz, heiße eben nicht „Unterwerfung unter einen größeren Nachbarn“.

    Ein „Nie wieder“ müsse sich heute vielmehr darauf beziehen, dass nie wieder ein Angriffskrieg zugelassen werden solle. Der Kanzler identifiert dabei „Putins Imperialismus“ als Ursache für den Krieg und stellt fest: „Nie wieder bedeutet, dass sich Putins Imperialismus nicht durchsetzen darf“.

    Hinter dieser moralisch verpackten Aussage steckt eine klare Botschaft: Deutschland wird nicht zulassen, dass eine andere Macht in Europa an Einfluss gewinnt. Russland und China werden als Bedrohungen wahrgenommen, die ihre Machtbereiche ausweiten wollen. Deutschland, Europa und die NATO hingegen verteidigten, so Scholz, die zivilisatorischen Errungenschaften und die Menschenrechte.

    Über die imperialistischen Machtinteressen Deutschlands verliert Scholz verständlicherweise kein Wort. Doch klar ist, dass das vehemente Aufrüsten in Vorbereitung auf weitere Kriege vor allem Ausdruck davon ist, dass Deutschland diese kommenden imperialistischen Kriege annehmen wird und sie nicht verlieren will.

    Deutschland bestimmt den Rhythmus in Europa

    In den letzten Monaten war von der CDU/CSU-Fraktion vermehrt angemerkt wurden, dass die Zeitenwende zwar angekündigt und mit der Grundgesetzänderung rund um das 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr durchaus auch vom Bundestag angekurbelt wurde.

    Jedoch wird bemängelt, dass vor allem die Bundeswehr, aber auch die Industrie noch lange nicht in der Lage seien, tatsächlich Krieg führen zu können. Während die Opposition also schnelle Erfolge sehen will, versprach Scholz in seiner Rede nun einen „echten Spurwechsel“ hin zu einer kontinuierlich fortgesetzten Aufrüstung und der Schaffung einer „industriellen Basis in Deutschland“ zur Verteidigung der europäischen „Friedensordnung“. Hier spricht der Kanzler eine deutliche Sprache: Deutschland wird vorangehen, um seine Führungsrolle eines imperialistischen europäischen Blocks auch militärisch untermauern zu können.

    Scholz spricht rundheraus von wichtigen Schritten hin zu einem „geopolitischen Europa“, die im letzten Jahr unternommen wurden und meint damit das gemeinsame Unabhängig-Machen von russischen Energielieferungen aber auch die breite europäische Bündnispolitik unter Führung der Scholz-Regierung.

    In diesem Zusammenhang sprach der Kanzler auch wieder von der „Deutschland-Geschwindigkeit“. Schon in den letzten Wochen hatte er mit diesem neuen Schlagwort umrissen, wie – gedrängt durch den Wirtschaftskrieg mit Russland – der Ausbau von erneuerbaren Energien, der digitale Wandel sowie die Einführung von wichtigen Programmen wie der “Batterieallianz” und dem “Chips Act” gerade „im Zeitraffer“ umgesetzt werden.

    Weitere Chip-Fabrik im Saarland geplant

    Jedoch erst Scholz’ Ausführungen zur angestrebten deutschen industriellen Basis für die europäische Ordnung fügen dem Schlagwort „Deutschland-Geschwindigkeit“ die tiefere Bedeutungsebene hinzu: Deutschland muss sich industriell entwickeln, damit es in Europa weiterhin führen kann. Und Deutschland muss sicher stellen, dass der notwendige Wandel in Europa hin zu einem eigenständigen geopolitischen Raum vom deutschen Tempo bestimmt wird. Das heißt im Klartext: Deutschland will in Europa den Takt angeben. Und da Deutschland momentan noch Zeit braucht, um sich auf Kriege vorzubereiten und Lieferketten umzustellen, ist das auch das ausschlaggebende Motiv für die derzeitige Europapolitik der Scholz-Regierung.

    Es gibt kein Zurück mehr

    Auch an die deutsche Bevölkerung wendet sich Scholz und lobt sie für ihr Durchhaltevermögen beim Energiesparen. Scholz nennt außerdem auch die Entlastungspakete der Regierung als wichtiges Mittel, um größeren Protesten den Wind aus den Segeln zu nehmen.

    Es wird in der Rede aber mehr als deutlich, dass die Entwicklungen seit dem Februar 2022 nicht zurückgenommen werden oder die Zeitenwende nun für beendet erklärt werde. Nein, Scholz’ Rede ist einmal mehr Ausdruck dafür, dass wir uns auch in Deutschland auf eine neue Epoche einstellen müssen: Es sind wir als Arbeiter:innen und unsere Arbeitskraft, die die industrielle Basis für Europas Aufrüstung sein sollen. Das heißt für uns alle, dass wir uns von der Hoffnung verabschieden müssen, dass wir wieder zu unseren Leben von vor dem Februar 2022 zurückkehren können.

    Noch haben viele den Wunsch, dass der Krieg in der Ukraine einfach beendet werde, damit wir danach wieder in Ruhe ein halbwegs angenehmes Leben werden führen können. Doch „Zeitenwende“ heißt für uns nun auch, die Zeichen der Zeit zu erkennen. Das Aufrüsten läuft, Deutschland hat den Kurs für Europa längst festgelegt, und wir werden in den nächsten Jahren die Panzer bauen, in denen wir selbst oder die nächste Generation in den zukünftigen imperialistischen Kriegen sitzen und von denen aus wir auf Befehl auf andere Menschen werden schießen müssen.

    Deswegen ist es ist jetzt an der Zeit, dass wir den Plänen des deutschen Imperialismus einen Strich durch die Rechnung machen – bevor es zu spät ist. Lassen wir uns also von den Vertreter:innen des deutschen Imperialismus wie Scholz nichts erzählen: Einen gerechten Frieden müssen wir gegen die deutsche Regierung und ihre Zeitenwende erkämpfen.

    • Seit 2022 bei Perspektive Online, Teil der Print-Redaktion. Schwerpunkte sind bürgerliche Doppelmoral sowie Klassenkämpfe in Deutschland und auf der ganzen Welt. Liebt Spaziergänge an der Elbe.

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